Gedenktag

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Lumen klopfte das Herz bis zum Hals, als Patrick nach dem Einleitungswort des Pfarers an die Kanzel trat und eine wunderschöne Rede über Rosalie hielt. Er sprach über ihr Leben, ihre Selbstlosigkeit und Aufopferung und schließlich über den Schmerz, den ihr Abgang in vielen Herzen hintergelassen hat. Die ganze Zeit hielt sie den Atem an und kämpfte mit den Tränen. Patricks Stimme zitterte und auch wenn er sich tapfer hielt, wusste sie, dass es ihm nicht leicht fällt, vor solcher Menge an Leuten über seine verlorene Liebe zu reden. Zumal wenn er das Vetrauen in Menschen verloren hatte, nachdem sie ihn nach Rosalies Tod fast alle im Stich gelassen haben. Sie bewunderte ihn dafür, dass er trotzdem den Mut gefunden hat und noch einmal die Seelenmesse für sie halten ließ.

Und diesmal blieb fast kein Auge trocken. Vielleich wurde den Einwohnern mittelerwile klar, welch einen wunderbaren Mensch das Dorf verloren hat und dass der Junge, der jetzt vor ihnen steht, unendlich darunter gelitten hatte. Sie hätten doch alle längst bemerken müssen, dass Patrick nicht in Orndung ist und wie ein Geist durch das Gegend läuft!

Hatte sich denn niemand von ihnen je gefragt, ob er vielleicht eine Hilfe gebrauchen könnte? Oder haben sie sich einfach nicht getraut, ihn zu fragen?

Lumen schüttelte innerlich den Kopf und ihr wurde wieder einaml bewusst, was für ein Zufall es doch war, dass die Wege des Schicksals sie hierher geführt hatten und zwar gerede noch rechtzeitig. Schließlich - nur dank der Trennung von Roland hatte sie Paddy kennen und liebenlernen dürfen und nur dank ihrem Unfall im Wald hatte er nicht seinem Leben ein Ende gesetzt. Alles hat sein Gutes, pflegte ihr Opa immer zu sagen, wenn er noch lebte. Sie stimmte ihm jetzt vollkommen zu.  

"Du warst wundervoll, ich bin so stolz auf dich", flüsterte sie ihm ins Ohr, als sie später in der Kapelle standen, wo sie vorher Rosalie eine Kerze angezündet und frische Rosen in die Vase gestellt haben. Er drückte nur dankbar ihre Hand und gab ihr einen Kuss aufs Haar. Nach der Messe war er irgendwie nachdenklich und still, was sie absolut nachvollziehen konnte und auch wenn sie neugierig war, was ihm durch den Kopf geht, wollte sie ihn nicht mit Fragen durchlöchern.

"Soll ich dich mal mit ihr alleine lassen?", fragte sie nach einer Weile der Stille leise und machte Anstalten, nach draußen zu gehen. Doch er hielt sie zurück und schüttelte den Kopf.

"Lass uns gegen", sagte er lediglich und ergriff ihre Hand. Sie machten sich auf den Weg zum Hof, weil sie vor dem Mittagessen bei Lumens Oma noch Clouseau Gassi führen wollten. Erst als sie den Wald erreichten, blieb Paddy plötzlich stehen und sah sie unsicher an.

"Was hast du denn?" erkundigte sie sich vorsichtig, nachdem er sich mehrmals durchs Haar fuhr, wobei sich ein paar langen Strähnen aus seinem Zopf lösten.

"Ich habe überlegt... also eigentlich haben es einige meiner Geschwister schon mal erwähnt, dass ich, ähm... dass ich vielleicht eine Terapie machen könnte", sprach er zögerlich aus, worauf er verlegen beide Hände in die Hosentasche schob und ihrem Blick auswich.   

"Nicht nur könntest du das, sondern auch solltest, Patrick", warf sie vorsichtig ein und legte behutsam beide Hände auf seine Schultern. Sie riskierte zwar, dass er vielleicht wieder ausflippt, doch sie wollte seinen unvermuteten Einfall unbedingt unterstützen. Ihr kam diese Idee schon früher, aber sie wollte ihn natürlich zu nichts drängen. Es musste von ihm selbst kommen.

"Du hast eine schwere Zeit durchgemacht; plötzlich einen geliebten Menschen verloren. Du weißt doch, dass es besser wäre, wenn du darüber mit jemandem sprichst, der sich auskennt", flüsterte sie, gleichzeitig versuchend seinen Blick zu gewinnen.

"Ja, ich weiß es, nur...", seufzte er und sah sie endlich an. "Was wenn das nicht klappt? Was wenn mich dieser jemand einfach nicht versteht und ich mich nur lächerlich mache?" sprudelte es aus ihm heraus und er rieb sich nervös seine Nase.

Zwischen den ÄhrenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt