Ich wachte auf. Es war schwer, meine Augenlieder zu öffnen, doch ich kämpfte gegen das beißende Licht. Als ich eine klare Umgebung hatte, erschrak ich. Ich lag in einem anderen Bett, ich war in einem anderen Raum. Ich schaute mich um. Es war sehr minimalistisch eingerichtet. Das große Fenster an der Seite hatte keine Vorhänge, wodurch mich die Sonne direkt anstrahlte. Mit zusammengekniffenen Augen stand ich auf. Der Fliesenfußboden war kalt unter meinen nackten Fußsohlen, doch ich tapste trotzdem zur Tür. Ich versuchte sie zu öffnen. Unerwarteter Weise ohne Widerstand. Nun erstreckte sich mir ein scheinbar endlos langer Gang, bei dem man kaum erkennen konnte, wo die weißen Wände aufhörten und der Fliesenfußboden begann. „Ah! Sie sind auch schon wach.", sagte plötzlich eine ältere Stimme, die aus meiner linken Richtung kam. Die Frau sah alt aus. Sie lächelte mich freundlich an und bat mich daraufhin mit zum Frühstück zu kommen. Ich war verwirrt. Ich wollte gerne wissen wo ich war und wie, in Gottes Namen, ich hierher gekommen war. Ich hatte keine Angst vor der Frau, aber sie verwirrte mich nur noch mehr. Stotternd fragte ich: „Äh, wo bin ich hier eigentlich und wie bin ich hierher gekommen?" Die Frau lächelte jetzt noch breiter und antwortete dann: „Folgen Sie mir bitte, um neun Uhr erfahren sie alles." Plötzlich lief sie los. Trotz, dass ich zwei Köpfe größer als sie war, musste ich mich beeilen um mit ihr Schritt zu halten. Sie war sehr förmlich gekleidet, in einem Minirock und einer weißen Bluse. Auf der Bluse konnte ich ein Zeichen erkennen, es kam mir irgendwie bekannt vor. Sie lief den gesamten weißen Gang hinunter, bis er an einer hellgrauen Milchglastür endete. „Hier können Sie frühstücken, Miss." Mit einer Chipkarte öffnete die Frau die Tür und mir enthüllte sich ein riesiger Saal, in dem sich viele Menschen aufhielten. Ich betrat den Raum so vorsichtig, als glaubte ich, dass überall Fallen aufgestellt worden waren. Ich schaute an mir herab. Ich hatte immer noch meinen Jogginganzug an und nach einer Nacht sahen meine Haare und mein Gesicht wahrscheinlich auch nicht so toll aus. Ich strich durch meine hellblonden welligen Haare, um sie irgendwie zu bändigen, doch ich traf nur auf Knoten. Ich schlenderte zu den riesigen aufgestellten Buffet-Tischen und betrachtete das großzügige Angebot. Mir war etwas flau im Magen, also entschied ich mich nur für einen Apfel. Die Menschen um mich herum redeten wild durcheinander und wirkten, als seien sie in Gespräche vertieft. Die meisten trugen einen hellblauen Ganzkörperanzug und eine klobige Armbanduhr. Auf ihren Anzügen war ebenfalls ein großes verschnörkeltes Logo zu erkennen, unter dem vermutlich der Nachname der Person stand. Die älteren Menschen trugen Krawatten und einen Anzug oder die Frauen kurze Röcke mit Blusen. An ihren Jacken konnte ich das Logo ebenfalls wiederfinden. „Ah, da sind Sie ja!", rief eine männliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und auf mich kam ein etwas älterer Herr mit braun-grauem Haar zu. Er trug einen dunkelblauen Anzug und sah generell sehr förmlich gekleidet aus. Ich fühlte mich total falsch an diesem Ort, vor allem in meiner Kleidung. Ich war so perplex über die Situation, dass ich den Mann einfach nur anstarren konnte und versuchte ihm so aufmerksam wie möglich zuzuhören. „Sind Sie sicher, dass Ihnen der Apfel reicht? Heute wird ein anstrengender Tag werden." Ich antwortete auf seine Frage nicht, stattdessen schoss eine Frage aus mir heraus: „Könnten Sie mir erst einmal sagen, wie ich hierher gekommen bin und warum ich überhaupt hier bin?" „Alles mit der Zeit.", sagte der Mann entspannt, „Sie werden noch rechtzeitig mit allen Informationen versorgt werden." Der Mann führte mich in einen weiteren Raum hinter dem Speisesaal und er entpuppte sich mir als ein prachtvoller Hörsaal. Dort saßen bereits mehrere Teenager in meinem Alter. Sie alle trugen Alltagskleidung und sahen verschlafen aus. „Setz dich bitte.", sagte der Mann und verschwand. Ich setzte mich in die zweite Reihe neben ein zierliches Mädchen mit schwarzen Locken. Sie hatte kaffeebraune Haut und ein wunderschönes Gesicht. Als ich Platz nahm lächelte sie mich an und begrüßte mich. „Hallo. Ich bin Belinda. Und du?" „Lousia.", sagte ich und versuchte dabei den großen Knoten in meinen Haaren aufzulösen. „Möchtest du vielleicht ein Haarband?", fragte sie zögerlich. „Bitte!", stöhnte ich und wir beide lachten. Belinda war mir sehr sympathisch, obwohl ich erwartete, dass das Haarband, das sie mir anbot, aufgrund der Welle war. Trotzdem war ich dankbar, es bekommen zu haben. Ich flocht mir einen französischen Zopf. Ich bemerkte, dass auch Belinda ihren Schlafanzug trug. Plötzlich schaltete sich das Licht aus und ein Bühnenlicht erschien. Erst jetzt registrierte ich die prachtvoll gestaltete, mit marmorbodenversehende Bühne. Auf ihr waren dicke schwere Säulen platziert, golden verziert, ich kam mir vor wie in einem Schloss.
Ein sehr schlanke Frau kam mit einem hochnäsigen Gang auf die Bühne. Der ganze Saal war still. Ich hatte fast das Gefühl, dass mich die Stille gleich erdrücken würde. Mein Herz schlug mir bis in den Kopf. Das Klackern ihrer knallroten Highheels war in rhythmischen Abständen. Ich begutachtete jeden einzelnen Schritt, den sie tat. „Guten Morgen liebe Anwärter." Die Frau ließ ihren Blick über die kleine Menge an unwissenden Menschen schweifen. „Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diese Mission ihre einzige sein wird, dass Sie dieser Mission nachkommen müssen. Sie werden Uniformen bekommen, diese immer tragen, Unterricht wird stets wahrgenommen. Akzeptieren Sie diese Voraussetzungen nicht, sehen wir Sie als Unterstützer George Rileys." Ein riesiger, leicht adipöser Junge hob seine Hand. Die Frau forderte ihn zum Sprechen auf. Er räusperte sich: „Heißt das, wenn wir bei dem Krams nicht mitmachen wollen kommen wir in den Knast?" „Sie scheinen die Gesetze zu kennen.", antwortete die Frau. „Das ist Erpressung", dachte ich mir, „Was auch immer die Mission sein mag, sie müsse so gewaltig sein, dass man ihr freiwillig nicht nachkommen will. Außerdem, warum Anwärter?" In einer dieser unzuverlässigen Dokumentationen hatte ich bereits über das Gesetz gehört, jegliche Art der Unterstützung George Rileys ist strafbar, obwohl sich die Menschen eigentlich nicht mehr kontrollieren konnten. Unfair fand ich das, obwohl George der Letzte war, dem ich folgen würde. „Zu guter Letzt, liebe Anwärter, im 13. Stock unseres Auditoriengebäudes finden Sie ihren Unterrichtsraum, in dem Sie in 15 Minuten ihre erste Stunde haben werden. Wir werden Sie in ihrer Uniform erwartet!" Dann drehte sich die Frau um. Als sie zu uns zurückschaute rief sie: „ Worauf warten Sie?" Plötzlich sprangen alle um mich herum auf und liefen aus dem Saal. Verwirrt folgte ich Belinda und der Menge. An der Tür baumte sich ein Stau auf, da alle ihre Uniformen erhielten. Ich fühlte mich erpresst, unterdrückt und das einzige, was ich tun konnte war gehorchen. Unterstützer Rileys sind abartige Menschen, die zurecht wie Dreck behandelt werden, wenn sie selbst entscheiden haben. „Knast" heißt hier nicht Gefängnis, es ist der eigene Begriff für das Verbrechen, dass höher bestraft wird als der Mord, es heißt Versklavung und der Tod am lebenden Leibe. Diese Informationen hatte ich nun alle aus dubiosen Nachrichtenportalen. Ich musste mehr gehorchen als in der Schule und mehr als in den Gesetzen der Polizei. Es war ernst. Ich wollte mein Leben nicht so früh verlieren, auch, wenn es eigentlich nicht lebenswert war. Der Staat war komisch. Für heutige Verhältnisse. Er sorgte immer noch nicht dafür, dass alle Menschen Hilfe bekamen. Ich war außerdem verblüfft darüber, wie sie es überhaupt schafften, Menschen Leid zuzufügen.
An der Tür erhielt ich eine dunkelrote Uniform. Sie war sehr schlicht und auch auf ihr konnte ich das verschnörkelte Zeichen erkennen. Es war gold. In zarten Buchstaben konnte ich meinen Namen geschrieben erkennen. Woher kannten Sie meinen Namen? Eigentlich war es klar. Sie waren das Ministerium, sie wussten alles, und ich wusste nichts.
Belinda schaute mich ebenfalls sehr erstaunt an. Leise flüsterte sie mir ins Ohr: „Ich hab etwas Angst." Das hatte ich auch.
Mit dem Strom liefen wir durch den Speisesaal über den weißen Flur zu großen Umkleideräumen, ebenfalls alles weiß. Hier trennten sich die Jungen und die Mädchen, um sich umzuziehen. Als ich mich in meinem Anzug im Spiegel betrachtete, war ich erstaunt. Das Ministerium hatte wirklich alle Daten, der Anzug fühlte sich an, wie eine zweite Haut. Trotz, dass er direkt an der Haut lag, hatte ich volle Beweglichkeit. „Wow", stieß eine Stimme in der Nähe hervor. Ich drehte mich um und sah Belinda. Sie trug den gleichen Anzug wie ich und sah umwerfend aus. „Zu dir ein „Wow"", sagte ich. Sie lächelte geschmeichelt. An ihr war alles perfekt, ihre Augen so hellbraun, fast grau, das Lächeln strahlend und ihre Haare... Solche Haare würde ich mir auch wünschen. Belinda hatte sie zu einem lockeren Zopf gebunden, ich mochte es. Ein paar Locken vielen aus dem Dutt heraus, in ihr Gesicht.
Ich richtete meinen Zopf, dann gingen wir gemeinsam aus der Umkleide heraus und suchten nach einem Treppenaufgang. Das Gebäude war sehr weitläufig. Wir liefen den Gang hinunter zu der einzigen vertrauten Tür. Der Speisesaal. Ich drückte die Türklinke herunter, doch sie gab Widerstand. „Ist sie abgeschlossen?", fragte Belinda besorgt. „Ich denke schon.", erwiderte ich. „Wir dürfen nicht zu spät kommen." „Das ist unser Auftrag, unsere erste Prüfung.", sagte ich. „Was?" „Wir müssen einen Ort finden. Den Unterrichtsraum. Wer ihn nicht findet, wird aussortiert." „Vermutest du.", hoffte Belinda. „Ich hoffe, dass meine Vermutung falsch ist." Wir sahen uns an. Ich erinnerte mich an die klobigen Uhren am Handgelenk jedes einzelnen. Ich suchte nach einer Tasche an meinem Anzug. Ich wurde fündig. „Ha!", rief ich erfreut und hielt eine Swatch in der Hand. Ich schaltete sie ein und ein Text erschien. „Hallo Miss L. Girgend." Anschließend wurde mir die Uhrzeit angezeigt. 10:03 Uhr. Aber wo war denn überhaupt der Raum? Auf dem Display der Swatch suchte ich schnell und eifrig nach einem Lageplan. Als ich zu Belinda schaute, sah ich, wie sie ebenfalls an ihrer Swatch tippte, aber sichtlich verwirrt schien. Plötzlich stieß aus mir eine Frage heraus: „Wurdest du nicht von der Welle getroffen?" „Was?" „Du bist hilfsbereit, aber anders. Du fragst nicht ständig... Du weißt schon was." „Ich glaube jeder wurde von der Welle getroffen, die einen mehr, die anderen weniger. Früher oder später hilft jeder doch jedem mal." „Mag sein." Plötzlich atmete Belinda scharf ein: „Sieh! Hier ist ein Bauplan des Gebäudes. Warte... komm, wir müssen diesen Gang herunter!" In zügigen Schritten folgte ich Belinda. Hinter mir liefen zwei weitere Mädchen. Sie waren verwundert und wussten nicht, wie sie zum Raum gelangen sollten. Als wir an einem Treppenhaus ankamen sprach mich das eine Mädchen an: „Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind? Ich will nicht zu spät kommen!" Verdattert schaute ich das Mädchen an. Es interessiert uns doch nicht, wie sie zum Raum kommt. Dabei sprach sie auch noch so abwertend. „Seit wann arbeiten wir zusammen?", fragte ich forsch. „Arbeite lieber mit mir, sonst würde es dir später wahrscheinlich noch Leid tun." Bei diesem Mädchen war ich mir sicher, sie konnte nicht von der Welle getroffen sein. Sie drohte mir. „Droh mir nicht! Aber du darfst uns folgen." Belinda schaute mich stutzig an. Ich erwiderte ihren Blick, indem ich mit den Schultern zuckte. Es schadete uns schließlich nicht, wenn sie uns hinterherläuft. Außerdem könnte ich eh nicht viel daran ändern. „Schön.", sagte sie unzufrieden, „Ich bin Viktoria. Tochter von Travis Eclenbourgh. Er ist der Leiter dieser Schule." „Schule?!", stieß es aus mir heraus. „Ja Schule. Was denkst du denn, soll es sonst sein?" „Egal." Ich zweifelte daran, dass man es „Schule" nennt, schließlich ist es Zwang, nicht der alltägliche Zwang, sondern Drohung. Eine etwas Schlimmere. „Travis Eclenbourgh", dieser Name ging mir durch den Kopf. Er kam mir bekannt vor, klang wie der Name eines reichen Mannes. „Dann solltest du doch am besten wissen, wo hier die Räume sind, nicht wahr?", sagte ich zu Viktoria. „Möglicherweise habe ich nicht das beste Gedächtnis.", sagte sie vorwurfsvoll, als könne ich etwas dafür. Ich musste schmunzeln, worauf sie mir einen stechenden Blick zuwarf. Belinda mochte Viktoria nicht, man konnte es ihr ansehen. Ich mochte sie auch nicht, fand es aber ganz praktisch, sie auf meiner Seite zu haben. Das Mädchen hinter ihr sagte kein Wort. Sie hatte kinnlanges dunkelbraunes Haar, wie eine Kastanie. Viktorias Haar hingegen war knallrot, zu einem sehr strammen Zopf gebunden und ihr Körperbau superschlacksig. Ihr Anzug betonte ihren, meiner Meinung nach viel zu schlanken Körper noch.
Als wir nun im Stockwerk ankamen, erstreckte sich uns wieder ein scheinbar endlos langer weißer Gang mit vielen weißen Türen. Kein Wunder, dass man hier keine Orientierung hatte. An diesen Türen standen aber wenigstens Buchstaben. Unser Raum war Raum L. Die Tür stand offen, wir wurden erwartet. Wir waren nicht die letzten, aber auch nicht die ersten eintreffenden. Ein mittelgroßer Mann begrüßte uns herzlich. Er war mir gleich sympathisch.
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ORIGANUM- Die blaue Welle (pausiert)
Teen FictionVor acht Jahren geschah das Unmögliche. Niemand hatte erwartet, dass George Riley sein Werk wirklich vollendet und niemand hat gedacht oder auch nur ein kleinen wenig erwartet, dass es dieses Ausmaß nehmen würde. Ich habe diese Bilder noch sicher im...