Alter Bekannte, neue Hiobsbotschaft

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Karla war nirgendwo zu sehen, doch das störte Lumen nicht, weil sie ohnehin nur noch nach Hause wollte. Sie hatte keinen Bock, sich noch mit Karla auseinanderzusetzen. Es war schlichtweg nicht ihre Aufgabe, ihr zu sagen, dass Filip sie nicht mehr heiraten wollte und dass in seinem Herzen immer Platz für eine andere Frau gewesen ist. Es war nur seine Pflicht, Karla auf den Boden der Tatsachen zu holen und ihr den reinen Wein einzuschenken. Sie wollte damit nichts zu tun haben.

Aufgewühlt kam sie im Flur angerast und den fragenden Blick ihrer Oma ignorierend, die gerade den Boden wischte, stampfte sie die Treppe hoch zu ihrem Zimmer. Dort pfefferte sie ihre Tasche in die Ecke und ließ sich seufzend aufs Bett fallen. Was für ein Tag! Und noch war er nicht zu Ende. Sie sollte sich am Abend mit Patrick treffen und ihr wurde ganz schlecht bei der Vorstellung, dass sie alles, was Filip ihr erzählt hatte, würde wiederholen müssen.  Was er wohl dazu sagen wird? Wird er überrascht sein oder wird er es nicht glauben können? Oder wusste er bereits, dass Rosalie und Filip früher so etwas wie beste Freunde waren? Aber warum denn hatte er es nie erwähnt? Und falls er davon keine Ahnung hatte, warum verheimlichte ihm Rosalie so etwas? Schämte sie sich etwa, dass Filip ihr Freund gewesen ist? Frage über Frage tauchte in ihrem Kopf auf.

Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und überlegte, ob es eigentlich gut für ihre Seelenwelt war, Filip besucht und die Wahrheit über seine Beziehung zu Rosalie erfahren zu haben. Immerhin hatte Patrick mit der ganzen Sache abgeschlossen - oder er behauptete es mindestens und es ergab keinen Sinn mehr, sich damit weiterhin zu beschäftigen. Doch wenn sie ganz ehrlich sein sollte, musste sie sich selbst eingestehen, dass sie sich mit Patricks Entscheidung nicht zufrieden gab. Tief im Inneren wollte sie herausfinden, was wohl hinter Rosalies Tod stünde. Denn sie konnte einfach nicht glauben, dass das mürbe Geländer schuld gewesen sei. Rosalie muss doch diesen Steg gekannt haben, um zu wissen, dass es gefährlich war, sich über das Gelände zu beugen. Überdies war ihr ein Rätsel, warum selbige so etwas mitten in der Nacht machen würde, wenn es da doch nichts zu sehen hatte geben können. Und noch etwas ließ ihr keine Ruhe. Und zwar die Angst, dass Patrick eines Tages bereuen könnte, dass er die Wahrheit nie erfahren hatte. Jetzt war er vielleicht mit dieser Tatsache versöhnt, aber was wenn er irgendwann doch bereuen würde, dass er die Forschung aufgegeben hatte? Was wenn sich der Mörder weiterhin ohne Strafe in der Umgebung rumtreiben und vielleicht sogar jemand anderen umbringen würde? Wo bleibt dann die Gerechtigkeit? Es war einfach viel zu viel im Spiel.

Irgendwann schlief Lumen wegen der lauten Gedanken ein und träumte irgendein wirres Zeug. Filip heiratete Karla, die eigentlich wie Rosalie aussah, nur mit kunterbunten Haaren und in schwarzem Kleid gekleidet, Patrick war ihr Zeuge und hat die ganze Zeit geweint, während sie selbst in der hintersten Reihe stand (die Kirche war überfüllt von Hochzeitsgästen) und war unfähig, sich zu bewegen. Zu ihrem Entsetzen hat sie festgestellt, dass der Pfarrer eigentlich ihre eigene Oma sei, die ein überdimensionales Priestergewand trug.

Das Gesicht ihrer Oma war auch das Erste, was sie sah, als sie keuchend aus diesem verrückten Traum aufwachte.

„Ich wollte nur fragen, was passiert ist", erklärte Oma, die sie sorgenvoll musterte. „Du bist ohne ein Wort im Zimmer verschwunden und jetzt wälzt du dich stöhnend im Bett herum."

„Hab nur schlecht geträumt", nuschelte sie und setzte sich auf. Ihr Herz pochte bis zum Hals und sie spürte, wie ihr der Schweiß über den Rücken läuft.

„Ach, Liebes!", lächelte Oma sie vielsagend an. „Ich kenne dich schon zu gut um zu erkennen, dass du mich nur abwimmeln willst. Du kannst mir ruhig sagen, was oder wer dich so durcheinander gebracht hat! Du solltest bereits wissen, dass du mir vertrauen kannst."

Zwischen den ÄhrenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt