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„Folgt mit bitte!", hallte es durch den Flur, als M. Rodd voran ging. „Wir gehen jetzt in den Garten, ein paar Survial-Tricks lernen." Survival-Tricks, was wollte er uns denn beibringen, wie wir uns einige Beeren pflücken?
Über eine Außentreppe gelangen wir in den Innenhof, oder eher in einen der vielen Innenhöfe. „Nehmt bitte, wenn ihr es nicht schon getan habt, eure Swatch aus eurer Hosentasche. Ihr werdet nun den Umgang damit lernen." Ich schaute auf mein Handgelenk, an das die silberne Swatch gebunden war. „Außer eurem Namen erkennt sie eure Vitalparameter, drückt doch mal drei Sekunden lang an der rechten Seite." Ich hielt gedrückt. Plötzlich änderte sich der Bildschirm und es stand in einer komischen Schrift: Vitale Parameter werden berechnet... Cool, dachte ich mir. Dann erschien mir eine Tabelle mit Parametern von der Körpertemperatur bis zu meinem aktuellen Menstruationszyklus. Ich war etwas erschrocken, dass die Uhr so viele Daten über mich sammeln konnte. „Sieh mal!", Belinda zeigte auf ihr Display. Sie hatte, während M. Rodd einigen anderen versuchte, den Skill zu zeigen, eine Seite gefunden, auf der man das Hintergrundbild ändern konnte. Es gab Tiere, Pflanzen und Berühmtheiten als Bilder. „Zeig mal, ich will das auch!", sagte ich.
„Mädchen! Es ist wichtig, dass ihr zuhört. Es tut mir leid.", schallte es hinter uns aus M. Rodds Mund. „Entschuldigen Sie bitte, Sir." Er nickte. Ich sah Belinda kurz an und konnte wahrnehmen, wie ihre Mundwinkel zitterten. Sie versuchte nicht zu lachen, was mich dazu brachte, nur noch breiter zu grinsen. Doch ich sollte fokussiert bleiben, M. Rodd hatte recht. Es ist keine Schule. Es ist keine Schule, denn in der Schule hatte man Spaß. Hier hatte man keinen Spaß. „Wofür ist diese Messung gut?" Er zeigte auf einen schüchtern wirkenden Jungen, der mir zuvor nicht aufgefallen war. Er trug eine schwarze Trainingsjacke mit dem Zeichen darauf, wir alle hatten so eine bekommen. Dazu hatte er schwarze, ins Gesicht gefallene Haare und eine schwarze Jogginghose. „Keine Ahnung.", stieß es leise aus ihm hervor. „Du bist schüchtern, was dich allerdings nicht daran hindern sollte, die Antwort einfach zu sagen, es ist peinlicher etwas nicht zu wissen, als etwas falsch zu wissen. Wenn du das Falsche gesagt hast weißt du, dass es falsch war und es kann dir nichts mehr zu Leide tun. Wenn du allerdings nichts sagst, dann kann es sein, dass du nie die Antwort erfährst. Also, wofür ist diese Messung gut?" Der Junge starrte M. Rodd mit einem finsteren Blick an. Er war gut, doch M. Rodd auch. Sie starrten sich eine Weile gegenseitig an und eine spannende Stills umschloss den Gold-braun blühenden Innenhof. „Ich denke für Situationen, in denen wir uns verletzt haben könnten und unser Körper noch Adrenalin und Cortisol ausschüttet. Wir merken dadurch manchmal nicht, dass wir eine Verletzung haben. Wir könnten uns dadurch schneller versorgen, vorausgesetzt, wir lernen, wie man Wunden verbindet und so weiter." Ich war überrascht über die ausführliche Antwort des Jungen und freute mich, dass M. Rodd ihn dazu gebracht hatte, zu reden. „Das ist richtig, Aiden. Hat jemand von euch noch eine Frage?" Aiden also, ein schüchternes Genie. Als M. Rodd seinen Namen aussprach zuckte er in sich zusammen und entfernte sich wieder Ei Stück von der Gruppe. Ich stellte eine Frage: „Sie hat jetzt nicht so viel mit den Messwerten zu tun, aber was ist das?" Ich zeigte auch das Symbol auf Aidens Jacke. „Ah. Das ist das Origanum. Es ist eine Mischung aus den Buchstaben BWG und R. Wegen Blue Wave und George Riley, das wird euer erstes Thema in Historik werden." Ich schaute zurück auf Aidens Jacke. Jetzt konnte ich es auch erkennen. Seltsam sah es irgendwie aus und es verwunderte mich, dass nicht Eckenbourghs Initialen darin standen, sondern die des schlimmsten Menschen aller Zeiten. Ich fragte aber nicht weiter nach. Wir lernten noch über das integrierte Lexikon etwas, über die Aufnahmefunktion und den GPS-Tracker.
„Wo können wir die Vase hinstellen?", fragte Maya mich. „Vielleicht auf das Regal dort." Ich vermisste meine Bücher und Decken und den alten Sessel meiner Oma, doch ich dachte mir, dass ich diese Dinge eine Weile nicht mehr sehen werde.
„Das wird alle bestimmt ganz schön lange dauern.", sagte Belinda plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. „Was meinst du?", fragte Maya, ehe ich reagieren konnte. „Unsere Ausbildung. Wir haben jetzt die Einführung. Die Einführung in ein System, dass es schon 8 Jahre lang gibt, denke ich. Wir wissen nicht, warum wir hier sind oder warum wir diese Anzüge tragen, wie groß dieser Campus ist oder was die alte Dame über dieses Institut weiß. Wir wissen gar nichts und ich glaube, es wird ewig dauern, bis wir die staatlichen Gründe dafür herausgefunden haben." „Ich finde wir sollten M. Rodd das nächste Mal, wenn wir ihn sehen fragen, ob alle hier nicht von der Welle getroffen wurden und vor allem falls es so ist, warum." „Gute Idee. Was glaubst du denn?", fragte mich Maya. Ich wusste nicht, ob ich darauf überhaupt antworten sollte: „Wem oder Was soll man heutzutage eigentlich noch glauben?" Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung."
Plötzlich dröhnte ein dumpfer Ton über uns. Er hallte durch die Flure und ließ uns in eine Schockstarre gleiten: „Liebe Anwärterinnen und Anwärter, Liebe Lehrkräfte, Liebe Ausgebildeten, dass Mittagessen ist angerichtet." Lea öffnete die Tür unseres Zimmers und schritt langsam aus dem Flur. Wir folgten ihr und liefen zum Speisesaal. Als wir hereinkamen begrüßte uns M. Rodd sehr freundlich und bat uns zu einem riesigen runden Tisch. „Ihr dürft euch ruhig schon etwas nehmen.", sagte er. An dem Tisch standen mehrere gut duftende Töpfe mit Frikadellen, einer braunen Soße und Rotkohl sowie Kartoffeln. Ich nahm mir von jeden ein wenig und begann zu essen. Es schmeckte mir, aber es war längst nicht so gut, wie die Gerichte meiner Mutter. Auch Belinda und die anderen nahmen sich etwas aus den Töpfen. Als wir alle aßen und miteinander sprachen, merkte ich nun, wie es sich anfühlt, wenn man die Person am Tisch ist, mit dem Origanum auf der Kleidung, in ein Gespräch vertieft. Für mich kam das alles heute morgen noch so abstrakt vor, doch jetzt saß ich ebenfalls hier und sprach mit den anderen Anwärtern.
Stille breitete sich im Saal aus: „So. Ein neues Update.", schallte es aus den riesigen Boxen, die an der Decke hingen. „Unsere MSE ist aufgestellt. Sie werden ORIGANUM ausführen und vernichten. Es sind die Besten, die wir finden können. Jedem von ihnen wird eine Aufgabe gegeben, die perfekt auf ihn und seinen Körper abgepasst ist, so können wir ORIGANUM dank Travis Eclenbourgh ausführen."
Die Stille im Saal wurde nun durch tobenden Applaus verschluckt. Ich klatschte mit, hatte aber kaum etwas verstanden. „Das Logo ist also der Plan?", fragte ich Belinda neben mir flüsternd. Sie zuckte mit den Schultern und sagte dann: „Mister Rodd meinte doch, dass es Blue Wave George Riley heißt", bei Riley wurde sie leiser, „und dass ORIGANUM vernichtet werden sollte, meinte die Frau gerade eben. Also denke ich, dass es eine Art Code-Wort sein soll." Ich schaute sie an: „Aber ORIGANUM ausführen und vernichten? Es muss zwei Bedeutungen haben." „Keine Ahnung, es war schließlich nur eine Idee." Die Gespräche begannen weiterzugehen und es wurde wieder etwas lauter im Saal. Ich konnte das alles aber nicht normal finden, ich konnte mich nicht damit abfinden, dass ich keine andere Wahl hatte. So wirkte dieser Ort nicht. Es wirkte so, als könne man raus, als könne ich durch die Eingangstür gehen und es würde niemanden interessieren, doch ich wusste, es war so nicht. Mister Rodd bat uns, am Abend wieder zu kommen, gegen 19 Uhr, in den uns mittlerweile bekannten Innenhof, von dort würden wir dann eine Exkursion um das Außengelände machen. Wir sollten uns warm anziehen, denn es sei kalt draußen. Ich wusste nicht, ob wir noch in London waren. Ich wusste schließlich immer noch nicht, wie ich hierher kam. Es war auch etwas zweitrangig im Moment. Lieber hätte ich gewusst, wie ich möglichst schnell fort komme.

Die dunkelblaue ORIGANUM Jacke hielt gut warm, wie ich feststellte. Draußen war es mittlerweile schon dunkel, die Sonne war längst untergegangen. Ich war ein wenig müde. Ein Tag und so viele Eindrücke. Ich wollte nach Hause, aber Jammern brachte auch nichts.
„Hier ist der Grenzzaun. Bitte übertretet ihn nicht, er ist wie ein Laser, der euch in den Tod reißt. Tut mir echt leid für diesen Ausdruck, aber niemandem hier wird gestattet das Gelände zu verlassen, wenn er nicht ausdrücklich eine Aufforderung dafür bekommen hat. Also haltet euch an die Regeln." Ich atmete scharf aus und eine kleine Rauchwolke bildete sich vor mir. Mein Herz pochte laut. Nein, es war nicht der Gedanke, sich zu erlösen, es war der Gedanke umringt von Mord zu sein. Es zerriss meine Psyche. Ich konnte mir mein Leben nicht aussuchen, aber ich konnte machen, was ich wollte damit. Ich wollte es nutzen, ich wollte nicht so sterben. Ich wollte meinen Tod sinnvoll einsetzen.
„Ihr werdet das Gelände schon übermorgen verlassen müssen. Es geht nach New York. Dort retten wir alle. Oder wir vernichten uns endgültig.", Mister Rodd sagte es mit Traurigkeit in der Stimme, als hätte man es bereits versucht und wäre gescheitert. Ich hatte recht mit meiner Vermutung. „Es ist jetzt acht Jahre her, dass Riley die blaue Welle oder wie wir es nennen, das große ORIGANUM ausgelöst hat." Steven meldete sich daraufhin plötzlich, wie ich es der Aufforderung zu sprechen, von M. Rodd zu verstehen bekam. „Warum heißt es ORIGANUM?", fragte er. „Latein Steven, Oregano. Die Pflanze ist sozusagen das Gegenmittel. Sie ist aber auch das Gift. Es ist wie eine Impfung, du gibst das Virus in abgeschwächter Form, um Antikörper dagegen aufzubauen. Ich staunte.
Wir werden Origanum ausführen und vernichten, hatte es zu Mittag aus den Boxen des Speisesaals geschallt. Jetzt konnte ich das erst verstehen. Oregano war irgendwie der Auslöser für diese Weltkrise, aber sogleich das Gegenmittel, wenn es abgeschwächt wird. Ich traute mich zu Wort und hob meine Hand hoch über meinen Kopf. „Louisa?" Ich räusperte mich leise und sagte dann: „Aber was war noch in dem Serum, dass die blaue Welle ausgelöst hat?" „Ich weiß es nicht. Eclenbourgh erzählt es niemanden und er erzählt auch nicht, woher er es weiß. Er meinte, er möchte nicht, dass jemand anderes ein Gegenmittel herausfindet und es schneller an den Tag legt als er." Bewusst schaute Mister Rodd nicht zu Viktoria. Ich wusste nicht wie Travis Eclenbourgh aussah, ich kannte lediglich seine raue Stimme durch die Boxen. „Werden wir ihn kennenlernen?", fragte ein anderes Mädchen. Viktoria fiel ihr ins Wort und meinte dann: „Werden wir nicht. Er schlägt sich nur mit wichtigen Menschen herum." Ich fand, dass wir ziemlich wichtig sind, und wenn Eclenbourgh unbedingt die Welt retten will, dann solle er doch selbst nach New York fahren und das Serum auslösen. Oder ORIGANUM ausführen und vernichten. „Nun Gut. Ich wollte euch eigentlich nur diese Begrenzungen zeigen. Ich weiß, dass ich gesagt habe, dies sei der momentan sicherste Ort, doch er ist es nur, wenn ihr tut, was man von euch will. Redet mit niemandem darüber, was ihr wisst und was ihr nicht wisst. Es wird hier gnadenlos ausgenutzt." „Wie meinen Sie das?", Belinda spaßte nicht. Sie wirkte etwas verängstigt, ich vermutete wegen der Frau aus dem alten Fundbüro. Sie wusste nun, dass wir nichts oder viel zu wenig über die BWGR-Sache (Blue Wave George Riley) wussten, doch auch M. Rodd wusste schließlich, dass wir nichts wussten. Er hätte uns in jeder Sekunde anlügen können. Wir hätten es ihm abgekauft.

ORIGANUM- Die blaue Welle (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt