Schlüssel zum Geheimnis

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Die ersten Tage waren schwierig. Lumen hatte Mühe, sich auf's Studium zu konzentrieren und nicht ihre Gedanken zu Patrick schweifen zu lassen. Wenn sie gerade nicht in den Skripten lag, beschäftigte sie sich mit Malen oder machte stundenlange Spaziergänge. Oft hatte sie lange bei der Kapelle gesessen und führte Gespräche mit Rosalie, oder eher mit sich selbst.

Den ersten Sonntag hatte sie keine Lust in die Kirche zu gehen, doch sie wollte ihre Oma auch nicht mehr ärgern. Es reichte schon, dass sie auf ihre ständigen Fragen nach Patrick sehr gereizt reagierte und sich immer wieder in sich zurückzog. Sie hatte oft schlechtes Gewissen, weil ihre Oma keine Ahnung hatte, warum ihre Enkelin so abwesend gewesen war. Sie dachte, dass Lumen immer noch ihr Trauma aus der Trennung mit Roland verarbeitete und überschüttete sie mit ihrer liebevollen Pflege.

"Ich komme später, warte nicht mit dem Mittagessen auf mich," kündigte sie ihrer Oma nach der Messe an. Sie wollte heute Patrick's Haus besuchen und überprüfen, ob alles in Ordnung war.

"Aber du wirst etwas essen, oder? Sieh dich doch an, du verlierst dich vor den Augen. Und noch etwas. Ich brauche, dass du irgendwann unseren Schuppen ausräumst. Die Bedachung fängt sich an einzubrechen, jemand muss es endlich reparieren, sonst bleibt nur ein Haufen von Kleinholz davon übrig. Nachdem dein Großvater verschieden ist, fällt mir alles auf den Kopf!" beschwerte sie sich und Lumen's Gewissen ließ wieder von sich hören. Sie sollte ihrer Oma mehr mit dem Haushalt helfen.

"Sobald ich morgen aus der Schule komme, mache ich mich an die Arbeit," versprach sie.

"Wo gehst du eigentlich hin?" wollte noch Oma wissen.

"Nur Patrick's Hof zu kontrollieren. Ich habe es ihm versprochen!" rief Lumen, während sie sich ihrer Oma entfernte.

"Du wirst noch Bäuerin werden!" lachte Oma, doch Lumen wank nur mit der Hand und eilte davon, damit sie weitere Diskussion vermied.


Der Schlüssel lag wie abgesprochen in der Traufe. Der Hof sah traurig aus und Lumen setzte sich in den Kopf, dass sie ihn ein bisschen zum Leben erweckt. Die Fenster wirkten wie dunkele Löcher. Schade, das die Sommer am Ende war, sonst würde sie darauf ein paar Blumentöpfen stellen.

Sie betrat den kalten Vorraum und kam sich ein bisschen wie ein Einbrecher vor. Es war seltsam, ohne Patrick hierher zu kommen. Sie konnte sich kaum vorstellen, hier allein zu leben. Sie war schon immer ein Hasenfuß, manchmal musste sie sogar bei der eingeschalteten Lampe schlafen. Eine Gänsehaut breitete sich über ihren Körper aus, als sie durch den düsteren Flur ging und nur ihren Atem und den Klang ihrer Schritte hören konnte.

"Du bist komisch!" sagte sie zu sich und schüttelte den Kopf. Die Spannung fiel aus ihr herunter, sobald sie das helle Wohnzimmer betrat. Es war Richtung Südosten orientiert, so dass die warmen Sonnenstrahlen gerade durch die Fensterscheiben durchdrangen und den Raum beleuchteten. Es war angenehm warm hier. Sie öffnete eines der Fenster, um eine summende Fliege zu erlösen und ein frisches Luft herein zu lassen.

"Und was jetzt?" brummte sie vor sich hin und kratzte sich auf dem Hinterkopf. Sie sah sich um und ihr Blick fiel auf einen Notizblock, der auf der Küchenzeile lag. Es war eine Nachricht für sie.

Liebe Lumen,
willkommen in meinem Königtum! Ich danke Dir nochmal, dass du dich um ihn kümmern wirst, solange ich fort bin. Es wird nicht viel deiner Zeit kosten, ich verspreche! Ich bitte nur darum, ab und an die Fliegen zu entlassen und den Dachboden nachzusehen, da sich dorthin ab und an ein Vogel verirrt. Kannst du auch die Rose giessen, die auf der Laube wächst? Sie bedeutet mir viel...

Sonst tu als ob du zu Hause wärts. Wie man in Spanien sagt: Mi casa es tu casa!

Patrick

Zwischen den ÄhrenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt