Ein kalter Schauder überkam sie, als Ava aus der Drogerie in die kalte Morgenluft hinaustrat. Sie zog den Schal enger um ihren Hals, während sie ein paar Schritte ging. Pikes Worte schallten in ihrem Kopf wieder. Anne war weg. Tod. Ihr schwirrte der Kopf.
Die Anne, die er beschrieben hatte, wollte sich einfach nicht mit ihrem eigenen Bild der alten Freundin vermengen. In Avas Erinnerungen war sie noch immer die gutherzige Frau, die allen nur das Beste wollte. Wie sich ihre ganze Natur abrupt hatte ändern können, konnte sie sich nicht erklären. Selbst Pike schien es nicht vollständig zu verstehen.
Bevor sie es zurückhalten konnte, schob sich eine Erinnerung in ihre Gedanken, die ihr Herz sinken ließ.
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Avas Herz wummerte schmerzhaft in ihrer Brust, während sie sich gegen die Badezimmertür stemmte. Ihre Kiefer malten, während sich ihr Blick auf Adelaide heftete.
Ihr Gegenüber war ein Häufchen Elend. Die Brünette war auf den hellen Badezimmerfliesen in sich zusammengesunken, die Beine an den Körper gezogen und die Arme darum geschlungen. Ihre Hände zitterten. Ihre Glieder schlotterten und ihr ganzer Körper schwankte. Adelaides Augen durchbohrten das weiße Stäbchen, das zwischen beiden Mädchen auf dem Waschbeckenrand lag.
Die Minuten schlichen dahin. Avas Blick huschte zu dem Timer, auf dem die Sekunden in Zeitlupe verstrichen. Noch zwei Minuten. Ihre Lungen schnürten sich bei dem Gedanken an das mögliche Ergebnis bereits zusammen. Sie mochte sich kaum vorstellen, wie es Adelaide dabei gehen mochte.
„Noch zwei Minuten", murmelte sie und sah zurück zu Adelaide. Ihre Finger trommelten gegen ihre Oberschenkel, während sie überlegte, was sie sagen sollte. Dass sie einmal gemeinsam in dieser Situation stecken würden, hatte sie nicht gedacht, als sie vor nicht einmal zwei Monaten bei ihrem Onkel eingezogen war.
Sie schluckte schwer. Dass sich Adelaide an sie gewendet hatte, war erschreckend. Ein bitterer Geschmack machte sich in ihrem Mund breit. Seit Ava eingezogen war, waren sie einfach nicht miteinander klargekommen. Ganz im Gegenteil. Demnach musste Adelaide das Gefühl haben, sich an niemand anderen wenden zu können.
Trotz der Differenzen beider Cousinen hatte Ava nicht lange überlegt, als Adelaide sie mit ernstem Blick am Arm gepackt und sie flüsternd mit sich ins Bad gezogen hatte. Kaum hatte ihre Cousine ihr jedoch eröffnet, worum es ging, war ihr beinahe das Herz stehen geblieben.
„Glaubst du mir nicht?", Adelaides Stimme schwankte. Der Ausdruck in ihren Augen, als sie zu Ava aufblickte, verursachte tiefe Risse in ihrem Herzen. Dass sie das selbstbewusste Mädchen einmal so sehen würde, war ihr nie in den Sinn gekommen. Als würde sie jeden Moment vor Avas Augen in Scherben zerbrechen.
„Natürlich glaube ich dir", erwiderte sie ohne zu überlegen. Es war die Hoffnung darauf, dass etwas falsch gelaufen und sie sich vollkommen umsonst sorgten.
„Manchmal sind die Dinger nur falsch", setzte sie hinterher, um sicherzugehen, dass Adelaide sie nicht falsch verstand.Adelaide schwieg. Ihre Augen hatten sich auf ihre Finger gerichtet, mit denen sie auf ihren Knien herum trommelte. Offensichtlich schien sie Avas Zweifel nicht zuteilen. Als wäre jeder Funke Hoffnung in ihr erstickt.
Unsicher, was sie sagen sollte, blickte Ava sie einen Moment länger an. Dann löste sie ihren Blick und richtete ihn stattdessen auf den Wecker, der die letzten Sekunden verstreichen ließ. Als der schrille Alarm erklang, zuckte sie trotzdem zusammen. Instinktiv stürzte sie nach vorne, das Herz beinahe schmerzhaft gegen ihre Brust schlagend. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie das alarmierende Geräusch verstummen.
Wie angewurzelt stand sie vor dem Waschbecken, nicht in der Lage den Blick auf den Test zu senken. Das hier war er. Der Moment der Wahrheit! Obwohl sie sich das Ergebnis anhand von Adelaides Reaktion bereits vermuten konnte, wäre es mit dem Testergebnis Realität.

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Legends of Alaska
WerewolfAva Kingsleys Leben wird aus den Fugen gerissen, als sie nach 6 Jahren in ihre Heimat zurückkehren muss. Dort soll sie das Erbe verwalten, das nach dem mysteriösen Tod ihrer Eltern mit ihrem 21. Geburtstag an sie übergehen soll. Fest entschlossen ih...