[12] Freisetzung

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War das ihr Ernst? Ich lief auf sie zu und wollte gerade nach ihrem Arm greifen, als sie bereits nach Finn das Zelt verließ. Ich folgte ihnen und sah mich auf dem Platz um. Sie hatten sich in einem Kreis versammelt. Jeder von ihnen trug Gewehre oder Speere, viele zusätzlich auch Verletzungen.
Nur Murphy sah aus der Ferne zu und trug keine Waffe bei sich. Abgesehen von den Messern in seinen Hosentaschen, wie ich wusste.
"Ich melde mich zur Wahl!", rief Octavia und lief in den Kreis.
"Das steht nicht zur Debatte!" Connor funkelte sie wütend an. "Du willst in die Fußstapfen deines Bruders treten. Sein Verrat ist dein Verrat!"
Ich hätte beinahe auf gelacht. So lächerlich war das. Murphy hielt sich damit nicht zurück, wie ich im Augenwinkel wahrnahm. Sie führten sich so auf, als hätte ich sonst was getan. Dabei klebten an den meisten Händen hier mehr Blut als an meinen.
"Ich bin nicht wie mein Bruder!", verbesserte Octavia Connor kurz darauf. "Ich bin besser."
Mein Herz schlug stark in meiner Brust. Meine Hände formten sich zu Fäusten.
"Beweise es!" Connor sah sie auffordernd an.
"Wie?" Sie straffte ihre Schultern und drehte abwartend das Messer in ihrer Hand. "Traut sich jemand gegen mich zu kämpfen?"
"Du wirst nicht kämpfen?"
"Was soll ich dann tun?" Octavia ließ das Messer mit einer gekonnten Bewegung in ihrer Jacke verschwinden.
"Du sollst uns deine Loyalität beweisen!", fing Connor anzusagen.
"Wie?" Sie sah ihn herausfordernd an.
Sein Blick wanderte zu mir. Daraufhin folgten die der anderen.
"Ihr wollt, dass er verbannt wird, habe ich recht?", fragte Octavia laut nach.
Sie sah sich um und bekam hier und da Zuspruch. Die meisten sahen allerdings nur gebannt zu, was als nächstes passierte. So auch ich.
"Gut, dann verbannen wir ihn!", beendete sie ihren stehen gelassenen Satz.
Ich atmete tief durch und versuchte nicht meinen Impulsen nachzugehen. Doch ich konnte nicht anders. Ich lief zügigen Schrittes in die Menge, kämpfte mich an den anderen vorbei und griff nach ihrem Arm. "Was glaubst du, was du hier tust?", zischte ich ihr zu und zwang sie mich anzusehen.
"Dir den Arsch retten!", flüsterte sie und befreite sich grob aus meinem Griff.
"Gut, er wird noch heute gehen", meinte Connor und sah mich selbstgerecht an. Ich könnte kotzen.
"Wenn du bis zum nächsten Vollmond noch am Leben bist, kannst du zurückkommen", fügte er gnädig hinzu. "Dann bist du unser eins wieder würdig."
"Hörst du dir eigentlich selbst beim Reden zu?", platzte es aus mir heraus.
"Du warst es, der sich um unser eins einen Scheißdreck gekümmert hat!"
"Und du warst es, der uns dazu gebracht hat, die Armbänder anzunehmen!", erwiderte Connor laut. "Und du solltest nicht mal hier sein!"
Ich schnaubte. Doch bevor ich noch ein Wort sagen konnte, wurde ich nach vorne gestoßen. Ich wusste nicht, wer es war. Es spielte keine Rollen. Ich hatte hier mehr als einen Feind.
Ich spürte wie sie meine Taschen durchsuchten, Messer und Dolche herauszogen. Wie sie meine Arme auf den Rücken drehten und zusammenhielten. Erst kämpfte ich dagegen an, doch einer gegen alle waf unfair.
Unbewaffnet lag ich am Boden, spürte nichts als Wut, Hass und Schmerz.
"Wir sind fertig mit dir!" Irgendwer trat kräftig in meine Seite. Ich unterdrückte ein Keuchen.
"Wenn er geht, gehe ich auch", ertönte auf einmal eine Stimme. Ich sah auf. Murphy war heran getreten. Ich funkelte ihn wütend an und sog die Luft ein. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein. War die Bloßstellung ihm nicht schon genug gewesen? Hatte man vor ihm auf diesen ganzen beschissenen Planten keine Ruhe? Nicht mal in der Verbannung?
"Wie reizend", hörte ich Connor sagen.
Es gab Gelächter, Getuschel, manche Pfiffen. Kurz darauf vernahm ich wie er neben mir zu Boden geschubst wurde. Seine Waffen wurden entfernt, auf die gleiche Weise sie sie es bei mir getan hatten.
Ich erhob mich und stieß die anderen von mir. Murphy richtete sich kurz nach mir auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung.
"Was soll der Scheiß?", fragte ich in gedämpfter Stimme nach und drehte meinen Kopf in seine Richtung.
Er sah mich an, als wüsste er nicht, worauf ich hinaus wollte. Dann zog sich ein Grinsen über seine Lippen. "Hast du ein Problem damit?"
"Ja!", entfuhr es mir. "Das habe ich!"
Ich wollte keine offene Show bieten, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich war so verdammt wütend. Auf Octavia, auf mich und auf ihn.
Ich machte gerade erneut den Mund auf, als auf einmal meine Arme erneut nach hinten gedreht und mit Fesseln verbunden wurde.
Murphys Keuchen neben mir verriet, dass sie bei ihm mit der gleichen groben Art und Weise vorgingen wie bei mir. Die Seile schnürten sich in meine Haut. Im Gegensatz zu ihm war mir dieses Gefühl weniger vertraut und ich empfand es definitiv als unangenehmer.
Das Tageslicht verdunkelte sich. Sie hatten mir die Augen verbunden. Mein Herz raste in meiner Brust. Ich verspürte den Drang um mich zu treten oder zu schlagen. Doch mein Oberkörper war bewegungsunfähig und meine fehlende Sicht nahm mir jegliche Orientierung.
Überall waren Stimmen zu hören. Ich fragte mich wo Murphy war. Was vor sich ging. Was als nächstes passierte.
"Bellamy", hörte ich auf einmal eine Stimme dicht hinter mir flüstern. Es war Raven.
Im nächsten Augenblick nahm ich wahr, wie etwas in meine Hosentasche gesteckt wurde. Ich konnte es nicht einordnen.
"Ein Funkgerät", sagte sie kaum hörbar. "Die Verbindung ist schlecht, aber besser als nichts."
"Danke", hauchte ich, während ich Schritte hörte.
"Geh weg von ihm, Raven!", hörte ich jemanden rufen.
"Mögen wir uns wiedersehen", fügte sie noch hinzu, ehe sie ab zu treten schien.

Ich wusste nicht wie lange Murphy und ich durch den Wald geschubst wurden oder wie oft ich über Wurzeln stolperte, mich beschwerte und Murphys Kommentare dicht neben mir ertragen musste. Ich wusste auch nicht, wo Clarke gewesen war und warum Octavia mir so etwas antun würde. Ich wusste gar nichts mehr.
"So, das müsste reichen", wurde die Stille auf einmal gebrochen.
Die Augenbinde wurde entfernt. Wir standen mitten im Wald. Es gab keinen Anhaltspunkt, keinen Bach, keine Lichtung. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes ausgesetzt worden.
Unsere ehemaligen Mitglieder zielten ihre Gewehre auf uns.
"Wenn ihr uns folgt, werdet ihr sterben!", rief einer von ihnen, den ich bislang kaum wahrgenommen hatte. Die Waffe zitterte in seinen Händen. Ich wusste nicht, ob er fähig zum Töten war. Bei seinem Kumpel war ich mir nicht sicher. Den Gerüchten nach zu urteilen, war er aus diesem Grund hier: Mord. Wir hatten keine Waffen. Wir konnten keinen Widerstand leisten.
"Es wird bald dunkel werden. Wir sollten umdrehen." Mit diesen Worten zogen sie ab und ließen Murphy und mich stehen.
"Schönes Leben noch", hörte ich sie rufen.
"Lasst euch beim Vögeln nicht von den Groundern erwischen!"
Dann wurde es still. Ich sog die Luft ein.
Dann kniete ich mich, die Arme noch immer gefesselt, vor Murphy auf den Boden, was ihn dazu brachte, eine Augenbraue zu heben. Er war zum Ende hin ungewöhnlich schweigsam gewesen. Beinahe angenehm.
"Was wird das?", fragte Murphy nach. "Macht es dich so an, mich in Fesseln zu sehen?"
Ich ignorierte ihn. Das war es dann auch wieder mit der Stille.
Ich betrachtete den Boden. Trocken. Das Blatt eines Gebüschs. Trocken. Ein niedrig gelegenen Ast. Trocken. Es hatte keinen Sinn eine Fährte aufzunehmen. Die Fußabdrücke würden beim nächsten Windstoß vom Staub davon getragen werden.
"Irgendeine Idee, was wir jetzt machen?" Murphy betrachtete mich noch immer und fügte ironisch "Boss?" hinzu. Er sah selbst mit Fesseln viel zu lässig aus.
"Wir machen gar nichts!", stieß ich aus und kämpfte wütend gegen meine eigenen Fesseln an.
"Brauchst du Hilfe?" Murphy schien sich weiterhin zu amüsieren. Dem würde das Grinsen noch vergehen.
"Ich werde keine Minute länger deine Anwesenheit ertragen können", gab ich von mir und spürte immer stärker die Seile an meinen Hangelenken.
"Das glaube ich dir", sagte er mit einem zweideutigen Unterton.
Ich verharrte ruckartig in meiner Bewegung. Er hielt das alles für ein Spiel. Aber dieses würde er ganz sicher verlieren.
Ich wandte mich in seine Richtung, doch noch bevor ich etwas sagen konnte, kam er mir zuvor. "Sieh es ein, Bellamy, du wirst mich nicht so schnell wieder los werden."

Forbidden Desire - Bellamy×Murphy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt