So, jetzt komme ich auch mal wieder dazu etwas hochzuladen. Ich spreche auch direkt mal eine ⚠️Triggerwarnung: Krankheit, Tod⚠️ aus! Vielleicht tut es sich der ein oder andere ja trotzdem an...🙈 Über Feedback freue ich mich natürlich immer!😊
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"Mami? Alles gut?", frage ich meine Mutter schwach, als sie wieder einmal abwesend aus dem Fenster starrt. Das macht sie sehr häufig, seit ich wieder hier in der Klinik bin. Sie sieht dabei so traurig aus, dass ich auch total traurig werde. "Ja, mein Engel, es ist alles gut.", sagt Mama bestimmt und lächelt mich sanft an. Ich weiß, dass nichts gut ist. Ich sehe, wie sehr sie mit sich ringt. Ich sehe die Tränen in ihren Augen schimmern, die sie mit aller Macht zurückhält. Sie hat sich in letzter Zeit verändert. Sie hat tiefe Falten auf der Stirn und dunkle Schatten unter den viel zu rötlichen Augen. Ich sehe, wie sie tief durchatmet, um sich zu sammeln, bevor sie wieder zu mir kommt. "Mami, ich weiß, dass du mich anlügst. Warum machst du das? Was ist los? Du sagst doch selbst immer, dass ich nicht lügen soll.", stelle ich traurig fest und sinke erschöpft in die Kissen. Sie schaut kurz zu Boden, um den Blick dann wieder auf mich zu richten und sich zu mir ins Bett zu legen. Ich spüre ihre Hand, wie sie mir über den kahlen Kopf streichelt. Noch einmal atmet sie tief, bevor sie ganz ruhig sagt: "Es ist wirklich nichts. Ich liebe dich nur so sehr, mein Engel, und habe große Angst dich zu verlieren." Das scheint zumindest eine Halbwahrheit zu sein. Ich gebe mich damit zufrieden und nicke leicht. Mir fehlt ohnehin Energie weiter darauf einzugehen und meine Lider beginnen zu flattern. Ich kann einfach nicht mehr. "Ruh dich aus, schlaf ein wenig, Engel.", höre ich meine Mama sagen, bevor sie mir noch einen Kuss auf die Stirn gibt und ich erschöpft in ihrem Arm einschlafe.
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Als ich zur Tür hereintrete, sehe ich Steff neben unserem kleinen Spatz in dem großen Krankenhausbett liegen. Er scheint zu schlafen, während sie sich mit erschrocken zu mir umdreht. Dicke Krokodilstränen laufen stumm über ihr Gesicht. Sie versucht schnell sie wegzuwischen, was ihr nicht recht gelingt, da immer wieder neue Tränen den Weg über ihre Wangen finden. "Entschuldigung.", murmelt sie leise nach dem sie sich aufgerichtet hat und will direkt im Bad verschwinden. Doch im letzten Moment erwische ich ihren Arm und halte sie davon ab. Sie sieht mich zunächst verständnislos an, doch als ich sie ganz nah zu mir ziehe und meine Arme fest um ihren zierlichen Körper lege, zuckt sie leicht und bricht entgültig zusammen. Ihre Schluchzer durchschneiden die Stille, während sie sich wie eine Ertrinkende an mich krallt. Mein T-Shirt ist binnen Minuten von ihren Tränen völlig durchnässt, aber das ist mir völlig egal. Ich spüre ihre Verzweifelung und es macht mich wahnsinnig ihr nicht helfen zu können. Irgendwann löst sie sich etwas von mir und schaut mir in die Augen. "Warum, Thomas? Warum muss unser Baby sterben? Er ist doch erst drei. Wo ist das denn bitteschön fair?", krächzt sie und fängt wieder an hysterisch an schluchzen. Auch aus meinen Augenwinkeln lösen sich nun kleine Tränen. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass unser Engel sehr bald von uns gehen wird und ich ertrage es nicht, Steff so leiden zu sehen. Seit dem man uns gesagt hat, dass der Kleine austherapiert ist, schläft und isst sie nicht, verlässt das Zimmer nur um auf die Toilette zu gehen und jedes Mal wenn der Kleine schläft bricht sie zusammen und kann nicht aufhören zu weinen. Sie wird von Tag zu Tag dünner und man merkt ihr mehr und mehr an, wie die Situation sie von innen und außen zerstört. Ich versuche stark für sie zu sein, doch ich weiß, dass sich diese Wunde nie ganz schließen wird. Bei uns beiden nicht. Plötzlich ertönt ein lang anhaltendes Piepen. Wir schauen beide alarmiert auf und starren auf die rote Linie auf dem Monitor, die eigentlich den immer schwächer werdenden Herzschlag unseres Kindes aufzeichnet. Noch bevor wir beide uns aus unserer Starre lösen können, wird auch schon die Tür aufgerissen und ein Arzt und zwei Schwestern rennen ins Zimmer. Wir werden zurückgehalten, als wir zu unserem Sohn gehen wollen. Ich halte Steff fest in meinem Arm, als sie verzweifelt versucht sich loszureißen, um zu unserem Engel zu gelangen. Ihre Tränen tropfen auf den Boden und auch ich weine. Nach einigen Minuten, die sich wie Stunden angefühlt haben, kommt der Arzt zu uns und spricht die Worte aus vor denen wir uns so gefürchtet haben: "Es tut mir Leid, wir können nichts mehr für ihn tun. Sie können jetzt zu ihm und sich verabschieden." Steff und ich treten unter Tränen zum Bett unseres Sohnes. Jeder nimmt eine seiner kleinen Hände und setzt einen Kuss darauf. "NEIN! Noch nicht heute! Das ist nicht wahr! Er ist nicht tot! Das kann nicht sein! Wenn die ihm nicht helfen wollten, dann muss ich es tun!", schreit Steff plötzlich hysterisch und schafft es nun doch sich von mir los zu reißen. Mit einem Satz ist sie auf dem Bett und beginnt mit einer Herzdruckmassage und Beatmung. "Steff...", krächze ich heiser. Sie reagiert nicht. "Steff!", ich werde lauter. "NEIN! Ich kann ihn nicht sterben lassen! Ich muss ihn doch beschützen! Ich bin doch seine Mama...", schreit Steff, doch sie wird immer leiser. "Steff...wir habe ihn beschützt, immer!", sage ich nun sanft unter Tränen, lege meine Hände auf ihre Schultern und zwinge sie mich anzusehen. Ihre sonst so strahlenden Augen sind so leer und verlieren jeden Glanz, als sie plötzlich die Realität trifft. "Er ist tot...", ist das einzige, was sie herausbringt, bevor sie heftig zusammen zuckt und erneut zusammenbricht. Ich schaffe es gerade so sie aufzufangen, sonst wäre sie einfach zu Boden gegangen. Ich ziehe sie so nah es geht zu mir. Meine Tränen tropfen auf ihr dunkelbraunes Haar. Es tat so weh unseren Engel da liegen zu sehen. Tot. Steff wird derweil von Schluchzern durchgeschüttelt, die ihr die Luft zum Atmen nehmen. Als ich merke, dass sie nicht mehr auf mich reagiert und anfängt panisch nach Luft zu schnappen, rufe ich einen Arzt, der ihr etwas zur Beruhigung spritzt. Kurze Zeit später schläft sie in meinen Arm. Ich streiche ihr eine schweißnasse Strähne aus dem Gesicht und sehe zum Bett hinüber. Er liegt dort so friedlich, als würde er schlafen. Meine Tränen lasse ich einfach laufen. Eine tiefe Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich trage Steff rüber zum Bett und lege sie zu unserem Baby. Dann lege auch ich mich dazu. Das ist der letzte Moment, wo unser Engel noch bei uns ist. Ich muss Kraft daraus ziehen. Besonders für Steff. Unser letzter kleiner Familienmoment.
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Durch ein leises, mir nur allzubekanntes Wimmern neben mir werde ich aus dem Schlaf gerissen. Verschlafen reibe ich mir die Augen und drehe mich um. Es ist 02:37 Uhr. Neben schläft Steff mal wieder sehr unruhig. Ich sehe wie sie am ganzen Körper zittert und wie immer wieder kleine Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervortreten. Natürlich kann ich sie nicht ihrem Albtraum ausgeliefert lassen und rüttel leicht an ihren Schultern. Als sie endlich erschrocken die Augen aufreißt, fällt sie mir wortlos in die Arme und weint bitterlich. Ich lege ihren Kopf an meine Brust und halte sie einfach fest, versuche ihr die Liebe und Geborgenheit zu geben, die sie jetzt braucht. Nachdem sie sich nach einigen Stunden etwas beruhigt hat, beginnt sie mir mit bebender Stimme von ihrem Albtraum zu erzählen. Nun kann auch ich ein paar Tränchen nicht verdrücken. Auch ich habe schon oft, darüber nachgedacht, was aus uns geworden wäre, wenn unser Engel es damals nicht überstanden hätte. Ich ziehe Steff noch näher zu mir und hauche ihr einen sanften Kuss auf den Scheitel. "Oh Schatz, unser Engel, liegt im Zimmer nebenan und schläft friedlich. Er hat es damals geschafft. Komm mit, Süße.", sage ich sanft und helfe ihr dabei sich aufzurichten. Arm in Arm schleichen wir rüber zum Kinderzimmer. Ich muss Steff festhalten, da sie sonst einfach umfallen würde, zu viel Kraft hat sie dieser Albtraum gekostet. Als wir vor dem Bett unseres Zwerges stehen und ihn ruhig atmen hören, beginnt Steff erneut zu weinen, dieses Mal ist es pure Erleichterung. Nachdem wir unserem Engel noch kurz bei schlafen zugesehen haben, hebe ich Steff sanft auf meinen Arm und trage sie wieder in unser Bett. "Danke Thomas!", murmelt sie und schaut mir dabei tief in die Augen. Ich wundere mich kurz wofür sie mir jetzt dankt, doch bevor ich nachfragen kann, fährt sie mit leiser gebrochener Stimme fort: "Du bist mein Anker, mein ein und alles. Ich liebe dich so sehr. Ohne dich hätte ich die letzten drei Jahre nicht verkraftet. Danke, dass du so stark bist und immer für mich da und dass du mich nach diesen schrecklichen Albträumen wieder auffängst. Die Bilder sind so klar, als wäre es die Realität, ich schaffe es einfach nicht sie loszuwerden. Ich weiß nicht, was ich ohne doch machen würde und fühle mich so schlecht, weil es dir selber auch so schlecht ging und geht. Ich möchte dich nicht auch noch zusätzlich belasten. Es tut mir leid, dass ich so schwach bin." Wieder weint Steff stumme Tränen. Auch mir kommen zwischenzeitlich die Tränen, da die Zeit in der unser kleiner Engel so schwer krank war auch bei mir eine Narbe auf dem Herzen hinterlassen hat. Dennoch wische ich mir tapfer über die Augen und richte noch ein paar Worte an Steff: "Meine Süße, du bist nicht schwach. Die Situation damals war durch und durch schrecklich. Ich habe die Bilder auch noch oft im Kopf. Und Steff?" Ich warte, bis sie mich aus ihren rotgeweinten Augen anschaut und fahre fort: "Bitte bitte, denke nicht, dass du mich belastest. Wenn du die Last nicht alleine tragen kannst, dann können wir wir es zu zweit. Bitte verschließe dich nicht vor mir." Als Antwort legt Steff nur den Kopf an meine Brust und nickt. Sie weint wieder, ihre Tränen tropfen auf mein T-Shirt, doch das ist mir völlig egal.
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Es tut so gut hier bei Thomas zu liegen. Er schafft es jedes Mal mich zu beruhigen, aber weitergehen kann es so nicht. Ich merke, die sehr mir das alles - die Albträume, die Panikattacken und Ängste - an die Supstanz geht. Die Situation hat mich krank gemacht. Ich bin ein nervliches Wrack. "Thomas? Meinst du, es wäre sinnvoll eine Therapie zu machen? So kann es nicht weitergehen. Ich halte es nicht mehr aus.", spreche ich meinen Gedanken aus. Es schaut mich an und sagt dann: "Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wir könnten auch eine Familienreha machen. Der Zwerg hat sicher unterbewusst auch einiges zu verarbeiten." Ich nicke nur, während mir bei dem Gedanken, was unser Engel schon durchmachen musste, schon wieder die Tränen kommen. Thomas zieht mich fest in seine Arme und ich klammere mich einfach an ihn. Er gibt mir Halt, ist mein Fels.
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Ein halbes Jahr später geht uns allen viel besser. Acht Wochen haben wir gemeinsam in der Familienreha verbracht und so vieles hat sich zum guten gewendet. Der Kleine blüht mittlerweile wieder richtig auf, denn auch ihn hat es unterbewusst belastet, dass Steff und ich seine schwere Krankheit nicht verarbeiten konnten. Steffs Albträume werden immer weniger. Sie werden wohl nie ganz verschwinden, aber wir haben einander und das ist alles was zählt. Auch mir geht es deutlich besser. Man kann sagen, dass die Reha ein voller Erfolg war und wir nun endlich mit etwas Verspätung wieder in unser Leben als normale Familie mit einem gesunden Kind starten können. Die Angst vor einem Rückschlag bleibt zwar, aber sie rückt immer mehr in den Hintergrund.