3. Kapitel

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Das Königreich vor sich zu sehen, kam Rapunzel unwirklich vor. Vor allem, weil sie wusste, wer hier herrschte: Sie erkannte Goldmarie und der König von den Illustrationen. Ihre Eltern waren nah.

"Saftige Birnen! Junges Mädchen, Ihr wirkt, als könntet Ihr eine Stärkung vertragen", bot eine Händlerin an.

Rapunzel liebte frisches Obst. "Gerne."

Die Frau streckte ihr die leere Hand entgegen. "Ein Silberstück."

Unsicherheit kam in ihr auf. "Ich habe kein Silber." Wofür auch? Mutter Gothel hatte alles in den Turm gebracht, was sie gebraucht hatte.

"Keine Münzen, keine Birnen." Die Frau sah sie mit ungeduldiger Miene an.

Plötzlich drückte jemand ihr ein Silberstück in die Hand. "Ich zahle für die Dame."

Rapunzel drehte sich um. Ein junger Mann stand hinter ihr, die rote Uniform zeigte, dass er Soldat des Königs - ihres Vaters - war. Freundliche blaue Augen strahlten unter dem schwarzen Helm hervor, der mit einer goldenen Feder geschmückt war. "Der König ist stets darauf aus, den Besitzlosen zu helfen. Ihr solltet euch ein Beispiel an seiner Großzügigkeit nehmen."

Die Dame senkte beschämt den Kopf. "Verzeiht."

Er nahm die Birnen entgegen und reichte sie Rapunzel. "Stets zu Diensten."

"Vielen Dank", entgegnete sie.

Er tippte gegen seinen Hut und lächelte sie an, sein Lächeln war mindestens so schön wie das von Prinz Phillip. "Habt noch einen schönen Tag."

"Wartet!" Rapunzel sah ihre Chance. "Ihr arbeitet für das Königspaar?"

"Korrekt."

"Ich möchte sie treffen."

Der Soldat runzelte die Stirn. "Das Königspaar empfängt keinen Besuch."

"Warum?"

Rapunzel folgte seinem Blick zu einem Gemälde, welches ihre Eltern mit einem Baby zeigte. Im Hintergrund war das fiese Gesicht des Kobolds abgebildet. "Es trauert. Es ist genau sechzehn Jahre her, dass sie um den größten Schatz beraubt wurden, den sie hatten. Deshalb ist der König so großzügig - Gold und Geld zu verteilen und anderen zu helfen, lindert seinen Schmerz."

Rapunzel straffte ihre Schultern. "Teilt dem König mit, dass das Trauern ein Ende hat", sagte sie und richtete sich auf. "Die Prinzessin ist zurückgekehrt."

~~~

Er glaubte ihr nicht. Trotzdem brachte er sie zum Schloss und führte sie in einen Saal. "Wartet hier."

Rapunzel wartete. Von innen war das Schloss seltsam schlicht, als hätten ihre Eltern fast alles Gold für die Menschen der Stadt ausgegeben - Gold, welches sie durch die Hilfe des Kobolds erlangt und dafür einen hohen Preis gezahlt hatten.

Nach einer Weile konnte sie nicht mehr still stehen, während die Sonne sich zum Horizont neigte. Eine Tafel erregte ihre Aufmerksamkeit und sie trat näher. Als sie hunderte Namen erkannte, die darauf geschrieben und allesamt durchgestrichen waren, weiteten sich ihre Augen. Sie konnte sich den Kobold vorstellen, wie er erfreut durch die Gegend hüpfte: "So heiß ich nicht! So heiß ich nicht!"

Die Tür knallte und der Soldat mit den blauen Augen trat heraus. Er wartete, bis sie näher trat und sie sah die goldene Feder an seinem Hut an, eh sie in der Tiefe des Blaus versinken konnte.

Prinz Phillip war nicht echt gewesen. Rapunzel hatte nicht vor, sich in den Erstbesten zu verlieben, der ihr über den Weg lief, nur weil sie sich seit Jahren nach Liebe sehnte.

Haare fein wie Gold (Märchen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt