4. Kapitel

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"Wir haben alles ausprobiert. Menschen kamen aus entfernten Dörfern, brachten die seltsamsten Namen mit. Oh Rapunzel, worauf hast du dich eingelassen?"

Rapunzel legte ihrer Mutter beruhigend die Hände auf die Schulter. Ihr blieben kaum vierundzwanzig Stunden, um das zu schaffen, woran ihre Eltern gescheitert waren.

"Egal was passiert, ich bin froh, euch gefunden zu haben", sagte sie. "Wir finden seinen Namen. Erzählt mir alles, was ihr wisst."

"Die Geschichten sagen, dass der Zauberer einst die Wahl zur Unsterblichkeit hatte. Er wählte die Macht, doch er verlor somit seine Frau und sein Kind. Die Jahre verstrichen und so fing er an, andere Kinder zu holen, um die Leere zu füllen."

Rapunzel schüttelte den Kopf. "Da muss noch mehr sein", überlegte sie. "Sonst hätte er mich nicht weggesperrt und nur selten besucht. Nein, er sehnt sich nicht nach einem Kind als Ersatz." Seine Worte kamen ihr in den Sinn. "Erst Magie, dann Liebe, eins fehlt noch! Ein gelungener Plan!", murmelte sie. Er wollte Rapunzels Kind. Ihr eigenes Haar hatte Kräfte inne, wie wäre es bei ihrem Kind?

"Wenn wir herausfinden, was er wirklich will, dann bieten wir ihm das gegen deine Freiheit an", schlug Goldmarie vor, die neue Hoffnung schöpfte.

Der König trat mit einem Märchenbuch zum Tisch. "Rapunzel, weißt du, warum wir dich so genannt haben?"

Die Prinzessin schüttelte den Kopf und lehnte sich über die Seiten. Es war eine Geschichte, die sie nicht kannte. Eine Hexe stand neben einem Beet voller kohlähnlicher Gewächse.

"Deine Mutter wurde nach unserer Hochzeit aus Verzweiflung krank, als sie erfuhr, dass wir ein Kind erwarteten. Sie brachte es nicht übers Herz, mir von ihrem Fehler zu erzählen. Wir zogen uns in ein Landhäuschen zurück, damit es ihr besser geht. Dort verspürte sie Hunger auf die Rapunzeln im Nachbargarten - dieser gehörte einer Hexe."

Rapunzel starrte das kähenartige Gewand auf dem Bild an. "Mutter Gothel!"

Ihr Vater nickte. "Es war ein Trick. Wir wussten nicht, dass es magische Pflanzen sind, die jedem, der sie isst, die Wahrheit hervorlocken. Am selben Abend erfuhr ich vom Handel und begegnete dem Kobold in beiden Gestalten. Er erfreute sich an unserer Verzweiflung, bot uns jedoch einen Ausweg: Erraten wir seinen Namen, lässt er uns unser Kind."

Goldmarie nickte. "Am nächsten Morgen wollten wir Rapunzeln aus seinem Garten pflücken, um ihm seinen Namen zu entlocken, doch ich hatte die letzten gegessen. Nach neun Monaten mussten wir einsehen, dass wir versagt hatten. Wir gaben dir den Namen Rapunzel - die Wahrheit - damit du, egal wo du bist und mit welchen Lügen du aufwächst, stark bleibst."

"In der Hoffnung, dass du irgendwann die Wahrheit über dich herausfindest und einen Weg zu uns zurück findest", ergänzte der König.

Rapunzel erhob sich. Endlich wusste sie, was sie tun konnte. Sie war die Wahrheit, geboren aus Magie und Liebe.

Was auch immer fehlte, der Kobold brauchte ihr Kind nicht.

"Hauptmann Jacob", sprach sie zum blauäugigen Soldaten, dessen Namen sie während des Abends erfahren hatte. "Begleitet mich bitte bei Sonnenaufgang zum Turm." Sie hauchte ihren Eltern einen Kuss auf die Wange. "Wir sehen uns morgen Nacht. Ich habe eine Idee."

~~~

In den Morgenstunden ritt sie mit dem Soldaten in Richtung Turm. Er erschrak, als er das verborgene Bauwerk entdeckte.

Rapunzel sah mit gemischten Gefühlen hoch. "Ich möchte es schnellstmöglich hinter mich bringen."

Jacob stellte sich neben sie auf die Lichtung, das Schwert griffbereit. "Seid unbesorgt. Ich habe Euren Eltern versprochen, Euch zu beschützen. Was immer Ihr vorhabt, Euch geschieht nichts."

Haare fein wie Gold (Märchen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt