Kapitel 6

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„Ich wünsche dir dein Glück! Ich hoffe du erreichst all das in deinem Leben, was du dir auch nur vorstellen magst! Dennoch hoffe ich, du zerbrichst eines Tages an dem Gedanken was du mir angetan hast"

Vivienne's Sicht:

Ich stand bereits fertig geduscht und angezogen vor dem Spiegel in meinem vorübergehenden Zimmer.
Schließlich musste ich Hadschi irgendwie beweisen, dass ich die Woche in der Schule ordentlich durchziehen konnte.
Ich sprintete die Treppen nach unten und traf meinen Onkel jedoch in seinem roten Samt Pyjama an.
„Wir haben noch mehr als genug Zeit!", sah er mich völlig verschlafen an.
„Der frühe Vogel fängt den Wurm", kicherte ich und ging nochmals in die Küche um mir eine Portion Müsli zuzubereiten.
„Du willst wirklich dass dieses Mädchen am Wochenende kommt, hab ich Recht?", hinterfragte er sofort mein zeitiges aufstehen.
Ich nickte, ging zum Kühlschrank und holte die frische Milch heraus um anschließend einen kräftigen Schluck in mein Müsli zu schütten.
Ich schnappte mir einen kleinen Löffel und aß einfach im stehen, an dem großen Küchentresen.
„Es gibt auch Stühle und Tische im Haushalt", machte sich mein Onkel erneut bemerkbar.
Jedoch beschloss ich es ihn zu ignorieren, schließlich musste er nicht gleich denken es sei alles fein zwischen mir und den Umständen.
Ich stand noch immer auf Kriegsfuß mit dem ganzen zusätzlichen Mist, es war kein Zustand auf Dauer.
Ob ich mich nach meinem vorherigen Leben sehnte?
Kein Stück !
„Können wir los?", hüpfte Hadschi vor der Küche herum und versuchte sich in dem Moment einen Strumpf über seinen Fuß zu ziehen.
Ich stellte meine mittlerweile leer gewordene Schale in den Abwasch und folgte ihm einfach.

„Was fällt euch zu dem Oberbegriff Gerechtigkeit ein?", regte Frau Rabe zum Morgen bereits unser Denkvermögen an.
Weshalb bekam ich keine Familie die mich liebte und mich in guten sowie schlechten Zeiten unterstützte.
Meine Mutter betrog meinen Vater, welcher sich bereit erklärte für seine Liebe zu ihr zu sterben.
Ich wollte Leben, Freunde finden und eine Person mit welcher ich Probleme und Sorgen teilen konnte.
Ich liebte diesen einen Menschen mit allem was ich besaß und bekam einen billigen kleinen Abschiedsbrief, damit ich am Ende von meiner Mutter aus dem Haus verband und auf ein Internat für zwei Jahre geschickt wurde.
Ich verlor die Lust auf ein lebenswertes Leben und ringe tagtäglich damit nicht alles in den Sand zusetzen.
Über Gerechtigkeit konnte ich nicht mitsprechen, aber über Ungerechtigkeit könnte ich einiges Beitragen.

„Mira, was ist in deinem Leben für dich Gerecht?", nahm unsere Klassenlehrerin sie dran, nachdem sie sich wie eine Irre meldete, ein Wunder das ihr Arm noch nicht abfiel.
„Ich gelobe mir meinen Lebensstandard. Ich habe eine Familie die mich liebt, eine Liebe die für die Ewigkeit bestimmt sein muss gefunden und habe ein Dach über dem Kopf".
Ich musste mich zusammennehmen sie nicht auszulachen bei dem Stichwort Liebe für die Ewigkeit.
Sie verletzte mich bereits mit ihrem bloßen Anblick, jetzt verdrosch sie mich zusätzlich mit Worten.
„Warum ist das für dich Gerechtigkeit?", quälte mich Frau Rabe weiter, ihrer Stimme zu folgen.
„Ich habe mir das verdient. Ich war immer die Tochter die sich meine Eltern gewünscht haben. Noch nie habe ich einem Menschen etwas böses getan, weshalb ich mir auch die Liebe verdiene".
Unsere Klassenkameraden freuten sich mit ihr und stimmten ihr während einer Diskussion auch ausreichend zu.
Ich kam mir nicht einmal schlecht vor, ihr das alles absolut nicht zu gönnen.
Es könnte ein Hauch Neid mit restlicher unterdrückter Wut sein.
Am liebsten würde ich einfach aufstehen und gehen, jedoch würde ich meinen Deal mit meinem Onkel brechen. Das war das letzte was ich wollte, also quälte ich mich weiter den Rest der noch über gebliebenen Stunde.

„Vivienne, würdest du bitte einmal mitkommen?", bat mich Frau Rabe, als ich in dem Moment den Klassenraum mit Lelia verlassen wollte.
Ich stimmte zu und verließ mit ihr den Klassenraum, um auf das große Kunstatelier unserer Schule zuzusteuern.
Sie riss die Tür auf, ging direkt auf den Lehrerpult zu, erschreckte sich jedoch als sie ein bekanntes Gesicht sah.
„Erschrecke mich doch nicht so, Maxi. Was machst du denn noch hier?", fragte meine Klassenleiterin ihn und lachte sich dabei selbst völlig aus.
Dieses ganze Gerecht und Ungerecht Gefasel, ging mir echt auf die Nerven.
Ungerechtigkeit, bestimmte mein derzeitiges Leben.
Es überraschte mich nicht einmal, denn irgendetwas Derartiges musste schließlich Eintreffen.
„Ich muss noch etwas aus dem Kunstunterricht nachholen", gab er desinteressiert zurück. Ich sah ihn nicht, da ich mich vor dem Zimmer aufhielt. Ich erkannte seine Stimme und das allein reichte mir.
„Ich würde nur ein überfälliges Gespräch mit einer Schülerin nachholen, ich hoffe es stört dich nicht".
Mich Stört es definitiv!
„Nein, natürlich nicht", bestätigte er ihr, während Frau Rabe mich darum bat das Zimmer zu betreten.
Die Blicke meiner und seiner, kreuzten sich.
Da war es wieder, es spielte sich vor meinen Augen ab als wären wir eben an diesem Ort, im Teufelstopf.
Der Brief, sein Abschied und die ewige Trauer in die ich verfiel. Er brach mich, er zerstörte das letzte Fünkchen Hoffnung in mir auf ein normales Leben und saß eben Kleinhut auf dem Platz vor mir, als wäre all das nie passiert.
„Die letzten Tage habe ich mich mit deinen Zeugnissen aus den vergangenen Jahren auseinander gesetzt", holte sie mich wieder auf festen Boden und das härter als erhofft.
„Du bist ein so intelligentes Mädchen. Was musste passieren dass deine Noten so absacken?", fragte sie sichtlich enttäuscht nach.
Ich blieb einfach vor ihr stehen und sagte keinen Ton.
Nur mich allein betraf das Thema, auch keine Lehrerin würde jemals Erfahren was vorfiel und weshalb ich zu dem wurde was ich in dem Moment war.
Sie wartete eine Weile auf eine Antwort, welche sie allerdings nicht bekam.
„Du hast im Kunstkurs eine Fünf und wirst durchfallen, wenn du dich dieses Jahr nicht steigerst", prügelte sie mit Tatsachen auf mich ein.
Ich hinterfragte eben meine Entscheidung den Musikkurs gegen den Kunstkurs einzutauschen.
„Ich möchte bitte dass du die nächsten zwei Stunden hier bleibst und ein Stillleben zeichnest. Suche dir aus was du dafür benötigst es ist alles im Schrank hinten".
Ich hätte mit allem gerechnet aber niemals damit, dass sie mich mit ausgerechnet Maxi alleine in einem Zimmer ließ. Allein durch ihre Aufgabe die sie mir eben zuwies, war ich schon kurz vor dem durchdrehen.
„Ich möchte dass du dein Abitur mit der Glanzleistung ablegst, wie ich dich kennenlernte. Ich weiß dass du das schaffst!", sah sie mir liebevoll ins Gesicht, bevor sie verschwand und die Tür hinter sich ins schloss fallen ließ.
Gut, da wären jetzt nur noch mein Exfreund, welcher so tut als hätte er mir nie etwas angetan und ich, die ihm am liebsten den Kopf abhacken würde.
Zugegeben, mein Körper produzierte in diesem Moment zu viele Hormone an Noradrenalin und Adrenalin. Am liebsten würde ich ihm ohne zu zögern die Kehle herausreißen.
„Du bist wohl doch nicht mehr so ein Streber".
Ich war mehr oder weniger einfach geschockt, dass ausgerechnet Maxi auf meine Schliche kam.
„Das muss ich mir von ausgerechnet dir sagen lassen?", lachte ich auf und versuchte die Wut nicht gänzlich meinen Körper kontrollieren zu lassen.
Was bildet er sich ein?
„Entschuldige. Ich weiß dass der Musikleistungskurs eher etwas für dich war".
Er Entschuldigte sich, jedoch brodelte die Anspielung bezogen auf das was einmal war schon fast in mir über.
„Nicht dass es dich etwas anginge", beherrschte ich mich und sah auf das vor mir quer liegende Blatt Papier.
„Du hast dich stark verändert", sah er zu mir hinüber.
Wenn man in Betracht zog, dass er den letzten noch nötigen Gnadenschuss dazu veranlasste, sollte er eigentlich die Klappe halten und nicht so tun als wäre nie etwas vorgefallen.
„Mira fühlt sich ziemlich angegriffen von dir", murmelte er verlegen, als wüsste er genau was in mir drin passierte.
Es war das Thema, was er vermeiden sollte bevor die sich angesammelte Wut komplett meinen Körper und Geist besaß.
Dennoch versuchte ich mich zusammenzureißen und meinen Mund zu halten, bevor es in einem Riesigen Streit eskalierte, womit unsere Lehrer sowieso das größte Problem damit hätten.
Ich versuchte ihm und seiner Frage aus dem Weg zu gehen, meine Zeichnung anzufertigen um gezwungenermaßen die Noten halbwegs aufrecht zu erhalten.
Mir lag das Zeichnen noch nie und hoffen konnte ich nur auf ein ausreichendes Ergebnis, was mich schnellstmöglich hier raus befördern würde.
„Lerne Mira doch vorerst kennen"-
„Ich möchte sie aber gottverdammt noch mal nicht kennenlernen!", schrie ich ihn an und achtete nicht darauf, dass in den Klassenräumen neben uns Unterricht war.
„Wie kann man nur so selbstgefällig sein?!".
Jetzt brachte er alle Sicherungen zum durchdrehen.
„Ich und selbstgefällig? Wenn dann bist du es und du warst es auch schon immer!", hielt ich die Tränen, welche vor Wut entstanden zurück.
„ich? Du bist einfach abgehauen bevor"-
„Bevor was? Bevor du wieder angekrochen kamst und so tun konntest als wäre nie etwas vorgefallen?", unterbrach ich ihn.
Dass war das erste Gespräch, welches ich mit Maxi tätigte. Ich konnte nicht mal behaupten es wäre im positiven, nein. Es war ein Streit und auch wenn ich ihn einst so liebte, war es genugtuung ihn nach meiner Anschuldigung so verletzlich zu sehen. Es war schon fast Amüsant.
„Hast du zufällig noch eine deiner absolut schlechten Einfälle?", wollte ich wissen und wusste genau ich brachte somit bei ihm das Fass zum überlaufen.
„Du gönnst es mir einfach nicht glücklich zu sein!".
Ich würde es ihm mehr als alles andere gönnen glücklich zu sein, dennoch nicht unter den Umständen.
Ich hatte das Gefühl wir saßen in einem Käfig, welcher die toxischen Eigenschaften unserer Verbindung beinhaltete.
Ich wollte gehen, mal wieder.
„Du hast kein bisschen gelernt von all dem was passierte. Du bist gegangen, Vivienne! Es war deine Entscheidung dich von allem zu lösen und deinen Problemen mal wieder aus dem Weg zu gehen".
Nun ging er einen entscheidenden Schritt zu weit.
„Du warst das einzige Problem! Du hast mich gehen lassen, mit einem billigen Brief! Ich befande mich zwei Jahre in einem Tempel voller Menschen die dachten mir helfen zu können, weil meine Mutter mich ausgesetzt hat. Dein 'ich liebe dich mit jeder Faser meines Herzens', hättest du dir verkneifen können!", brüllte ich ihn an. Tatsächlich überlegte ich einen Moment lang ob es nicht ein Fehler sei, ihm diese tiefgründige Information niederzulegen. Denoch war mir in dem Moment alles egal, ich verspürte Hass.
Hass, welchen ich nicht bändigen konnte.
„Unterstellst du mir grad wirklich, ich hätte dich nie geliebt?!", sagte er entschieden, schon fast kleinlaut. Als hätte ich ihn an einem wunden Punkt getroffen.
„Du verhältst dich wie das größte Arschloch!", schmetterte ich ihm an den Kopf.
Hatte er mich je geliebt?
Ich war mir bisher immer sicher, dennoch kamen eben alle negativen Gedanken über ihn zusammen.
„Niemanden den man aufrichtig geliebt hat, würde man so in den Wind schießen! Hörst du dir eigentlich selbst zu?", sprach ich somit mein Urteil aus, was ich mir im Kopf bildete.
„ Ich wusste verdammte zwei Jahre lang nicht wo du bist, ob es dir gut ging. Keiner wusste das! Ich habe lang genug gewartet, erfolglos!".
„Was erwartest du eigentlich von mir?! Das ich dir das alles verzeihen würde und das als deinen gewohnten Leichtsinn annehme?", antwortete ich direkt.
Unsere Diskussion, schallte durch den gesamten Kunstraum.
Die Worte hallten und ließen somit nicht nur uns beide an der Auseinandersetzung teilhaben. Es war eine Frage der Zeit, bis der erste Lehrer auf uns Aufmerksam werden würde.
„Wie soll ich den deiner Meinung nach reagieren? Du stehst ohne jegliche Vorwarnung auf einmal vor mir, komplett verändert und nicht mehr das Mädchen was ich einst so liebte".
Seine Worte trafen voll ins schwarze.
Es fühlte sich an, als würden alle Narben nochmal aufreißen.
Ich wollte den Gedanken, ihn trotz allem in meiner Zukunft wiederzufinden nicht zulassen, unter keinen Umständen.
Doch genau dies trat in meinem Unterbewusstsein ein. Langsam und quälend, nahm er mir diesen letzten Funken Hoffnung.
Ich atmete einmal tief durch, anders würde ich diese anschleichende innere Panik nicht unterdrücken können.
In solchen Momenten hat mir der kalte Rauch einer Zigarette geholfen, doch auch dies war mir nicht möglich, denn mein Onkel war mir einen Schritt voraus.
Ich trat einen gefährlich großen Schritt an ihn heran.
Ich roch ihn, sein duft gab mir automatisch das Gefühl Zuhause zu sein.
Mein Herz drohte erneut in hunderte kleine Stücke zu zerbrechen, dennoch blieb ich stark.
„Ich wünsche dir dein Glück! Ich hoffe du erreichst all das in deinem Leben, was du dir auch nur vorstellen magst! Dennoch hoffe ich, du zerbrichst eines Tages an dem Gedanken was du mir angetan hast, genaso wie ich diesen unerträglichen Schmerz spürte. Ich hoffe er begleitet dich jeden Tag aufs neue und du wirst ebenso wie ich, keinen Menschen mehr haben der dir Rückenwind bietet".
Mit diesen Worten ließ ich ihn gehen, entschied mich mein Leben ohne ihn und die Hoffnung er würde einst zurückkommen weiterzuführen.
Maxi stand regungslos da und sah mich verdattert an.
Wenn ich nicht wüsste er wäre vollkommen über mich hinweg, hätte ich eventuell einen Funken Verletzlichkeit sehen können.
Er war in meinen Augen gefesselt von den Ketten von Mira.
Ich ging zu meinem Platz, schnappte mir dieses verkorkste Stillleben und entschied mich den Raum zu verlassen, jedoch wollte ich nicht wieder fliehen. Nein.
Mein Plan bestand einzig und allein daraus diesen Raum zu verlassen und in meinen Klassenraum zurück zumarschieren.
„Was erwartest du von mir, Vivienne?", hielt er mich an meinem Oberarm fest, als ich eben das Kunstzimmer verlassen wollte.
„Ich erwarte nichts mehr von dir und um ehrlich zu sein, habe ich das auch nie".
Ich war überrascht dass er sich doch noch aus seiner Starre lösen konnte und zum ersten mal in einem vernünftigen Ton mit mir sprach.

Heyho :)
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