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Als ich Thisbe zum ersten Mal sah, hatte ich geglaubt, dass hinter den Flügeln meines Brustkorbs ein schwarzes Loch weilte: ein von Sturzregengedanken und dunklem Kaffee bitter aufgebrühtes Herz.

Es war Spätsommer, die Sonne zeronn am Firmament wie eine entflammte Kerze, die zaghaft in ihrem eigenen Wachs schmilzt und von den Sträuchern des Gartens hingen die prallen Bäuche der Himbeeren hinab, die im Nachmittagslicht einen unnatürlichen Rotton angenommen hatten.

Ich saß im Schatten einer Linde und verbrachte viele Stunden im Versuch, die dunkelroten Früchte zu zeichnen, den Tag in seiner Spanne zwischen Aufblühen und Verwelken einzufangen, doch wollte es mir nie gänzlich gelingen.

Ein Skizzenbuch auf die Knie gebettet und einen Bleistift in der Hand, hatte ich Thisbe an jenem Tage durch den Spalt der efeuumrankten Mauer erspäht, die unsere beiden Gärten voneinander trennte und der mir durch die Mächtigkeit des Mauerwerks bislang kaum aufgefallen war.

Sie lag im Löwenzahnfeld unter einem Maulbeerbaum mit schneeweißen Früchten: Milchhände von ihrem schlanken Körper gestreckt und der Abstand ihrer Arme noch nicht groß genug, um das Konzept ihrer Selbst zu erfassen.

Ihre dunklen Haarranken wehten in der sanften Brise: in Mokkakaffee getränkte Strähnen, die sich nach jeder Böe im Schoß des Grases oder auf ihren pfirsichfarbenen Wangen wieder niederließen.

Erst nach einer Weile wurde mir bewusst, dass sie dort im ersterbenden Licht des Nachmittages eingeschlafen war, Lippen leicht geöffnet und Wimpern über ihre Wangenknochen gesprenkelt. Wie eine Biene, dachte ich, vom vielen Blütenstaubsammeln müde geworden.

Ich spielte mit dem Gedanken, innezuhalten und zu warten, bis sie wieder erwachen würde, wollte mich ihr vorstellen, da ich sie zuvor noch nie durch den Mauerspalt erblickt hatte und mich jenes unerwartete Aufeinandertreffen neugierig machte, doch war meine Kehle stets ein Ausreißer des Alphabets gewesen, meine Lippen bis auf leise Lächeln nicht des rechten Sprechens mächtig.

Und so blieb ich nur, bis die rubellitfarbene Sonne fast ganz am Horizont versunken war, es hinter der Mauer dunkel wurde und blickte ein letztes Mal auf das Mädchen, das unter dem Maulbeerbaum eingeschlafen war, in der stillen Hoffnung, es erneut dort anzutreffen.

Als ich Thisbe zum ersten Mal verließ, gehörte mein Herz noch mir selbst: galaktisch, grenzenlos und ein wenig unsterblich. Bald jedoch sollte sie fortwährend kleine Stücke dieses pochenden, hilflosen Organs stehlen, bis seine Grenzenlosigkeit sich auf die Wölbung ihrer Lippen, das Geräusch ihres Lachens und den Klang ihres Namens beschränkte.

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