Kapitel 2

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Conrad wanderte am Fuß der Treppe auf und ab. Immer wieder versuchte der Familienvater, die Hände hinter dem Rücken zu verschränken, konnte sie dann aber doch nicht still halten. In diesem Moment landete seine rechte Hand erneut in seinem Haar, während er mit dem Kiefer mahlte. Sein ganzer Körper strahlte eine Aufregung ab, die an dem sonst so gelassenen Mann befremdlich erschien.
„Dauert sowas immer so lange?", er wandte sich zu den Mädchen um, die sich mit ihm im Flur niedergelassen hatten. Er deutete mit einem Finger auf seine Tochter: "Bei dir hat es damals nicht so lange gedauert, nicht wahr?"

Der Anblick ihres Onkels entlockte Ava ein Lächeln. Seit sechs Jahren lebte sie mit ihm unter einem Dach. Trotzdem hatte sie ihn selten so in Aufruhr erlebt. Dass es gerade der Homecoming Ball seiner jüngsten Tochter, der ihm diese Emotionen entlockte, war gleichermaßen unerwartet und amüsant.

„Bei mir hat es viel länger gedauert", Adelaide stieß ein erheitertes Lachen aus, als sie ihren Vater kopfschüttelnd musterte.
„Das ist unmöglich", er schüttelte den Kopf, als könnte er die Worte seiner ältesten Tochter nicht glauben: "Sie sind sicher schon eine Stunde da oben. Wir müssen bald losfahren, wenn sie nicht zu spät kommen will. Vielleicht sollte ich mal hochgehen und nach ihnen schauen. Nur um sicher zu sein, dass alles gut ist."
„Es sind nicht einmal zwanzig Minuten vergangen", Adelaide löste sich von der hölzernen Wand, gegen die sie sich gelehnt hatte. Fast bedächtig legte sie ihrem Vater die Hände auf die Schultern: "Gib ihr noch ein paar Minuten. Sie kommen gleich runter. Mom verliert die Zeit nicht aus den Augen."

Der bittere Geschmack der Wehmut machte sich in Avas Mund bemerkbar, als sie ihre Familie beim Herumalbern betrachtete. Einerseits war sie froh, diesen Moment miterleben zu können. Andererseits blutete ihr Herz bei dem Gedanken, sie verlassen zu müssen. Es mochten nur wenige Wochen sein - zumindest hoffte sie darauf. Doch allein der Gedanke, in weniger als zwei Stunden durch diese Tür zu schreiten und sich in das bekannte Unbekannte zu stürzen, das Spring Haven war, ließ den wachsenden Kloß in ihrem Hals augenblicklich schneller anschwellen.

Ihr stieg der Geruch von Zimt und Orange in die Nase. Um diese Zeit des Jahres zog er wie von selbst in das Haus ein. Sie schloss die Augen, das betörende Aroma inhalierend, als würde sich auf diese Weise ein Stück zu Hause einbrennen, das sie mitnahm, egal wovon sie wanderte.

Als ihr Blick auf den dunklen Koffer fiel, den sie am Morgen sorgfältig neben dem Schuhregal platziert hatte, verschwamm die Welt um sie herum. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als das Blut in ihren Adern erkaltete. Allein zu sein, hatte sie nie bekümmert. Oft suchte Ava sie, begrüßte sie mit offenen Armen. Vielmehr war es die Einsamkeit, die sie fürchtete. War sie einmal in Alaska, konnte sie nicht so einfach zurück. Sie wäre vollkommen auf sich allein gestellt.

Das leise Knarren einer Tür, das von oben an ihre Ohren drang, riss Ava aus ihren Gedanken. Instinktiv erhob sie sich von dem Sitz, auf dem sie so lange im Schneidersitz gesessen hatte, dass ihre Beine einzuschlafen gedrohten hatten. Sie wollte den Mund öffnen, um die Aufmerksam der Anderen auf die plötzliche Regung zu lenken.

Bevor sie ein Wort hervorbrachte, erschien Megan Kingsley am oberen Treppenabsatz und blickte auf die Gruppe wartender Familienmitglieder hinunter. Ihre Tante war eine wunderschöne Frau. Während Adelaide eine unbestreitbare Ähnlichkeit zu ihrem Vater hatte, war Juniper ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihr Haar war einige Schattierungen dunkler, als Junipers, doch erinnerte gleichermaßen an Flammen, die um ihren Kopf loderten. Die dünnen Sommersprossen auf ihren Wangen verliehen ihr etwas einzigartig schönes. Doch es waren ihre grünen Augen, die Ava vom ersten Tag an in ihren Bann gezogen hatten. Darin lag solch ein warmer Ausdruck, dass er jede Anspannung schmälern konnte und ihr jedes Mal, wenn sie hineinblickte, auf mysteriöse Weise das Gefühl gab, alles würde schon irgendwie gut werden.

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