38. Elfentanz

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Evîher stand aufrecht und hielt Ghenéwer fest in seinen Armen. Er tanzte drei Tänze mit ihr, wohl wissend, dass alle Augen in diesem Saal auf sie beide gerichtet waren. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was man sich nach dieser Nacht über ihn und die Prinzessin erzählte. Welche Geschichten man sich ausdachten. Wie und wo seine Hand auf ihrer Hüfte gelegen hatte. Wie oft er sie angelächelt hatte. Wie viele Tänze sie auf der Tanzfläche verbracht hatten. Aber es war seine Pflicht, mit ihr zu tanzen. Und er war niemand, der seine Pflicht leichtfertig verletzte.

Der erste Tanz fiel Ghenéwer fühlbar schwer. Sie lag steif und unbiegsam in seinen Armen, all ihre Muskeln waren angespannt. Ganz so, als konnte sie sein geballtes Unwohlsein spüren. Aber er führte sie sachte, erklärte ihr die Schritte und sprach leise auf sie ein. Und bei ihrem zweiten Tanz löste sich ihre Anspannung etwas und ihre Bewegungen wurden immer fließender. Sie war eine gute Schülerin und er ein guter Lehrer, das wusste Evîher. Er hatte Monate seines Lebens auf Tanzflächen verbracht, sowohl freiwillig als auch unfreiwillig.

„Du machst das gut, Ghenéwer", flüsterte er ihr zu. „Mit der Zeit machen deine Beine die Tanzbewegung ganz von allein, du wirst sehen." Sie nickte. „Aber streck deinen Rücken noch etwas mehr durch. Bei den elfischen Tänzen kommt es auf die Körperhaltung an." Augenblicklich streckte Ghenéwer den Rücken durch, er zog sie ein wenig näher an sich heran, ganz vorsichtig.

Evîher tanzte mit ihr nicht so, wie er mit einer normalen Elfe tanzen würde. Viel zu unangenehm waren ihm die Blicke, die auf ihnen ruhten. Außerdem war sie viel zu kostbar, viel zu zerbrechlich.

„So ist es gut. Und nun hebe dein Kinn ein wenig. Perfekt." So tanzten sie noch eine Weile weiter und Ghenéwers Bewegungen wurden von Takt zu Takt geschmeidiger.

Ihre zunehmende Sicherheit erlaubte ihm, seine Augen zu schließen und für einen Moment die Musik zu genießen, die er so viele Wochen lang gegen die Geräusche der Natur eingetauscht hatte. Es klang nach Heimat, nach Sicherheit und nach Wohlbefinden. Überhaupt fühlte er sich seit der Ankunft auf dem Elfenschloss wie ein anderer Elf. Als er an diesem Abend mit Lhunîa und Ghenéwer durch das Schlosstor geritten war, war die Last eines Felsbrockens von seinen Schultern gefallen. Er war vom König damit beauftragt worden, die Prinzessin zurückzuholen und gegen alle Widerstände zu verteidigen. Wer hätte ahnen können, dass auch die Prinzessin einen Widerstand in sich darstellte? Sie hatte ihm einiges abverlangt, diese Reise. Hatte ihm den Schlaf geraubt, seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt und ihn an den Rand seiner Geduld gebracht.

Aber nun war sie vorbei, die Reise. Er hatte die Prinzessin gefunden, aus dem Reich der Menschen mit sich nach Hause gebracht und nun hielt er sie in seinen Armen. Er spürte ihre Wärme unter seinen Händen, konnte ihren Duft einatmen, spürte ihren wilden, starken, wohlbekannten Herzschlag. Seine Füße bewegten sich automatisch über die Tanzfläche, während sein Geist im Takt ihres Herzschlags immer weiter abdriftete und ihn schließlich zurück in die Vergangenheit trug.

Einst, vor so vielen Jahren, da hatte er mit einer anderen Prinzessin getanzt. Eine Prinzessin, die nicht nur Ghenéwers Gesicht gehabt hatte, sondern auch den gleichen Namen trug. Und die sein Herz besessen hatte. Vielleicht sogar noch immer besaß. Die sich von ihm kaum hatte führen lassen, weil sie so stark und eigenwillig gewesen war. Die mit ihm gestritten hatte und wie ein wilder Wirbelwild auf dem Rücken ihres Pferdes durch die Wälder von Weltenende geprescht war. Die ihn in den Wahnsinn getrieben hatte. Aber er hatte es genossen. Er hatte es geliebt. Den Tanz mit ihr und ihrem unerschöpflichen Temperament. Und ihrem wilden Herzen.

Schlagartig öffnete er die Augen wieder und starrte über Ghenéwers Schulter in die Menge. Sein sorgloses Lächeln war verschwunden. Denn wieder einmal hatte er die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen lassen. Das durfte nicht geschehen. War viel zu gefährlich.

Weltenende: Die verlorene PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt