Kapitel 17. Victoria

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Schon vom ersten Augenblick, in dem ich die Frau gesehen hatte, war sie mir verrückt vorgekommen. Sie ähnelte ein bisschen meiner Großtante Clementine. Meine Mutter meinte immer das Tantchen sei nur wegen ihrer Herkunft so wunderlich. Schließlich war sie mit meinem Großvater aufgewachsen. Und der war bestimmt schon als Kind ein echtes Scheusal gewesen. Da konnte man ja gar nicht anders als durchzudrehen. Ich war allerdings der Meinung, dass die Verrücktheit Clementine einfach im Blut lag. Genau wie diese alte Frau trug auch Tante Clementine gerne bunte, schrille Kleider. Ein starker Kontrast zu den Kleidern der restlichen Familie, die allesamt schwarz trugen. Das Tantchen war vor meiner Geburt das schwarze Schaf der Familie gewesen. Doch obwohl Clementine verrückt war, empfand ich für sie immer eine Art Zuneigung, die ich für meine Mutter nicht aufbringen konnte Wir waren beide Außenseiter und deshalb verstanden wir einander. Immer wenn ich bei meiner Tante zu Besuch war und das kam ziemlich oft vor, da sie nur ein paar Häuser von uns entfernt wohnte-die Grabhügel sind ziemlich klein-erzählte sie mir Geschichten aus ihrer Kindheit. Dann erzählte ich ihr Geschichten aus der Schule und über die anderen Vampirkinder. Tante Clementine konnte ich alles anvertrauen. Sie war für mich wie eine Mutter, viel mehr als meine Eigene es je gewesen war. Und obwohl diese Frau dem Tantchen durchaus ähnlich war und ich sie fast schon sympathisch fand, durfte ich ihr nicht trauen. Allein ihr seltsames Verhalten Rubinia gegenüber, ließ Zweifel in mir aufkommen, was die Absichten dieser Fremden waren. Dazu kam noch der Vorfall im Wald. Denn als ich dem Geräusch folgte und dabei immer weiter in den Wald eindrang, hatte diese verrückte Alte mich doch tatsächlich angefallen. Sie hatte mich aus dem Hinterhalt überrascht. Anscheinend war sie aus einer der Bäume herabgesprungen. Ganz schön gefährlich, wenn man die Höhe jener bedenkt. Zu ihrem Glück hatte ich ihren Aufprall ja gut abgedämpft. Geholfen hatte ihr diese Heimtücke aber nicht. Ich hatte sie mühelos überwältigen können. Während dem Weg zu den anderen hatte sie die ganze Zeit nur irgend ein wirres Zeug gebrabbelt von irgendeiner sieben und dass die Sterne nicht gewinnen durften. So seltsam war nicht einmal Tante Clementine gewesen. Als sie dann auch noch zu Rubinia gestürzt war und sich verbeugt hatte, hatte sie  mich vollends von ihrer Verrücktheit überzeugt. Rubinia war in ihrer jetzigen Gestalt schließlich nicht sonderlich königlich. Eigentlich hätte sie nicht unköniglicher aussehen können. Ihr hellbraunes, fast blondes Haar waren verwuschelt, ihre Kleidung war von Blut- und Schmutzflecken übersäht und der blutdurchtränkte Verband machte die Sache auch nicht besser. Als diese Frau ihr fast die Schuhe küsste, blickten ihre blauen Augen uns verwirrt an, als ob wir das Verhalten der Alten erklären könnten. Als niemand ihr zur Hilfe eilte, beugte sie sich hinunter zu der Frau und nahm sie bei den Händen. „Aber gute Frau, sie müssen sich doch nicht verbeugen. Bitte stehen sie auf.“ „Die Prinzessin ist zu gütig zu Enola.” Als die Frau Rubinias Verband bemerkte, keuchte sie auf. “Prinzessin ist verletzt. Enola muss helfen.” Und mit diesen Worte richtete sich Enola auf und lief zum Wald. Ich war einen Moment zu perplex um überhaupt etwas zu tun. Erst nach ein paar Sekunden erwachte ich aus meinem Schockzustand und wollte der Frau schon hinterherlaufen, als Meyra mich zurückhielt. “Warte Victoria. Was macht es für einen Sinn ihr hinterherzulaufen. Sie ist ganz offensichtlich keine Gefahr. Warum dann unnötig Zeit verschwenden indem wir sie suchen? Bleiben wir lieber hier und legen uns hin. Morgen wird ein langer Tag. Vor allem Rubinia braucht ihre Ruhe.” Niemand widersprach ihr, doch obwohl wir uns schließlich wieder ums Feuer versammelten, blieben wir alle wachsam. Niemand machte ein Auge zu. Selbst als die Frau nach einer Stunde nicht zurückkehrte, blieben wir alle angespannt. Doch als eine weitere Stunde verstrich ohne, dass etwas passierte, fielen auch mir langsam die Augen zu. Aus Alex’ Ecke dröhnte bereits ein lautes Schnarchen und auch Rubinia war von der Erschöpfung übermannt worden. Summer war schon halb im Reich der Träume, nur Meyra saß immer noch aufrecht und starrte wachsam in den Wald. “Ich glaubesie kommt nicht mehr zurück.”, flüsterte ich ihr zu. “Ich bleibe trotzdem wach. Sicher ist sicher. Aber du kannst dich ruhig schlafen legen.”, sagte sie und streckte den Rücken durch. Ich konnte ganz genau sehen, wie müde sie war. Das waren wir alle, aber Meyra würde das niemals zugeben. Dazu war sie viel zu stolz. Mir war klar, dass ich sie nicht dazu bringen konnte sich schlafen zu legen und das sinnvollste in dieser Situation war, dass zumindest ich mich ausruhte, damit ich tagsüber fitt war. Trotzdem beschloß ich wach zu bleiben und so richtete ich mich auf und blickte wie Meyra starr in den Wald. “Weißt du, anfangs konnte ich dich nicht leiden.”, begann Meyra. “Das habe ich gemerkt.” Ich schmunzelte. “Lass mich ausreden. Also, anfangs konnte ich dich nicht leiden, aber inzwischen finde ich dich eigentlich gar nicht so schlecht.” Ich lachte leise. Für Meyras Verhältnisse war das wohl das größte Kompliment, dass man von ihr erwarten konnte. “Das kann ich zurückgeben. Obwohl du am Anfang immer etwas, wie soll ich sagen, steif mir gegenüber warst, mag ich dich inzwischen eigentlich sogar. Vermutlich sind wir gar nicht so verschieden.” Wir lächelten uns an. “Freunde?”, fragte ich. “Freunde.” Daraufhin schwiegen wir und starrten weiter in den Wald hinaus. Nach einer Weile ergriff Meyra erneut das Wort. “Weißt du warum ich Fremden gegenüber so misstrauisch bin?” Sie fuhr fort ohne meine Antwort abzuwarten. “Ich bin inzwischen schon seit zwei Jahren im Krieg gegen das Mondreich. Das war ganz schön hart. Glaub mir. Dort wusste ich nie so genau, ob ich Freund oder Feind gegenüber stand und ich konnte nie jemanden wirklich vertrauen. Ich war in dieser Zeit immer auf mich allein gestellt. Selbst bei meinen Kollegen, den Leuten mit denen ich die Unterkunft geteil habe, habe ich nicht vollends über den Weg getraut. Das liegt an einem Vorfall, der in meinem ersten Monat dort geschah. Ich war zusammen mit einem anderen Krieger-Leo hieß er, ein Mensch- zusammen in den Bergen unterwegs. Wir sollten die Gegend auskundschaften. Mitten auf dem Weg fiel er mich an. Er war ein Krieger des Mondreiches. Er wollte mich töten und die anderen Krieger meines Lagers in eine Falle lockern. Ich schaffte es glücklicherweise mich zu befreien. Er schaffte es zwar zu fliehen, doch ich konnte die anderen vor ihm warnen. Obwohl an diesem Tag nichts schlimmes geschah, habe ich von diesem Augenblick an, geschworen nie wieder jemanden so bedingungslos zu vertrauen, wie ich Leo an diesem Tag vertraut habe und das habe ich bis heute auch nie wieder getan.” “Das ist ja schrecklich, Meyra. Aber vertraust du denn Rubinia?” “Das ist eine andere Art von Vertrauen. Sie ist vielleicht die zukünftige Herrscherin vom Sonnenreich. Ich muss sie beschützen. Das ist meine Pflicht.”, antwortete Meyra. “Verstehe.”, sagte ich und schwieg. Und so blickten wir beide weiter stumm hinaus in den Wald.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 22, 2022 ⏰

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