In unserer Erinnerung ~ Part 2

104 6 0
                                    

~Steff~
Ich kriege kaum Luft, so fest hält Luca mich an sich gedrückt, aber es tut mir gut, gibt mir den Halt, den ich irgendwo in meiner Gedankenwelt lange verloren hatte. Die Kälte ist langsam verschwunden, nachdem ich mich in Lucas Umarmung geklammert habe. Ich fühle mich nicht mehr einsam, weine mittlerweile auch vor Erleichterung. Erleichterung darüber, dass ich nicht mehr alleine mit meinen Gedanken bin. Mit den Gedanken an meinen Vater, den ich heute noch einmal mehr vermisse, als an all den anderen Tagen sowieso schon. Denn heute ist es genau 20 Jahre her, dass er gegangen ist. Normalerweise verkrieche ich mich jedes Jahr um diese Zeit in Thomas sicherer Umarmung. Doch das ist hier nicht möglich, mehr als 10.000 km trennen mich von ihm. Allein der Gedanke daran lässt mich wieder stärker weinen. Sanft wiegt Luca mich hin und her, versucht mich irgendwie zu beruhigen. Ich bin so dankbar, dass er bei mir ist, obwohl er nicht mal weiß, was los ist. Es fühlt sich an als würden wir uns schon ewig kennen.

~Luca~
Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass sie sich langsam beruhigt, aber wie aus dem Nichts hat sie gerade wieder zu zittern begonnen. Ich löse mich sanft von ihr und lege ihr ihre Decke über die Schultern. Sie soll nicht frieren. Ich muss innerlich grinsen... Frieren bei 27 Grad? Also normal ist das definitiv nicht, aber ich hatte sie in den letzten Wochen kennengelernt und sie ungeschlagen der verfrorenste Mensch, den ich kenne. Schnell schiebe ich den Gedanken beiseite, als Steff erneut herzzerreißend aufschluchzt. Ich lege meinen Arm wieder um sie und lasse zu, dass sie sich an mich lehnt. Wieder rede ich ihr gut zu, frage mich, was es ist, was sie so dermaßen aus der Bahn reißt. Lange sitzen wir so da, bis sie sich irgendwann langsam beruhigt hat. "Tut mir leid...", ist das Erste, was sie heiser über die Lippen bringt. Ich versichere ihr schnell, dass ihr nichts leid tun muss. Sie sieht mich aus ihren rot geweinten Augen dankbar an, bevor sie den Blick in die Ferne wendet und erneut stockend zum Sprechen ansetzt: "Heute vor 20 Jahren ist mein Vater verstorben... und Johannes' Version von ,In meiner Erinnerung' hat mir nochmal mehr vor Augen geführt, was ich damals verloren habe. All die Fragen, die ich ihm nie stellen konnte, all die Dreh- und Angelpunkte in meinem Leben, die er nicht mit mir erleben durfte. Er hat damals schon gesagt, dass Thomas und ich früher oder später zusammen kommen und ich habe ihn ausgelacht. Er wäre so glücklich gewesen, Thomas an meiner Seite zu wissen und Motti, er wäre der stolzeste Opa in ganz Bautzen gewesen. Es ist nun schon so lange her, dass er gegangen ist, aber ich muss immer noch ständig weinen... mein Herz ist so voll mit wunderschönen Erlebnissen und Erinnerungen und diesem besonderen Schicksal der Band, dass ich das so gern mit der ihm teilen würde. Ich würde ihn so gerne stolz machen..." Wieder laufen Steff Tränen über die Wangen. „Hör mal zu, Steff", setze ich an und warte, bis ich ihre volle Aufmerksamkeit habe: „Johannes hat vollkommen recht, dein Papa wäre so unfassbar stolz auf dich! Jeder hier und alle deine Liebsten sind unfassbar stolz auf dich, weil du dich nicht unterkriegen lässt. Du stehst immer wieder auf und machst das Beste aus allem und mit ,In meiner Erinnerung' hast oder ihr den Leuten einen wunderschönen Song geschenkt, mit dem sich so viele identifizieren können. Das ist wirklich stark, du bist unfassbar stark, Steff!" Sie schaut mich immer noch weinend an, nachdem ihr Versuch sich zu beruhigen und die Tränen weg zu wischen kläglich gescheitert ist. „Ich bin überhaupt nicht stark, ich heule ständig und schaffe es nicht einmal mich zusammenzureißen. Und ich vermisse Thomas und Motti so...", schluchzt sie leise. „Vielleicht nicht heute, aber du musst uns hier auch nichts beweisen. Jeder von uns versteht, dass es dir heute nicht so gut geht, jeder von uns versteht, dass du weinst. Ich weiß, dass das jetzt gerade für dich vielleicht schwer ist zu sehen, aber die Tränen, deine Emotionalität sind eine riesengroße Stärke. Nicht jeder hat den Mut seine Tränen zu offenbaren." Steff schluchzt leise an meiner Schulter und erwidert nichts mehr. Nach eigenen Minuten schlage ich vor Thomas per FaceTime anzurufen. Sie nickt leicht und schaut mich völlig verweint an, als plötzlich das Funkeln in ihren Augen zurückkehrt.
***tbc***

Silbermond-SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt