13. Roman - nett...

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Wieder saß ich an einer Bar. Wieder ein Glas Whiskey in der Hand und wieder über mein Leben sinnierend. Überraschenderweise war es für mich der falsche Klub. Die falsche Stadt. Denn statt wie eigentlich erwartet, die heutige Nacht im „Big Mouth" zu verbringen, saß ich stattdessen wieder im „Heaven". Allein.

Der Abend mit Hannes war, nun, wie sollte ich das am besten beschreiben? Milde ausgedrückt, es war nicht das, was ich erwartet hatte. Wir waren im Restaurant, was zwar eine Premiere war, aber was solls. Er war schon immer derjenige, der alleine entschied. Wir hatten sehr fein gegessen und wir haben uns belanglos Unterhalten. Es war nett. Es war nichtssagend. Es war, nun ja, wie schon gesagt, nicht wie erwartet.

Ich wusste selbst nicht so recht, was ich erwartet hatte. Na ja, doch, eigentlich wusste ich ehrlich gesagt ganz genau, was ich erwartet hatte. Ein bisschen was, wie damals. Diesen Zauber, der von Hannes ausging. Seine Macht über mich und mein Handeln. Das hatte ich erwartet. Das er mich wieder gefangen nahm. Ja, doch. Ich wollte wieder fliegen. Blind, naiv und im Rausch wie damals. Und statt das er mich nach dem Essen mit nach hinten nahm, alten Erinnerungen wieder Leben einhauchte, verabschiedete er sich vor dem Klub mit zwei Wangenküsschen. Mit einem Winken und einem: „Ich meld mich morgen.", ließ er mich fassungslos zurück. Ja, und nun saß ich da. Falscher Ort, falsche Zeit, falsche Tätigkeit und stellte mir Fragen über Fragen.

Hatte er kein Interesse mehr an mir? Sicher, ich war mittlerweile zu alt für sein Beuteschema. Aber schließlich hatte er mich zu sich bestellt, nicht umgekehrt. Und er wollte mich anscheinend auch wieder sehen. Trotz dieses beschissenen Dates. Ja, Date. Ich hatte ein Date mit Hannes! Das war ein Punkt, der mir immer noch nicht real erschien. Ich hatte nie Dates mit Hannes gehabt. Sex ja, viel Sex sogar. Aber außerhalb des „Big Mouths" hatte es nichts zwischen uns gegeben. Heute wusste ich das, damals war ich für diese Tatsache etwas blind gewesen.

Eigentlich hätte ich mich darüber freuen sollen. Das war es doch, was ich mir immer gewünscht hatte. Einen Hannes, der sich mehr aus mir machte. Der mehr in mir sah, als einen knackigen Arsch und ein hübsches Gesicht. Der mit mir ausgehen wollte, der sich mit mir unterhielt, statt mir nur die Zunge in den Hals zu schieben. Dem es leidtat, wie es damals zwischen uns endete. Und nun bekam ich genau das und war nicht zufrieden? Was lief nur falsch bei mir?

„Soll es noch was sein?" Wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Es war nicht der Barkeeper von gestern. Stattdessen stand da ein Italiener, groß gewachsen und mit dunklen, nach hinten frisierten Locken.

„Wo ist Daniel?", beantwortete ich seine Frage mit einer Gegenfrage. Warum ich ausrechnet nach ihm fragte, war mir selbst ein Rätsel. Eigentlich war es doch egal, wer einem die Gläser vollmachte. Aber von diesem Mann vor mir ging eine unglaubliche Dominanz aus, die ich gerade nicht ertragen konnte. Dann doch lieber diesen hübschen Twink, der einem nichts anhaben konnte.

„Wer weiß, ich bin nicht seine Mama.", erwiderte er beiläufig, obwohl mir sein neugieriger Blick nicht entging.

„Arbeitet er heute noch?", versuchte ich erneut mein Glück, in dem ich seine freche Antwort überging.

„Eher nicht.", bekam ich zur Antwort. „Noch einen?"; frage er erneut und deutete auf das leere Glas, das ich immer wieder zwischen meinen Fingern im Kreis gleiten ließ.

„Dann, eher nicht!", wiederholte ich seine Worte. Holte meinen Geldbeutel hervor und legte einen zwanziger auf den Tresen. Wandte mich um und ging.

Draußen angekommen traf mich die kühle Luft ganz unvorbereitet und ich musste kurz innehalten. Die Kombi aus kaum Schlaf, viel Wein und Whiskey war eindeutig keine allzu gute Idee gewesen. Dazu der Absturz in der Nacht zuvor, wovon wohl allein der Restalkohol genügt hätte den Abend heute lieber im Bett zu verbringen, statt durch die Gegend zu gurken.

Nun stand ich also wankend da, fahren war definitiv nicht mehr drin. Also musste ein Taxi her. Ich hatte schließlich was zu klären und das duldete keinen Aufschub bis morgen. Erleichtert erblickte ich an der Straße eines und lief darauf zu. Wenn ich Glück hatte, war es nicht bestellt und ich konnte gleich mit. Und ich hatte Glück. Kurz nannte ich dem älteren Herren die Adresse, lehnte mich in dem Sitz zurück und schloss die Augen.

Das war schon wieder so eine Kurzschlussreaktion. Das war doch sonst nicht meine Art. Was wollte ich dort? Was sollte ich sagen, wenn ich vor seiner Tür stand? Diese Fragen hätte ich mir vielleicht vorher stellen sollen. Bevor ich ins Taxi stieg und bereits auf dem halben Weg dort hin war.

„Alles klar bei ihnen?", wollte der Taxifahrer wissen.
Müde öffnete ich die Augen und blickte im Rückspiegel einem besorgten Augenpaar entgegen.
„Alles gut.", versicherte ich und sah aus dem Fenster.
„Es geht mich ja nicht an ...", fing der Taxifahrer das Gespräch an und ich rollte mit den Augen. Solche Gesprächsanfänge waren immer die Besten. Da wusste der Gegenüber, das es besser war, die Klappe zu halten, und hielt sich trotzdem nicht dran.

„Es ist wirklich alles in Ordnung.", unterbrach ich ihn barsch, bevor er mich in eine Unterhaltung verwickelt konnte.
„Ich bin nicht dein Feind.", bekam ich als Antwort und fast schon tat mir mein Ton leid. Aber jetzt gerade war wirklich kein guter Zeitpunkt für Small Talk.

Eine halbe Ewigkeit später stand ich erneut im Freien. Sah an der Fassade des Hochhauses hoch und entdeckte, dass in seiner Wohnung Licht brannte. Gut, er war zu Hause. Erneut stellte ich mir die Frage, was zum Henker ich hier machte? Dazu noch emotional nicht auf der Höhe und psychisch sehr labil. Ich sollte schleunigst das Weite suchen. Doch mein Taxi war schon weg und bis ein Neues kam, würde es etwas dauern. Also holte ich tief Luft. Trat einen Schritt näher an das Klingelbrett und fuhr mit meinem Finger die Namen ab. Bei seinem Namen hielt ich inne. Sog erneut Luft in meine Lungen und versuchte, meine Nerven zu beruhigen.

Wieso war ich überhaupt so aufgelöst? Der Stress der letzten Tage schien einfach zu viel gewesen zu sein. Einen anderen Grund konnte ich mir nicht vorstellen. Schloss die Augen und drückte auf den Knopf.

Stille. Eine gefühlte Ewigkeit geschah rein gar nichts und ich begann schon daran zu Zweifeln, das richtige Appartement erkannt zu haben, da knackte es in der Gegensprechanlage.

„Ja, bitte?!" Seine Stimme klang fest, fragend und dabei irgendwie sexy. Scheiße ... das war eindeutig der falsche Gedanke. Ab morgen würde ich mir ein striktes Alkoholverbot auferlegen.

„Jemand da?", ertönte es nun etwas ungehalten und ich öffnete die Augen.

„Ich bin es ...", beeilte ich mich zu sagen, bevor er auflegte. „Roman ...", fügte ich noch schnell hinzu. Sicher war sicher.

Der Summer ertöntet noch bevor er „Komm rauf.", sagte. Ich drückte die Tür auf und stieg langsam die Stufen hinauf. Eilig hatte ich es gar nicht mehr. Was zum Teufel tat ich hier nur?

Einen Stock über mir hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde. Einen Schlag lang setzte mein Herz aus. Tief sog ich Luft in meine Lungen und hoffte, dem Gefühl des Erstickens entgegenzuwirken, bevor ich oben ankam und ihm erneut gegenüber trat. Und da war er. Stand in der Tür und musterte mich fragend.

„Hey ...", grüßte ich und fuhr mir verlegen durchs Haar.

Mr. Unvollkommen (Mr. 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt