Kapitel 2

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Mit zunehmender Hektik kramte ich die Schränke durch. Dann die Regale. Aber finden konnte ich nur wenig. Ich hatte schon alles Wesentliche für die Notfalltasche zusammengesucht und auch gepackt. Doch ein Großteil an eingeschweißtem Essen fehlte mir noch. Für wie viele Stunden oder Tage sollte ich packen? Was war am wichtigsten zum Überleben, sollte ich meine Wohnung verlassen müssen? Alles offene Fragen auf die niemand eine Antwort hatte, nicht einmal die schlausten. Vorsorge war im Moment das Sicherste.

Die Schränke in der Küche hatte ich durchgeguckt und nur einen kleinen Haufen zusammengekratzt, es sei denn ich wollte mich überwiegend mit Süßigkeiten ernähren. Wenigstens musste ich nur meinen hungrigen Magen stillen. Ich hatte keine Kinder, keinen Mann, nicht Mal mehr einen Freund. Man brauchte mir nicht sagen, dass ich einsam war, das wusste ich auch so. Warum hatte ich mir kein Haustier zugelegt? Dann wäre wenigstens irgendjemand da, für den es sich lohnen würde, weiter zu leben oder überhaupt zu überleben.

Jetzt, als ich so darüber nachdachte, brauchte mich niemand. Ich hatte wenig Kontakt zu meiner Schwester Maddy - richtig Medina. Das lag hauptsächlich an meinem Umzug. Ich wollte damals unbedingt am Meer wohnen, mehrere Stunden Fahrt voneinander entfernt. Das machte unser Verhältnis auch nicht tiefer. Im Gegenteil.

Mein Freund ließ sich auch dazu überreden, aber unsere Beziehung hielt nicht lange an. Hier kannten wir niemanden, was es uns am Anfang auch sehr schwer machte. Wir hatten also nur uns. Zuerst lief auch alles gut, doch irgendwann verloren wir uns aus den Augen. Er fand nicht den Job, den er wollte und war lange arbeitslos. Es war schwer, uns beide über Wasser und bei Verstand zu behalten, bis das Fass überlief. Als ich später merkte, wie er seine Freizeit verbrachte, dass er mit den falschen Leuten abhing, machte die Beziehung einfach keinen Sinn mehr. Also machten wir Schluss und ich vereinsamte. Ich hatte niemanden mit dem ich reden konnte, zog mich zurück, hatte keinen Kontakt zur Außenwelt mehr. Alles was ich wollte, war, allein sein und trauern. Es sollte hier ein tolles Leben werden, doch der Umzug zerstörte es. Ich hatte es zerstört. Weil ich meinen Traum erfüllt hatte, der letztlich zum Albtraum wurde. Meine Gedanken wurden zu meinem größten Feind, der mich an den Abgrund zog und dort gefangen hielt. Ein undurchbrechlicher Kreislauf, aus dem ich nicht wieder herauskam.

Maddy und meine alten Freunde aus meiner Heimat machten sich riesige Sorgen, weil sie mich nicht erreichen konnten und ich ihnen nie zurückschrieb. Meine Schwester wusste, wo ich wohnte und beschloss zu mir zu kommen. Es dauerte seine Zeit, aber letztlich fand ich wieder aus meiner Notlage heraus und sie half mir, klar bei Verstand zu werden und zu bleiben. Fürs erste kam ich zurück in meine Heimat und lebte bei meiner Schwester für ein Jahr, bis ich den Mut und die Kraft fand, von vorn anzufangen.

Das Stadtleben auf dem Festland hat mir gezeigt, wie sehr ich das Wasser vermisste. Deshalb entschied ich mich für das Leben am Meer. So stieß ich auf meine jetzige Wohnung. Wenn man aus dem Fenster des Balkons schaute, schien sie abgelegen und idyllisch, doch sobald man auf der anderen Seite des Hauses das Ende der Straße erreichte, kam man schnell zu Supermärkten und allem, was man brauchte. Es war die perfekte Ecke für mich. Das war es, was ich wollte. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Leute fragten sich, wie ich es allein aushielt. Auch wie ich mich davor bewahrte, depressiv zu werden. Jedes Mal, wenn ich traurig oder einsam wurde, ging ich ans Meer und schaute hinaus. Die Kraft des Wassers, die salzige Luft, die Wellen, wenn sie über meine Füße leckten, der Wind, wenn er an meinen Haaren zog, die schäumende Gischt, die Laute der Möwen ... all das ließ ich auf mich wirken und ich konnte mich einfach fallen lassen. Oft stand ich nur am Wasser mit geschlossenen Augen und lauschte, ließ mich treiben im Klang der Natur. Es war wunderschön. Danach ging es mir jedes Mal besser. Und ich kehrte mit neuer Energie in den Alltag zurück. Genau wie jetzt.

Vielleicht hätte ich doch das Fahrrad nehmen sollen, kam mir der Gedanke, als ich die ganzen Autos vor dem Supermarkt sah. Aber hätte der Einkauf da auch reingepasst? Ich ließ es nicht darauf ankommen. Sicher ist sicher.

Die Parkplätze waren voller denn je. Ich fuhr drei Runden bis ich endlich einen fand, wo ich keine Angst um mein Auto haben brauchte, weil es nicht reinpasste. Manche Menschen konnten nicht ordentlich einparken! Wenigstens dafür sollte man sich Zeit nehmen, wenn schon alles im Chaos versank.

Auch drinnen wurde es nicht besser. Die Gänge waren voll und die Regale leer. Seufzend schlängelte ich mich zwischen den Menschenmassen vorbei, stolperte halb von Regal zu Regal, verpasste hier und da - VERSEHENTLICH - Tritte und Stöße, weil die Leute einfach nicht zur Seite gehen wollten. Mit immer schlechterer Laune musste ich zusehen, wie mir alles vor der Nase weggeschnappt wurde. Meine Güte, das hier war doch nicht der Weltuntergang! Naja, vielleicht auch doch, niemand wusste es so genau.

Ich schritt immer schneller und wendiger durch das Labyrinth aus Menschen und schnappte mir hier und da eine Packung. Eine große Auswahl blieb mir nicht und bevor ich gar nichts mehr fand, was ich alles brauchte, nahm ich lieber was ich kriegen konnte, statt mir das Produkt genauer unter die Lupe zu nehmen. Die verschweißten Waren waren nur noch halb vorhanden, manchmal standen so wenige da, dass man sie an einer Hand abzählen konnte. Die Mitarbeiter kamen kaum noch hinterher alles aufzufüllen. Wenn es heute schon so voll war, wie sollte es dann noch morgen werden? Ich hatte es kommen gesehen: Das reinste Chaos!

So viele Menschen waren nicht meins. Nein, das war eine Untertreibung, ich hasste es. Alles, was ich wollte, war zurück nach Hause oder noch besser, ans Meer. Wer weiß, wie lange ich das noch konnte. Wie lange wir noch normal leben können bevor das Raumschiff landet, wenn es das tut. Aber seien wir doch Mal realistisch: Es wird passieren. Warum sollte das Schiff sonst geradewegs auf unseren Planeten zusteuern?

Plötzlich rempelte mich jemand an und mir rutschte der Einkaufskorb aus der Hand. Krachend landete er auf dem Boden und alles darin schlitterte über das Parkett. Fluchend sammelte ich es auf, doch der erste unaufmerksame Einkäufer trat auf eine Verpackung, die sich sofort laut knirschend zurechtbog. Mit einem Schnaufen unterdrückte ich meine Wut, sonst schrie ich den Mann noch an. Ich sollte es positiv sehen: Denn ich musste die Spaghetti nicht mehr durchbrechen und mir flogen auch keine kleinen Nudelschnipsel durch die Gegend. Eine Spaghetti teilte sich nämlich immer in mindestens drei Stücke.

Konnte denn nichts einfach funktionieren! Das war doch nicht so schwer. Ich hätte einfach den Einkaufswagen nehmen sollen. Der wäre mir nicht aus der Hand gefallen. Allerdings käme ich damit auch schwerer oder besser gesagt, gar nicht durch die Massen. Es ist, wie es ist. Daran konnte man auch nichts mehr ändern.

Wenigstens konnte ich beim Aufsammeln gleich überprüfen, ob ich alles hatte. Oder fehlte noch etwas? Als ich die Schlange an den fünf Kassen sah, überprüfte ich es vorsichtshalber noch einmal. Die Spaghettipackung auszutauschen, konnte doch nicht schaden, oder?

Nach fünf Minuten Spaghetti suchen, einer viertel Stunde Schlange stehen und nochmals 15 Minuten, ehe ich endlich zu Hause war, warf ich mich einfach auf die Couch und blieb dort regungslos liegen. Seit wann war einkaufen so furchtbar anstrengend? Das war nicht Mal ein Großeinkauf!

Nach einer Weile öffnete ich erst ein Auge, dann das andere. Die Notfalltasche, kam es mir wieder in den Sinn. Ausruhen konnte ich mich später. Vielleicht auch nicht, wer wusste das schon? Ich stellte mir vor, wie die Aliens auf die Erde kamen. Wie sähe ihr Raumschiff aus? Flach, länglich, spitz, wie ein Ufo? Für sie war es doch sicher aufregend, einen neuen Planeten zu entdecken und sich neues Wissen anzueignen. Genau wie für uns. Aber am meisten interessierte mich, wie sie aussahen, wie sie dachten oder handelten. Waren sie den Menschen ähnlich? Konnten sie genauso liebevoll, einfühlsam oder machtgierig und hinterhältig sein, genau wie wir?

Was würde die Begegnung mit Außerirdischen für uns bedeuten?

Die Sonne tauchte das Meer in gelbe und orange Farben. Auch sie war etwas ganz Besonderes. Sie gab uns Energie und war das Lebenselixier für fast alle Lebewesen. Galt das auch für die Aliens? Es war irgendwie eine gruselige Vorstellung sie bald zu treffen. Keine zwei ganzen Tage mehr. Dann war es soweit. Langsam wurde ich mir immer sicherer, dass sie es auf die Erde abgesehen hatten. Ich musste vorbereitet sein.

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt