Ein Jahr später

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Ich höre wieder die Sirenen, die seit Tagen fast ununterbrochen heulen. Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf und stürme aus dem Raum, in einen anderen hinein, der keine Fenster besitzt. Vor einer Woche ist eine Bombe vor dem Schlafzimmerfenster eines Bekannten explodiert, die Scherben haben ihn so stark aufgeschnitten, dass er noch in der gleichen Nacht starb. Eine andere Freundin hat ihre beiden Söhne in der Schlacht verloren. Wo damals eine Familie war, sind jetzt nur noch zwei gebrochene Menschen übrig.
Nachdem der Alarm vorbei ist, lege ich mich wieder in mein Bett. Es ist drei Uhr nachts, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Ich drehe mich um und greife zu meinen Tabletten. Viele Menschen nehmen zu diesen Zeiten Beruhigungsmittel. Wie soll man es sonst schaffen, völlig übermüdet und mit ständiger Todesangst seinen sonst so normalen Alltag zu bewältigen?
Eine meiner Kolleginnen muss jede Nacht mit ihren beiden Töchtern im Auto schlafen, weil ihre Wohnung zu unsicher ist.
Während ich weiterhin hellwach im Bett liege und die Warnapp überprüfe, die mittlerweile jeder auf seinem Handy hat, denke ich an den Tag vor einem Jahr zurück. Der Tag, an dem der Krieg ausgebrochen ist.
Den Tag zuvor war es mir gelungen einen meiner Kollegen davon zu überzeugen, dass es nicht zu einem Krieg kommen werde. Dass alles gut werden wird. So falsch habe ich noch nie gelegen. Nie. Leider.
Am Tag des Kriegsausbruchs wurde ich morgens um sechs Uhr aus dem Schlaf gerissen. Mein Bruder hatte mich angerufen, mit den Worten "Der Krieg hat angefangen, guck dass du weg kommst!"
Ein Jahr später kann ich mein Land immer noch nicht zurücklassen. Auch wenn ich deshalb früher oder später sterben muss.

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Hallöchen,
dieser Text ist leider etwas düsterer geworden, weil ich darin einige Erzählungen von einer Freundin aus der Ukraine mit einbezogen habe. Das Leid, das die Menschen momentan in der Ukraine erfahren –generell in Kriegen erfahren müssen–, ist kaum vorstellbar.

13. August 2023 🌼

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