Kapitel 19

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Madisons rationales Denkvermögen hatte in dem Moment ausgesetzt, als sie in der Tür stand und diese Frau halb auf Nolans Tisch sitzen sah und ihr Fluchtinstinkt gewann die Oberhand über die Logik. Natürlich hatte sie gesehen, dass diese Colette weder nackt war, noch bei Nolan auf dem Schoß saß... und doch war es gewesen, als ob ein schwarzes Tuch sich über ihre Logik legte.

Vollkommen außer Atem sank sie im Park unter einem Baum auf die Knie und stützte sich mit den Händen auf dem weichen Boden ab. Ihr Körper zitterte und sie fühlte sich albern, weil sie vollkommen überreagiert hatte und einfach weggerannt war. Ganz sicher fragte Nolan sich mittlerweile was ihr Problem war und arbeitete professionell die ganzen Aufträge von dieser Colette Newman ab, nachdem er diese in ihre Schranken gewiesen hatte. Verdammt. Warum konnte sie nicht einfach gelassen sein und über solchen Dingen stehen? Was hatte sie denn zu befürchten? Sie vertraute ihm doch. Und sie wusste, dass er sie niemals betrügen würde. Dafür war er ganz einfach zu feinfühlig. Sein Charakter war gänzlich anders als Tuckers.

Mit Tränen in den Augen ließ sie sich mit den Rücken gegen den Baumstamm hinter sich sinken und zog ihre Beine vor der Brust an, damit sie ihre Arme um ihre Knie schlingen konnte. Schüchtern, albern, am überreagieren und mit geringem Selbstwertgefühl. Hatte Tucker damals Recht gehabt? Gab es nichts Besonderes an ihr? Anfangs war sie zu frech, zu laut, zu cool und viel zu selbstbewusst. Dann hatte ihr Ex-Freund sie fast gebrochen, ehe sie all ihren Mut zusammennahm und die Flucht versuchte, als er an einem der vielen Zwischenstopps an einer Tankstelle kurz unachtsam war, weil ihn eine heiße Blondine angesprochen und nach Feuer gefragt hatte. Tagelang hatte sie sich durch die unterschiedlichsten Ortschaften geschlagen und hin und wieder etwas Wasser aus einem Fluss getrunken, um nicht zu verdursten, ehe sie auf eine hilfsbereite und freundliche Frau gestoßen war, die ihr schlussendlich half.

Ihr Blick richtete sich auf einen Hund, der in einiger Entfernung fröhlich vor sich hinkläffend über die Wiese tobte und ein kleines trauriges Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit. Wie sollte sie Nolan nur erklären, was in dem Moment in ihr vorging, als sie in der Tür seines Büros stand und postwendend weggelaufen war? Würde er das nicht übertrieben finden? Ein leises Seufzen entfloh ihr und sie lehnte ihren Kopf an den Baum hinter sich, damit sie ihre Augen schließen und ihre Gedanken kreisen lassen konnte.

„Cinderella", hörte Madison Nolans leise, samtene Stimme und sie konnte die Besorgnis heraushören. „Ich dachte mir, dass ich dich hier finde. Du hast mir erzählt, dass du hier herkommst, wenn du Ruhe brauchst."

Sie schämte sich für ihr kopfloses Verhalten und schluckte die Tränen runter, die sich einen Weg nach draußen kämpfen wollten. Er war ihr hinterher gekommen und schien nicht sauer oder enttäuscht zu sein, sondern besorgt um sie. Womit hatte sie diesen Mann verdient? Sein beruhigender Duft hüllte sie ein wie ein Kokon und Madison seufzte kaum hörbar, als er sich neben sie ins Gras setzte und in seine starken Arme, direkt auf seinen Schoß zog.

„Ich denke, ich werde ihn doch umbringen."

„Was? Wen?", riss Madison ihre Augen auf und spürte, dass ihr Puls sich beschleunigte.

„Deinen verfluchten Ex", entgegnete er und sie lehnte sich in seinen Armen etwas nach hinten, damit sie ihn nun doch ansehen konnte.

„Wie kommst du jetzt auf ihn?"

Nolan richtete seine Aufmerksamkeit auf sie und strich ihr mit einer Hand sanft über den Rücken.

„Er hat dich schlecht behandelt. Dir eingetrichtert, du seist zu laut. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass du ihm zu selbstbewusst warst. Also hat er dir gesagt, du sollst leiser sprechen. Du solltest keinen Blickkontakt zu anderen Menschen herstellen. Das lässt durchblicken, dass du dich unterordnen solltest. Dir zu sagen, du darfst Berührungen nicht zulassen, signalisiert mir, dass du keine Bindungen aufbauen durftest. Dieser Typ hat dich dahingehend manipuliert und dich klein gemacht, Madison. Ihm solltest du treu sein; doch mit Sicherheit hat er selbst genau das Gegenteil getan. Ist es nicht so?", seine Augen verdunkelten sich vor Ärger. „Dieser Tucker hat ein großes Problem mit sich und seinen Mitmenschen, glaub mir. Und dich hätte er fast gebrochen, wenn du dich ihm nicht bis zu einem gewissen Grat angepasst hättest. Deine Schüchternheit war ab einem gewissen Zeitpunkt dein Schutzschild. Doch diesen brauchst du jetzt nicht mehr."

The Shy & the CharmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt