[11] Vertrauen

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"Bleib stehen!", hörte ich auf einmal Octavias Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihr um und erwiderte ihren Blick. "Was willst du?" Ich wollte jetzt nicht reden.
"Stimmt es, was Connor sagt?" Sie griff nach meinen Arm und zwang mich, stehen zu bleiben. Ich sah sie wortlos an.
"Antworte mir!", rief sie und boxte mir in die Schulter. Sonst tat sie das nur spielerisch, aber heute war es anders. Heute waren wir beide ernst.
"Ist dir bewusst, wie viel scheiße er gebaut hat!?"
Ich sah zu Boden und fuhr mit meiner Zunge über meine trockenen Lippen. Mein Herz raste. "Ja verdammt!" Ich blickte ihr bei den nächsten Worten direkt in die Augen. "Das ist mir bewusst!"
"Warum tust du es dann?", fragte sie fassungslos nach. "Warum zum Teufel gerade er?"
"Ich bin nicht der von uns, der sich auf unsere Feinde einlässt." Kaum, dass ich es gesagt hatte, tat es mir leid.
"Feinde!?", wiederholte sie und stemmte ihre Hände in die Hüften.
"Die Grounder wollen uns töten", sprach ich weiter. Ich war zu sehr in Rage, um die Lage zu entschärfen. "Wegen ihnen ist ein Mädchen gestorben!"
"Lincoln hatte nie die Absicht, zu töten. Murphy schon!" Octavia funkelte mich an. "Wenn du deinen Spaß haben willst, dann werde ich dich nicht davon abhalten, aber Connor hat recht. Murphy ist ein Verräter. Also denke vielleicht mal darüber nach, wer hier der Feind ist, bevor du selbst zu seinem wirst!"
Mit diesen Worten lief sie davon in Richtung Wald.
"Octavia! Warte", rief ich ihr nach und realisierte allmählich, was ich getan hatte. "Wohin willst du?"
Doch es kam keine Antwort mehr. Und auch sonst nichts. Scheiße. Ich hatte nicht nur meinen Posten und meine Ehre verloren, sondern auch noch meine Schwester.

"Warst du es?", fragte ich energisch nach, kaum dass ich die Plane vom Murphys Zelt umgeschlagen hatte. Er lag auf seiner Liege und hatte mir den Rücken zu gewandt. "Was?", fragte er monoton nach.
"Bist du mir in den Wald gefolgt, um mich zu bestehlen?"
"Du vertraust mir immer noch nicht", stellte er fest, ohne auf meine Frage einzugehen oder sich zu bewegen.
"Ich weiß nicht, wem ich überhaupt noch vertrauen soll!", entfuhr es mir frustiert.
"Glaub mir, ich war mit anderen Dingen beschäftigt, als dich zu bestehlen", fügte Murphy kurze Zeit später hinzu.
Ich schwieg. Er tat es mir gleich. Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, kam auf einmal Clarke ins Zelt gelaufen und sah mich alarmiert an.
"Bellamy, die diskutieren über deine Freisetzung!"
"Die wollen ihn umbringen?", ertönte Murphys Stimme kurz darauf. Ich konnte seinen Tonfall nicht deuten.
"Nein! Sie wollen ihn rausschmeißen!"
"Kommt mir irgendwie bekannt vor", gab er von sich und lachte humorlos auf, während er sich auf den Rücken drehte.
Ich ignorierte ihn und wandte mich wieder an Clarke. "Das wird sich doch nie durchsetzen können. Sie haben ja nicht mal eine gute Begründung dafür."
Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Sie plündern in diesem Moment die Waffenkammer. Ich weiß nicht, was als nächstes passiert!"
"Verdammt!", entfuhr es mir.
"Hast du Octavia gesehen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Warum?"
"Sie ist abgehauen, unbewaffnet."
"Ihr wird nichts passieren", meinte Clarke ernst. "Sie ist stark und sie wird sich bestimmt bald wieder beruhigen."
"Das weißt du nicht. Wie du gesagt hast: Wir können nicht wissen, was als nächstes passiert! Und wenn ich wirklich ausgestoßen werde, möchte ich wenigstens Octavia in Sicherheit wissen."
"Schätze, wir sitzen jetzt im gleichen Boot", sagte Murphy plötzlich. Clarke und ich sahen zeitgleich in seine Richtung. "Willkommen am Abgrund, Bellamy."

Es vergingen drei Tage und Octavia war noch immer nicht aufgetaucht. Ich konnte weder schlafen noch essen und zog immer wieder los, nur um frustriert umzudrehen.
Die Stimmung im Camp hatte sich verändert, doch bekam ich davon kaum etwas mit, da ich mich von dem Rest der Welt abschottete. Und die Welt von mir. Abgesehen von Clarke, die häufig mit mir mit in den Wald kam und ab und zu Finn, der mir versuchte, Essen anzudrehen. Der Rest ignorierte mich, ob aus Furcht vor Connor und seinen Freunden, Furcht vor mir selbst, Enttäuschung, Hass oder Gleichgültigkeit wusste ich nicht.
Octavia blieb fort. Ich hatte versagt.
Am vierten Tag verschwand Murphy. Keinen schien das großartig zu stören. Sie waren froh, dass er abgehauen war und er nicht länger ihr Problem war. Vielleicht hätte ich ebenfalls dankbar darüber sein sollen, aber mein Körper vermisste seine Berührungen und meine Träume bewiesen mir oft genug, dass er sehr wohl noch ein Problem für mich war.
Ich lag gerade auf der Liege und starrte an die Wand, nachdem ich wieder einmal Stunden durch den Wald geirrt war, als auf einmal seine Stimme ertönte. "Ich hab da was für dich!"
"Kein Interesse!", entgegnete ich und versuchte mir meine Überraschung, dass er urplötzlich zurück war, nicht anmerken zu lassen.
"Ich schätze schon", erwiderte er nur.
Genervt richtete ich mich auf und sah in seine Richtung. Mein Blick fiel auf... Octavia.
"Pfoten weg!" Sie schlug um sich. Murphy hatte sie am Kragen gepackt und schob sie in das Zelt. Seine Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht und seine Nase blutete. Selbst an seinem Mund hatte sich getrocknetes Blut angesammelt.
"Sie ist stur. Liegt wohl in der Familie", klärte er mich auf und fuhr sich über die Nase. "Ich erwarte keinen Finderlohn, aber glaub ja nicht, dass ich mich noch mal mit ihr anlege!" Mit diesen Worten schubste er meine Schwester in meine Richtung. Sie funkelte ihn wütend an.
"Und pass auf: Die Kleine beißt." Mit diesen Worten hob er seine Hand und offenbarte die roten Abdrücke an seiner Handfläche.
Ich konnte nichts anderes tun als ihn anzustarren.
"Hast du ihn auf mich angesetzt!?", riss mich Octavia aus den Gedanken. Ihre Worte zogen an mir vorbei, während ich noch immer schweigend da stand.
Murphy schien auf etwas zu warten, dann drehte er sich um und verschwand aus dem Zelt.
"Bellamy!" Octavia stellte sich vor mich.
"Wo warst du?", platzte es endlich aus mir heraus. "Ich habe mir scheiße Sorgen gemacht!"
Ich griff sie im Nacken und dirigierte sie zur Liege. Während ich sie noch auf ihr platzierte, suchte ich sie nach Verletzungen ab. Doch Murphy hatte eindeutig mehr abgekommen als sie.
"Ich war bei Lincoln", sagte sie schulterzuckend.
"Bei den Groundern?", stieß ich aus und machte ein paar Schritte zurück.
"Was soll das?", fragte sie nach. "Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen!"
"Du verstehst den Ernst der Lage nicht, du hattest nie die Möglichkeit zu lernen, wie man mit anderen umgeht, wie man erkennt, ob jemand gut oder böse ist."
"Und das ist meine Schuld, ja?", giftige sie. "Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht"
Ich wurde wieder sanfter. "Ich weiß, Octavia."
"Nein, Bellamy, du weißt gar nichts!"
Sie machte Anstalten an mir vorbei zu stürmen.
"Warte!", sagte ich bestimmt und drückte sie zurück auf die Liege. "Die anderen schmeißen mich vielleicht raus."
"Was?" Sie sah mich verständnislos an.
"Sie wollen nicht, dass ich länger Teil der Gruppe bin", fügte ich hinzu und sah dabei nicht sie, sondern den Boden an.
"Ich glaube langsam, dass du das auch nicht länger sein willst" Octavia erhob sich.
"Und was ist mit dir? Sind die Grounder nicht jetzt deine Familie?"
"Nein! Ich habe keine Familie und hatte nie eine."
"Das sagst du mir, nachdem Mom und ich jahrelang für dich unseren Arsch riskiert haben!?" Die Wut kochte über, zeitgleich wollte ich sie einfach nur in die Arme nehmen.
"Leute!" Finn steckte seinen Kopf ins Zelt und sah sich hektisch um. "Die wollen den neuen Anführer wählen."
"Kein Interesse", erwiderte ich nur und spürte wieder die Demütigung in mir aufkommen.
Octavia hingegen warf mir einen vielsagenden Blick zu und steurte mit gehobenen Kinn auf Finn zu. "Ich melde mich zur Wahl!"

Forbidden Desire - Bellamy×Murphy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt