Wohin nur?

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Zitternd steige ich in den stickigen Bus. Es ist bereits weit nach Mitternacht und keine Menschenseele ist mehr unterwegs. Außer mir. Erschöpft lasse ich mich auf einen Sitz fallen und lehne meinen Kopf gegen die Scheibe. Noch immer kann ich nicht fassen, was gerade passiert ist.

Nach sechs Haltestellen, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt haben, steige ich aus und befinde mich vor dem Eingang eines Hotels. Die Eingangstür öffnet automatisch, wie sie es immer tut. Ich haste zum Empfang und frage mit zitternder Stimme: "Wo ist Miranda?"
Nur sie würde mich jetzt verstehen. Sonst habe ich keinen mehr.

Meine Mutter verbringt die Nacht bei ihrem Freund, wie immer.
Weiß sie schon, was passiert ist? Aber selbst wenn sie es bereits wüsste, hätte es sie nicht interessiert. Ich hätte sie nicht interessiert.
Sie kommt nur nach Hause, wenn sie etwas braucht, und in letzter Zeit passiert das immer seltener. Selbst meinen achtzehnten Geburtstag hatte sie vergessen.
Vielleicht erfährt sie es erst in ein paar Wochen. Oder Monaten?

Doch Miranda ist immer für mich da. Egal, was ich anstelle. Auch heute. Es war ein Unfall.

"Hier", ertönt es hinter mir. Ich drehe mich um und erblicke meine Retterin. Früher ist Miranda einmal meine Nachbarin und Babysitterin gewesen, doch vor fünf Jahren hat sie geheiratet und ist weggezogen.

Sie ist in ihrem Wunderland angekommen und ich bin mit dreizehn Jahren allein in der Hölle geblieben.

Die Tränen, die ich bis gerade erfolgreich zurückgehalten habe, strömen mir nun über die Wangen. Ohne lange nachzudenken, schmeiße ich mich in Mirandas Arme. Die Zeit hat uns zu guten Freundinnen gemacht, auch wenn ich deutlich jünger bin als sie.

Unbemerkt hat Miranda mich losgelassen und zieht mich nun in Richtung Aufzug.

Ihr gehört das Hotel. Vermutlich gehen wir jetzt in ein freies Zimmer, um uns in Ruhe zu unterhalten. Sie findet ihr eigenes Büro zu ungemütlich, um über private Dinge zu reden.

Auf dem Weg dorthin fragt sie mich kein einziges Mal, was passiert ist. Sie ist einfach nur für mich da, tröstet mich. Weinend schmeiße ich mich auf das Bett des Zimmers, in dem wir uns nun befinden. Die Müdigkeit erfasst mich, meine Lider werden schwer, ich döse ein, während Miranda mir von ihrem Tag erzählt und beruhigend über meinen Kopf streichelt.
Für den Moment ist alles gut, aber im Traum sehe ich wieder die Flammen. Ich habe nicht an die Kerzen gedacht, die ich an diesem Abend ausnahmsweise angezündet hatte. Ohne jegliche Bedenken war ich zu Bett gegangen. Als mich dann der Rauchmelder weckte, war der Flur schon voller Rauch. Über das Fenster konnte ich zum Glück auf das Garagendach flüchten und über einen Zaun auf die Straße gelangen, um Hilfe zu holen.

Im ersten unbeobachteten Moment, nachdem die Feuerwehr und der Krankenwagen eingetroffen waren, ergriff ich die Flucht und fuhr zu Miranda. Ohne zu wissen, wo ich bald wohnen werde.

Wohin nur?

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Hallöchen,
das ist eine kleine Schreibübung, die ich heute verfasst habe. Eine Freundin hat mir drei Wörter gegeben (Stopp, Nachbarin und Wunderland), welche ich in einer Kurzgeschichte einbauen wollte. Außerdem sollte es um eine Busfahrt gehen, was ich nur so halb einbauen konnte.

3. Dezember 2022 🌼

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