Es herrschte tiefes Schweigen. Überrascht stellte ich fest, dass ich keinen Heulkrampf bekam, sondern lediglich ein paar kleinere Tränen über meine Wangen rollten. Es fühlte sich richtig an. Endlich mit dem starken Trauern aufzuhören. Loszulassen. Zumindest ein bisschen. Anfangen zu leben. Niklas hätte das gewollt, das spürte ich. Ich spürte seine Präsenz so stark, als stünde er direkt neben mir. Fast wollte ich meinen Arm ausstrecken und ihn um seine Hüfte legen. Aber dann sah ich Brigitte weinen. Und ich sprang auf, eilte zu ihr und nahm sie in den Arm. Ich wollte sie nicht so hemmungslos weinen sehen. ,,Es tut mir leid", stotterte ich mit kratziger Stimme. Offenbar hatte ich doch mehr geweint als gedacht. Die Situation kam mir nicht richtig vor. Warum war nicht ich diejenige, die hemmungslos weinend zusammenbrach? Ich fand keine Antwort darauf. Glücklicherweise beruhigte Brigitte sich schnell. ,,Nein, mir tut es leid. Aber es ist so schrecklich, was dir passieren musste. Das ist nicht gerecht", entschuldigte sie sich. Ich sah ihr fest in die Augen, wie zum Beweis, dass ich damit klarkam. ,,Der Tod ist nie gerecht."Als ich endlich zu Sarahs Wohnung zurückkehrte, war es schon fast sechs Uhr. Meine Klamotten waren glücklicherweise schon wieder getrocknet, allerdings sollte ich mir noch dringend die Haare kämmen. Die hingen völlig schlaff herunter. Ich betrat die Wohnung und lief nichtsahnend durch den Flur. Aber als ich am Wohnzimmer vorbeikam, hörte ich ziemlich eindeutiges Stöhnen. Mein Blick fiel auf zwei eng umschlungene Körper. Das reichte mir, ich lief in mein Zimmer und beschloss, mich nie mehr auf den Teppich im Wohnzimmer zu setzen oder legen. Dann schnappte ich mir eine Bürste und kämpfte mit meinen Haaren. Um kurz vor sechs klopfte es an meiner Zimmertür. ,,Ja?", rief ich und zerrte an einer störrischen Strähne. Sarah kam rein. ,,Ach, hallo", begrüßte ich sie. ,,Ich hab gar nicht gemerkt, dass du reingekommen bist", bemerkte sie und beobachtete neugierig, wie ich kurz davor stand, die blöde Strähne einfach rauszureißen. Ich warf ihr einen wissenden Blick zu. ,,Du warst ja auch anderweitig beschäftigt", grinste ich. Meine Cousine lief in einem Affenzahn rot an, es war richtig witzig. Mein Grinsen wurde noch breiter. ,,Schön, dass du dich so amüsierst", versuchte sie eine sarkastische Antwort. ,,Nicht so sehr wie du", konterte ich und fing dann lauthals an zu lachen. Sarah wurde, wenn möglich, noch roter, fiel dann aber mit ein. Sie kam zu mir. ,,Kann ich dir irgendwie helfen?" Ich hielt ihr die Bürste hin. ,,Es ist ein unmögliches Unterfangen", teilte ich ihr mit. Ihr Gesicht nahm einen kämpferischen Ausdruck an. ,,Nichts ist unmöglich", antwortete sie und machte sich an die Arbeit.Pünktlich um sechs Uhr klingelte es und Luke stand vor der Tür. ,,Hey", begrüßte er mich und umarmte mich kurz. ,,Hey, Boss", antwortete ich lässig. Wir verabschiedeten uns und machten uns auf den Weg. ,,Leider wird es so schnell dunkel, sonst könnten wir noch länger diesen fantastischen Blick über die Weser genießen", bedauerte ich, als wir am Fluss entlang zum Restaurant gingen. ,,Ja, das ist echt schade", stimmte Luke mir zu. ,,Bist du in Bremen geboren?", fragte ich neugierig, während wir auf ein wunderschön erleuchtetes Gebäude zugingen. ,,Nein, in Wildeshausen, wo meine Eltern nach wie vor wohnen. Ich bin nach meinem Abschluss hier her gekommen, weil ich schon immer ein erfolgreiches Gastronomiegeschäft aufbauen wollte", erzählte er. Wir betraten das Restaurant. Es war wunderschön beleuchtet. Es gab viele Fenster, durch die man auf die Weser und den Abend sehen konnte, der sich über die Stadt senkte. Überall saßen Leute an den Tischen und plauderten leise. Auf den Tischen flackerten kleine Kerzen. ,,Wow", entfuhr es mir. ,,Toll hier." Ich war restlos begeistert. Ein Kellner führte uns zu einem reservierten Fensterplatz. Wir setzten uns - Luke zog sogar meinen Stuhl für mich zurück, dieser Gentleman - und beschäftigten uns kurz mit der Karte. Nachdem wir bestellt hatten, kehrten wir zu unserem Gespräch zurück. ,,Na ja, das mit dem erfolgreichen Gastronomiebetrieb hast du auf jeden Fall geschafft. Sonst noch irgendwelche Pläne?", fragte ich. Luke grinste mich an. ,,Auf jeden Fall das Ding am Laufen halten. Und meinem Bruder ein Studium ermöglichen. Er weiß es noch nicht, aber er wird studieren. Und wenn ich ihn zu jeder Vorlesung bringen muss, bis er es kapiert." Er lachte und ich stimmte ein. ,,Und was sind deine Pläne?", fragte er dann. Ich zögerte kurz. ,,Ich will genug Geld für eine eigene Wohnung zusammenkriegen, dann nächstes Schuljahr das Abitur nachholen und dann was studieren. Keine Ahnung, was. Vielleicht Strafrecht. Oder Scheidungsrecht. Dann würde ich mich für die ganzen misshandelten Frauen einsetzen. Es ist furchtbar, was teilweise in den respektabelsten Familien abgeht!" Luke legte mir die Hand auf den Arm und ich atmete tief durch. Ich sollte dringend an meiner Contenance arbeiten. ,,Man merkt, dass dich das Thema berührt. Aber willst du dann nicht lieber als Psychologin arbeiten? Da kannst du den Opfern von diesen Gewalttaten besser helfen", schlug er vor. Ich dachte darüber nach. War das vielleicht wirklich ein besserer Weg? Und sollte ich vielleicht auch zu einer Psychologin gehen? Wahrscheinlich schon. ,,Ich muss dir was erzählen", platzte es aus mir heraus. Psychologe war zu teuer, ich konnte mit Luke anfangen. Und ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Es ging leichter. Ich hatte das Gefühl, mit jedem Erzählen wurde es besser, den Schmerz zu ertragen, damit klarzukommen, dass ich allein war. Aber ich war nicht allein. Ich hatte Sarah und James, Luke und David und Kelly und Conny und Marija, die griesgrämige Köchin, ich hatte Brigitte und ich hatte immer noch mich. Ich sollte diesen ganzen Mist hinter mir lassen. Loslassen. Und mein neues Leben genießen. Luke starrte mich völlig schockiert an, als ich endete. Ich schenkte ihm ein Lächeln. ,,Ich fange an, es zu verarbeiten. Ich werde damit fertig. Dank all den tollen Leuten, die ich hier gefunden habe." Er erwiderte das Lächeln. ,,Du bist eine wahnsinnig tolle Person und wir können uns glücklich schätzen, dass du ausgerechnet den Weg nach Bremen und dann in unser Café gefunden hast", antwortete er und ich lief rot an. Mit Schmeicheleien konnte ich nicht so gut umgehen, immer noch nicht. ,,Jetzt können wir aber aufhören, über mich zu sprechen und stattdessen über dich reden", wechselte ich das Thema. ,,Hast du eine Freundin?" Darauf war ich schon lange neugierig. Luke war so ein toller Typ, er musste doch von den Mädels richtig belagert werden. Er sah ein bisschen überrascht von dieser direkten Frage aus, aber er schüttelte den Kopf. ,,Nope. Keine Freundin", wiegelte er ab. ,,Und warum nicht? Du bist so ein toller Typ, gut aussehend, intelligent, charmant, humorvoll..." Luke lachte. ,,Und schwul." Mir fiel fast die Kinnlade runter. Mit großen Augen starrte ich ihn an. ,,Alles ok mit dir?", fragte der Typ, der sich mir gegenüber gerade geoutet hatte, als wäre es das Normalste der Welt, einem Mädchen, mit dem man gerade auf einem So-zu-sagen-Date ist, zu gestehen, dass man schwul ist. Ich blinzelte ein paar Mal. ,,Ja, alles klar. War nur überrascht, so was kriegt man schließlich nicht jeden Tag gestanden", antwortete ich immer noch ein bisschen verwirrt und versuchte, meine Welt wieder geradezurücken, die in eine beträchtliche Schieflage geraten war. Ich bin enorm tolerant, auch gegenüber Leuten mit einer anderen sexuellen Orientierung, aber es ist ein Unterschied, mit anderen darüber zu reden, wie cool ein schwuler bester Freund wäre und dann tatsächlich jemanden kennenzulernen, der so fühlt. Glücklicherweise wurde in diesem Moment unser Essen gebracht, weshalb ich einige Sekunden hatte, meine Gedanken zu ordnen. Dann fragte ich: ,,Und hast du einen Freund?" Luke lachte wieder. Er schien das Meiste, das ich sagte, ziemlich lustig zu finden. ,,Nein, leider nicht. Auch wenn meine letzte Beziehung nicht so furchtbar auseinander gegangen ist wie deine", scherzte er. Dann überschattete ein besorgter Ausdruck sein Gesicht. ,,Sorry, ich wollte mich nicht darüber lustig machen." Ich staunte, wie gut es mir gelang, den Scherz zu hören und dann auch noch eine flappsige Antwort zu geben. ,,Tja, kann halt nicht jeder immer Glück in seinen Beziehungen haben, wie es so viele Bücher einem versprechen." Okay, das kam jetzt doch irgendwie zynisch rüber.
Hey Leute,
ja, ich weiß, die letzten beiden Kapitel waren verdammt harter Tobak, aber ihr wusstet doch alle, dass was Schreckliches passiert sein musste. Außerdem geht's ja jetzt bergauf mit der lieben Julia. Und jetzt noch ein oder zwei Kommianreger, einfach, weil ich vote- und kommigeil bin.
1) Strafrecht oder Psychologie? Was würdet ihr Julia vorschlagen? Und würde so ein Job sie glücklich machen oder eher zerstören?
2) Der gute Luke ist schwul. Sein Outing hat mich auch überrascht. Wie findet ihr das? Und wollt ihr ein Spin Off?
Das war's. Ihr kennt das ganze Prozedere mit Voten und Kommentieren und ich freue mich wie jeder andere Autor hier auf Wattpad darüber, also haltet euch nicht damit zurück. Und noch was, hab Dark Moment bei den Wattys 2015 gemeldet, wenn mich irgendjemand promoten möchte, ich wäre jedem so enorm dankbar.
Noch einen schönen Tag, ich hoffe, ihr habt die Hitzewelle überstanden und bis dann!
LG, Vany
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Dark Moments
RomanceAm Boden zerstört und völlig fertig. So lässt sich der seelische Zustand von Julia wohl am besten beschreiben. Die einzige Möglichkeit, dem zu entfliehen - alle Brücken abzubrechen und zu ihrer Cousine nach Bremen fliehen. Erst dort scheint sie wied...