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Am nächsten Morgen bin ich eine der ersten, die wach ist und nachdem ich geduscht und mich umgezogen habe, mache ich mich auf den Weg in den Trainingsbereich. Für die Jungs steht heute kein Training an, aber ich muss noch die letzten Akten vervollständigen und dann einpacken.
Meinen Koffer habe ich bereits gepackt, deswegen kann ich mir noch ein wenig mehr Zeit beim schreiben lassen. Meine Aufgabe ist es die Spieler auf physischer Ebene zu analysieren und dann meine Empfehlung zum Kader für die Wm beizutragen. Und während ich lese und schreibe drehen sich meine Gedanken für kurze Zeit mal nicht um das alles, was gestern Abend geschehen ist. Lange genug habe ich gestern noch wach gelegen und darüber nachgedacht, aber irgendwas gutes ist dabei nicht rumgekommen.

Es ist halb zehn, als ich zurück zum Hotel gehe. In einer halben Stunde machen wir uns auf den Weg mit dem Mannschaftsbus zum Flughafen und dann letztlich auf den Flug nach München. Ich freue mich schon, endlich wieder in Ruhe in meinem Bett zu schlafen und mal nicht jeden Tag nur unter Männern sein zu müssen.
Nachdem ich oben aus dem Zimmer meinen Koffer geholt habe und alles nochmal gecheckt habe, laufe ich nach unten, um im Foyer schonmal auf die anderen zu warten. Auf meinem Schoß sitzt eine Tasche mit den Akten, die ich gleich dem Trainerstab abgeben werde.

Langsam füllt sich das Foyer und ich stelle fest, dass die Jungs alle ganz schon mitgenommen aussehen. Die meisten von ihnen haben Sonnenbrillen an, vermutlich um ihre Augenringe zu verbergen. Irgendwo geht sogar eine Packung Kopfschmerztabletten rum und irgendwann lässt Leroy sich neben mich fallen.
„Lange Nacht gehabt?",witzel ich und deute auf die Sonnenbrille. Er hingegen grinst nur und deutet dann auf mich:„Wie bist du ins Hotel gekommen gestern?"
Ich muss unauffällig schlucken. Es war wohl doch nicht so klug, gestern alleine nach Hause zu gehen. Oder hat Jamal, der uns leider gesehen hat, den anderen etwas gesagt?
„Ich bin gelaufen.",antworte ich schlicht und zucke mit den Schultern. Das ist längst keine Lüge, nur ein wenig Verbergung der Wahrheit.
„Du hättest mich fragen sollen, dann hätte ich dich begleitet. Alleine war echt keine gute Idee.",sagt er und klingt dabei vorwurfsvoll. Ich spüre schon, welche Richtung das Gespräch annimmt und habe das Gefühl, dass ich hier nicht mehr so leicht rauskomme.
„War ja nicht so weit.",erwidere ich und es entsteht eine kleine Gesprächspause zwischen uns.
Irgendwann räuspert Le sich allerdings und schaut mich ernst an:„Komm schon, mir kannst du es sagen." Unter diesem Druck reiße ich meine Augen ein wenig auf und jetzt bin ich mir sicher, dass er das wissen muss. Scheiße. Wenn jemand erfährt, dass ich Karim geküsst habe, dann war es das. Ich werde gefeuert und kann vergessen, dass ich jemals wieder einen guten Job bekomme, wenn sich das rumspricht.
„Hör zu, das war nicht... also ich wollte nicht und irgendwie - ach keine Ahnung. Er war halt da und-",reime ich zusammen und schlage mir dann meine Hand vor den Mund. Was ein Fehler das war!
„Mason Mount... hätte ich nicht erwartet.",schmunzelt Leroy und drückt mir dann beinahe lobend die Schulter.
„Mason Mount..?",stottere ich und warte darauf, dass er in meine Gedanken zurück kommt. Ein Geistesblitz kommt in mir hoch und ich erinnere mich an den charmanten Typen aus der Bar.
„Ach, Mason..! Ja, klar.",sage ich dann zögernd. Soll er doch denken, ich hätte was mit diesem Mason gehabt, besser als das er das mit Karim weiß.
Ich spüre, wie Leroy mich von der Seite mustert und kann fast sehen, wie es in seinem Kopf arbeitet.
Ich wende meinen Blick ab, in der Hoffnung, dass er den Gedanken fallen lässt, aber das geschieht natürlich mir zu Gunsten nicht.
„Es war nicht Mount..",stellt er fest und sieht mich nun so fragend an, dass ich es gar nicht wage, überhaupt wegzuschauen. 
„Ist doch auch egal.",murmele ich und sehe, wie die anderen sich auf den Weg nach draußen machen, also will ich ihnen folgen.
Le hat ein Grinsen auf dem Gesicht, als er hinter mir her läuft und es brennt sich beinahe in meinen Hinterkopf ein. Ich versuche das zu ignorieren und gebe meinen Koffer ab, bevor ich mich hinten im Bus vor ihm verstecken will.
Ich kann gar nicht einschätzen, ob ich ihm das überhaupt sagen kann. Klar, seit zwei Wochen ist er der einzige von allen, mit denen ich überhaupt richtig was zu tun habe, aber ich kenne ihn eben trotzdem erst seit zwei Wochen.
Bevor ich nach ganz hinten gehen kann, zieht Leroy mich in eine Reihe etwas weiter vorne und sieht mich dann an:„Also, wer von uns ist der Glückliche?"
Mit gerunzelter Stirn blicke ich ihn an„Keine Ahnung, was du meinst."
Er grinst mich weiter an und neben uns laufen die anderen Spieler in den Bus. In dem Moment fallen mir die Akten ein und ich greife neben mich, um diese kurz zu den Trainern zu bringen.
„Gib mir einen Moment.",bitte ich Le und stehe gerade von meinem Platz auf, als Karim genau an meinem Platz vorbei geht. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Er auch.
Er dreht sich zu mir, sieht mich an, zögert aber dann. Er entscheidet sich aber dann dazu, doch zu reden:„Wir sollten gleich mal reden."
Wow. Ich hätte nie gedacht, dass mir so simple Worte mir so viel Angst machen. Ich drehe meinen Kopf zu beiden Seiten, aber niemand hat gehört, was er gesagt hat. Ich bezweifle, dass überhaupt jemanden aufgefallen ist, dass er bei mir stehen geblieben ist.

𝒔𝒕𝒊𝒍𝒍 𝒂𝒏𝒅 𝒆𝒗𝒆𝒓 𝒇𝒂𝒍𝒍𝒊𝒏𝒈 // 𝑲𝒂𝒓𝒊𝒎 𝑨𝒅𝒆𝒚𝒆𝒎𝒊Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt