32. Weltentor

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Die letzten Tage vor der Ankunft am Weltentor flossen zäh ineinander. Auf wortkarge Tage folgten gehetzte Nächte, in denen sie die Pferde an ihr Limit trieben. Evîher allen voran, immer mit grimmiger Miene und wachsamem Adlerblick.

So fühlte es sich für Jennifer unwirklich an, als sie endlich am versteckten Weltentor ankamen. Es war kurz vor Sonnenuntergang, als sie mit gedrosseltem Tempo durch die hügelige Landschaft Irlands ritten, direkt auf eine kleine Erhöhung zu. Jennifer erinnerte sich an die Worte ihres Großvaters und ihr Kopf wusste, dass sie am Ende dieser Welt angekommen waren. Selbst, wenn es ihr Herz noch lange nicht realisiert hatte. Sie sah die unscheinbare Felswand am Fuße des Berges, die so mit Moos überwuchert war, dass man den Felsen kaum noch erkennen konnte. Und sie sah die alte Eiche, die sich wand wie ein Blitz am Nachthimmel.

„Wir sind da", sagte Evîher, seine Gesichtszüge beinahe noch angespannter als zuvor. Jennifer hatte angenommen, dass sich ihre Begleiter über das Verlassen dieser Welt besonders freuen würden, aber sie sah in ihren Gesichtern nur Anspannung.

„Wir müssen schnell sein, Ghenéwer", erklärte ihre Lhunîa. „Wir bieten Feinden eine viel zu große Angriffsfläche. Dies ist das Nadelöhr, durch das wir alle schreiten müssen und es ist viel leichter uns hier anzugreifen, als auf freiem Feld oder im Wald." Evîher nickte und sprang von Mondschatten. Dann lief er direkt auf die Felswand zu. Er teilte die Büsche und strich über das Moss und den Felsen. Es dauerte eine Weile, bis er eine kleine, von Moos befreite Mulde gefunden hatte.

„Das Tor scheint häufiger genutzt zu werden als wir dachten", brummte er vor sich hin. „Der Fels ist befreit von Moos und kaum verwittert." Wie selbstverständlich legte er seine Hand in die Mulde und drückte dagegen. Lhunîa und Jennifer starrten ihn wie gebannt an, da drang das Reiben von schweren Felsplatten an Jennifers Ohren. Einen Augenblick später schien der Fels nach innen zu schwenken und ein schmaler Spalt entstand, gerade so breit, dass ein Pferd hindurchpasste. Nachdem die Magie des Momentes verflogen war, winkte Evîher ihnen ungeduldig zu.

„Steigt von den Pferden und führt sie in den Tunnel. Wir haben keine Zeit." Lhunîa trat zuerst durch das Tor und wurde augenblicklich vom Tageslicht verschluckt. Dann trat Jennifer mit Nordlicht ein und schließlich folgte Evîher mit Ivar, der noch immer gefesselt auf Mondschatten saß und sich tief nach vorne lehnen musste. Gerade als Mondschatten seine letzte Hufe in den engen Gang gesetzt hatte, erklang erneut das Geräusch von Fels auf Fels und das Tor verschloss sich. Es hüllte sie in tiefschwarze Nacht.

Jennifer hörte wie, Lhunîa einige Worte flüsterte und einen Augenblick später schwebte eine kleine Lichtkugel vor ihr, die einen langen, unebenen Gang erleuchtete. Die Wände waren grau und uneben und der Gang war gerade so hoch, dass man durch ihn reiten konnte. Im fahlen Lichtschein saßen sie auf ihren Pferden auf und setzten sich langsam in Bewegung.

„Wie lange ist der Tunnel?", fragte Jennifer Lhunîa mit andächtig leisen Stimme.

„Es wird Zeit, Ghenéwer, dass du die Maßeinheiten dieser Welt hinter dir lässt. Hier wird nicht mehr in Längen gemessen und auch die Zeit vergeht hier anders. Wer werden uns nun einige Zeit in diesem Tunnel aufhalten, aber ob wir auch nur einen einzigen Schritt vorankommen, ist fraglich." Eine Weile ritt Jennifer still vor sich hin, nur begleitet vom Widerhall des Hufgetrappels im engen Tunnel. Dabei tauchten weitere Fragen in ihrem Kopf auf, deren Antworten sie brennend interessierte.

„Wie sind sie denn verbunden, die Welten, und wie sind die Tore entstanden?", fragte Jennifer flüsternd.

„Das ist ein Geheimnis der Schöpfung, auf die auch wir keine Antworten haben, lediglich Theorien. Die Wege zwischen den Welten sind wie Risse in der Zeit. Wie ein Blitz, der sich zwischen zwei Welten entlädt und der eine Spur hinterlässt, durch die Energie gelangen kann. Er spannt einen Bogen. Warum dieser Riss aber an genau dieser Stelle auftaucht, kann niemand sagen."

Weltenende: Die verlorene PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt