Schon mal was von Gegensätzen gehört?

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Theodor Ausbach kann sich noch sehr gut an den Moment erinnern, als er Vanessa das erste Mal begegnet ist. Wie könnte er auch den Anblick ihrer zappeligen Beine, die über den Rand des Tisches seines Assistenten hin und her schwangen, vergessen. Doch wenn er ganz ehrlich ist, war es ihr schallendes Lachen, das dem einer gehässigen Hexe glich, das, was er als erstes von ihr wahrnahm und ihn damals mit der Stirn runzeln ließ. So einen Ton hatte er seit dem Tag, als er die Kanzlei seines Vaters übernommen hatte, kein einziges Mal gehört. Normalerweise geht es in den Räumen seines Arbeitsplatzes gesittet, ruhig und anständig zu. Theodor war ein Mensch der sehr darauf achtete, dass alles außerordentlich professionell und ohne großes Aufsehen vonstatten ging. Er duldete keine Ausrutscher, war ein Mann, der den fordernden und ehrgeizigen Pfad seines Vaters übernommen hatte und damit ziemlich erstrebenswert bei seinen Klienten war. 

Dass also ohne vorhersehbaren Grund eine junge Brünette mit hellen Strähnen, die von der Sommersonne Berlins geküsst wurde, sich auf dem Schreibtisch seines beschämt dreinschauenden Assistenten rekelte, war ein Problem, dessen Kalkulation er niemals in Betracht gezogen hatte. Und dennoch konnte er den Blick nicht von Vanessa nehmen. Es war ihm einfach nicht möglich. Sie hatte etwas an sich, dass er in diesem Moment als "Hippie" eingestuft hatte, auch wenn diese Bezeichnung längst nicht mehr im allgemeinen Gebrauch war. Ihre lässige, oder für ihn eher unverschämte Körperhaltung, betonte ihre eher mageren Kurven, die sie allerdings gekonnt aber höchst obszön mit einer kurzen Shorts und einem knappen Top zur Schau gestellt hatte und mit einer knöchellangen Stoffweste ergänzte. Er konnte es nicht leugnen, aber sie war eine Augenweide, wenn auch eine, welcher er jederzeit in einem großen Bogen auf offener Straße umgehen würde. Solche Leute waren ihm schon immer skurril gewesen und auch diese Frau mit dem offenem und freiem Lächeln weckte in ihm den Eindruck, als wäre sie sich über den Ernst des Lebens nicht bewusst. 

Erneut drang der Ton ihres viel zu lauten Lachens in seinen Gehörgang, was ihn gequält die Augen schließen ließ. Er wusste schon in diesem Moment, dass er diesen Klang noch ewig in den Ohren haben würde und verabscheute es sofort. Gefasst und bereit für das, was als nächstes kommen würde, richtete er sich seine dunkelblaue Krawatte zurecht, straffte seine Schultern und ging um die Ecke herum, wo er die gläserne Tür zu seiner eigenen Kanzlei öffnete. Sein Assistent war der erste, der ihn bemerkte und augenblicklich nach Fassung rang, während er sich schnell von seinem Stuhl erhob: 

"Gu.. Guten Morgen, Herr Ausbach."

Theodor beäugte den jungen Mann, der in der gesamten Zeit, die er bisher hier verbracht hatte, wirklich gute Leistungen erbrachte. Er war zwar jung und hatte erst vor kurzem ausgelernt, aber er war talentiert, gehorsam und kompetent - Eigenschaften, die Theodor an Markus Klamm schätze, wie es auch sein Vater tat. Dieser Zwischenfall sollte seinen lobenden Blick auf ihn allerdings zukünftig etwas  abändern. 

"Herr Klamm, bisher dachte ich nicht, dass ich Ihnen die Prinzipien dieses Unternehmens vorlegen müsste, aber nun glaube ich es wäre an der Zeit noch einmal genauer mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. Schicken Sie Ihre private Angelegenheit bitte nach draußen und kommen Sie dann in mein Büro!"

Theodor vermied es wissentlich in das Gesicht der jungen Frau zu sehen, konnte allerdings ihren Blick auf sich spüren, was ihn innerlich unruhig werden ließ. Doch er wäre kein guter Anwalt, wenn ihn so eine Situation irgendwie aus der Fassung bringen würde. Also schickte er einen letzten fordernden Ausdruck in Markus' Richtung, der eine leise Entschuldigung säuselte und lief daraufhin stur in sein Büro - oder er hatte das zumindest vor, wenn da nicht diese eine spöttische Stimme im Hintergrund aufgetaucht wäre und ihn daran hinderte weiter zugehen. Doch es war nicht nur die Tonlage, die ihm eine Art Schauer über den Rücken laufen ließ, sondern auch die ausgesprochen respektlosen Worte, die zu ihm hingetragen wurden: "Wow! Spießeralarm!"

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