Kapitel 5. Victoria

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Ich hatte gewusst, dass das passieren würde. Dass die Leute weglaufenwürden. Trotzdem war es hart, es tatsächlich zu erleben. In den Augen derMädchen hatte ich pure Panik gesehen. Sah ich so schrecklich aus. Fast hätteich geweint. Doch dann erinnerte ich mich an die Worte meiner Mutter. "Wenndu weinst, dann wissen sie, dass du schwach bist, und das willst du doch nicht,oder?", hatte sie mich gefragt, nachdem ich ihr erzählt hatte, wie dieanderen Vampirtöchter mich fertig gemacht hatten, weil ich kein richtiger,sondern nur ein Halbvampir war. Ich hatte natürlich „nein" gesagt. Schwächewurde von Vampiren nicht geduldet. Vampire sollten skrupellos und gerissensein. Auf keinen Fall schwach. Ich seufzte. Da war es wieder, das Gelächter,das mich auf jedem meiner Schritte verfolgte. Selbst als ich den Schattenwaldverlassen hatte. Aber die Rufe waren verstummt. Es war ein Segen, zumindestdiese Erinnerungen zurückzulassen. Ich schaute noch einmal in mein Amulett. Daslächelnde Gesicht meines Vaters schaute mir entgegen. "Nicht aufgeben!",schien es mir zuzurufen. Ich atmete tief durch. Dann stand ich auf und setztemeinen Weg fort. Weiter, immer weiter. Bald würde ich das Wirtshaus erreichen.Mein Magen knurrte. Vielleicht sollte ich vorher noch etwas jagen. Doch als ichum mich blickte verwarf ich den Gedanken schnell. Links ging es steil nachoben. Nur Steine-dort würde ich bestimmt nichts finden. Und rechts... dasselbe.Ich seufzte. Was hätte ich jetzt für einen Hirsch gegeben. Einer der Vorteileein Halbvampir zu sein war, dass ich kein menschliches Blut zum Überlebenbrauchte. Trotzdem musste ich Tierblut zu mir nehmen. Das tranken andereVampire zwar auch, doch sie brauchten echtes Menschenblut, sonst starben sie.Mein Magen machte sich wieder bemerkbar. Ich sollte wohl besser mal einen Zahnzulegen. Ich überlegte: In der Gaststätte gab es doch bestimmt auch einenHühnerstall, oder ähnliches. Ich müsste es noch nicht einmal stehlen, Goldhatte ich genügend. Meine Mutter brachte immer das der Wanderer mit, die sieüberfallen hatte. Sie meinte immer, es glänze so schön und es wäre dochverschwendet, wenn es da einfach nur so rumliegen würde. Und nun würde es mirtatsächlich zum ersten Mal nützlich sein. Bei dem Gedanken an Blutbeschleunigte ich automatisch meine Schritte. Bald war ich so schnell, dass mirder Wind scharf ins Gesicht schnitt. Ich liebte es zu laufen. Es fühlte sichfast so an, als würde ich fliegen. Obwohl das echte Fliegen noch schöner war.Obwohl ich es hasste, ein Vampir zu sein, hatte es durchaus seine Vorteile. Eswar schön mit meiner Mutter oder allein Ausflüge als Fledermäuse in den Wald zumachen. Das war aber auch die einzige Möglichkeit, um mit meiner Mutter Zeit zuverbringen. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie schämte sich für mich.Schließlich war ich der einzige Beweis dafür, dass sie sich in einen Menschenverliebt hatte. Menschen waren Nahrung, keine möglichen Partner fürs Leben. Dashatte mein Großvater meiner Mutter sehr deutlich klar gemacht, nachdem ermeinen Vater umgebracht hatte. Als ich geboren wurde, hatte er eigentlichvorgehabt auch mich umzubringen, aber meine Mutter konnte ihn überzeugen, dasses falsch wäre mich zu töten, wo ich doch zur Hälfte ein Vampir war. Vielleichtwar das ein Fehler von ihr gewesen, denn als Halbvampir führte ich in den Grabhügelnkein sonderlich schönes Leben. Die anderen Vampirkinder fanden mich seltsam,vor allem da ich keine Dunkelmagie besaß. Bis heute hatte ich nicht einmal deneinfachsten Dunkelzauber vollbracht. Eine Schande, wo Vampire doch diemächtigsten aller Dunkelmagienutzer waren. Die erwachsenen Vampire beäugtenmich misstrauisch, so als ob ich ihnen irgendetwas zuleide tun könnte. Dabeiwar das Gegenteil der Fall. Ich war zwar genauso schnell, wie andere Vampireund was Verwandlungen anging, übertraf ich einige älteren Vampire sogar, dochwar da immer noch die fehlende Dunkelmagie und ich war auch nicht so stark, wiemeine Altersgenossen. Ich war noch deutlich stärker als ein Mensch, aber selbsteinige jüngere Vampire konnten mich im Armdrücken besiegen. Während ich vormich hin grübelte, veränderte sich die Landschaft. Die Berge zogen sich zurückund endlich wuchs auch wieder Gras und nach einer Weile kamen Lichter in Sicht.Schließlich war ich nah genug, sodass ich Umrisse von Häusern in der Dunkelheiterkennen konnte. Ich wurde langsamer je näher ich dem Dorf kam. Ich wollte esnicht zugeben, aber ich hatte Angst vor einer weiteren Begegnung mit denMenschen. Ich hatte Angst, sie könnten wieder weglaufen. Natürlich war eslächerlich vor so etwas Angst zu haben. Es war schließlich nur natürlich, dassdie Menschen wegliefen, wenn sie mich sahen. Doch es war trotzdem immer wiederschmerzhaft, daran erinnert zu werden, wer ich war und was meine Art tat, um zuüberleben. Als ich das Dorf erreichte blieb ich stehen. Unschlüssig was jetztzu tun war. Was würde ein normaler Reisender machen? Ich wollte zum Wirtshaus,deshalb musste ich jemanden nach dem Weg fragen. Ob so spät noch jemand draußenwar? Diese Sorge erwies sich als unbegründet. Ich brauchte nur ein paar Schrittezu gehen und schon erblickte ich die ersten Menschen. Ein junges Paar, das wohlgerade von einem romantischen Spaziergang zurückgekommen war. Okay, ich hatteMenschen gefunden. Jetzt zu Schritt zwei, ich musste sie ansprechen. "Tutmir leid, können Sie mir helfen? Ich suche das Wirtshaus. Wissen Sie, wo dasliegt?", fragte ich in bemüht freundlichen Ton. Leider hatte die Dame wohlmeine Fangzähne bemerkt. Ich hatte ganz vergessen sie mit meiner Oberlippe zuverdecken. An meinen Augen konnte es nicht liegen. Ich hatte darauf geachtetmeine Haare möglichst vorteilhaft in mein Gesicht fallen zu lassen. Die Damestieß einen spitzen Schrei aus und schrie: "Vampir!" Jetzt wusstevermutlich das ganze Dorf Bescheid. Es blieb mir also nur eine Möglichkeit. Ichrannte los, schnappte mir die Dame und stieß sie in eine dunkle Seitengasse. Das Ganze war so schnell gegangen, sodass ihr Begleiter vermutlich nur einen schwarzen Blitz gesehen hatte. Die Frau wimmerte. Sie dachte natürlich, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. "Du verrätst mir jetzt, wo das Wirtshaus liegt, dann lasse ich dich vielleicht am Leben.", raunte ich ihr zu. Obwohl sie immer noch wimmerte, schaffte sie es schließlich mir etwas zuzuflüstern: " Die Straße runter, dann rechts abbiegen und dann müssen Sie einfach dem Bratengeruch folgen." Ihre Stimme zitterte. Ich hasste es, Leute auf diese Art und Weise zum Reden zu bringen, aber entweder redeten sie so oder gar nicht. Da ich nun die Wegbeschreibung hatte, ließ ich die Dame los und steuerte schnurstracks auf die Gasse zu, aus der ich gekommen war. Da vernahm ich hinter mir die piepsige Stimme der Frau. "Warum haben sie mich nicht umgebracht?", fragte sie. Ich stutzte. Es war ganz schön mutig von ihr einen Vampir das zu fragen. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut. "Nicht alle Vampire sind so." Ich merkte selbst wie traurig sich meine Stimme anhörte, doch kümmerte mich nicht. Dieser jungen Frau war es egal, was ich fühlte und sie würde sich bestimmt nicht über mich lustig machen. Schnell schritt ich weiter. Ich ging bei der nächsten Kreuzung rechts und tatsächlich brauchte ich kurz darauf nur dem Duft zu folgen. Aus dem Wirtshaus drang Lärm. Dass es zu so später Stunde noch so gut besucht war, verwunderte mich und eine böse Vorahnung machte sich in mir breit. Vor so vielen Menschen könnte ich niemals verbergen, dass ich ein Vampir war. Einem würde es auffallen und dann würde Panik ausbrechen. Ich traf einen Entschluss. Als ich das Wirtshaus betrat, schob ich mir nicht die Haare ins Gesicht. Ich versuchte nicht meine blasse Haut zu verdecken. Nein, heute und hier, würde ich nicht verbergen, was ich war. Ein paar Leute in der Taverne blickten auf, als ich den Raum betrat. Als sie mich sahen, erblassten sie und stießen ihre Gesprächspartner an. Kurz darauf war es stumm im Raum. Unter den Menschen entdeckte ich auch die beiden Mädchen, die mir im Wald begegnet waren. Auch sie blickten erschrocken auf. Dachten sie ich wäre gekommen, um das nachzuholen, was ich im Wald verpasst hatte? Ich ignorierte die Blicke der Gäste und schritt langsam zu einem freien Tisch. Niemand regte sich, nur die Dielen quietschen unter meinen Füßen. Als ich mich setzte, bewegte sich immer noch niemand. Nur eine Bedienung kam zu meiner Verwunderung mit einem Notizblock und einem entschlossenen Gesichtsausdruck auf mich zu. Ich schmunzelte, anscheinend gab es doch noch ein paar mutige Menschen auf dieser Welt. Schließlich blieb sie direkt vor meinem Tisch stehen. Ich konnte hören, wie sie einmal tief Luft holte und dann fragte: "Was darfs sein?"

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