Schon mal was von Notlügen gehört?

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Es war für den Anwalt schon immer faszinierend gewesen, mit welchen Tücken und welchem Einfallsreichtum manche Menschen ihre Morde planten. Tatsächlich hatte Theodor in seiner Laufbahn eher selten Fälle erlebt, in denen jemand vergiftet wurde. Allerdings laß er einmal von einem Fall, wo sich eine Ehefrau jahrelang eine minimale Dosis des Giftes der Pflanze blauer Eisenhut gespritzt hatte, um dann eine geeignete Immunität davon zu tragen, wenn sie eine größere Menge davon in das abendliche Mahl untermischte und so ihren mehrfach bei der Polizei auffällig gewordenen und aggressiven Ehemann seines Lebens beraubte. Trotzdem hatte er sich nie in der Rubrik des Strafrechts gesehen und schlug den Weg seines Vaters als Rechtsanwalt für Erbrecht ein. Es war ihm aber durchaus bewusst, dass auch hochprozentiger Alkohol nicht nur eine Droge, sondern wissenschaftlich gesehen als Gift galt, das sich auf alle möglichen Körperzellen auswirken konnte. 

Sein geübter und aufmerksamer Blick verriet ihm gleich, als Vanessa mit den Getränken zu ihrem Tisch angeschlendert kam, dass etwas nicht stimmte. Das aufgeregte Glitzern in ihren Augen, die Art und Weise, wie sie auf der Innenseite ihrer Wange kaute und das Auftauchen ihres kleinen Grübchens, als sie Theodor sein Wasser hinstellte, waren alles Indizien dafür, dass dieses Getränk nicht das zu sein schien, was er bestellt hatte - und so war es auch! Das eine Mal, als Theodor aufgrund einer Wette puren Whiskey hinunterschlucken musste und er dabei das Gefühl hatte, seine Speiseröhre wegzuätzen, war und würde ewiglich das erste und letzte Mal gewesen sein, dass er dieses teuflische Zeug angerührt hatte! 

Während er das Glas mit der klaren Flüssigkeit an seine Nase führte, stets darauf bedacht, dass die Barkeeperin, deren Trinkgeld kaum der Rede wert sein würde, nicht hinsah, daran roch und keinen auffälligen Geruch wahrnahm, war er fast schon etwas schuldbewusst. Doch als er dann daran nippte und parallel zu seinem angewiderten Gesicht den Tropfen wieder hinein spukte, wurde er von einer Welle der Empörung überrollt, die ihn beinahe dazu gebracht hätte zu der bestimmten Person zu gehen und sie zur Rede zustellen. Aber diese Blöße wollte er sich nicht geben und hustete nur die letzten Reste aus seiner Lunge, bevor er sich wieder gerade hinsetzte und seine gewohnt adrette Haltung einnahm. Als Markus ihn daraufhin besorgt ansah und fragte, ob alles in Ordnung sei, winkte er seine Sorge mit einem freundlichem Nicken ab.

Er wusste was Vanessa Klamm für ein Mensch war. Ihre Art wollte laut sein, auffallen und provozieren und die Leute um sich herum dazu bringen aus ihrer Komfortzone zu treten, um sie dann in die höllische Welt ihrer Realität zu bekommen. Und er wusste auch, dass sie es nur allzu sehr genoss ihn zur Weißglut zu bringen. Woher sie wusste, wie sie das schaffen konnte und wieso gerade er das Opfer ihrer Provokation sein sollte, konnte er sich allerdings nicht erklären. Und das wiederum weckte seine Neugier auf sie. Darauf hätte er liebend gerne in ihrer Anwesenheit verzichtet.

Die Tatsache, dass seine Angestellten in ein für ihn eher müdes Thema verwickelt waren und ihm somit keine Aufmerksamkeit schenkten, kam Theodor gerade recht. Er überlegte fieberhaft, wie er das lästige Getränk aus seinem Glas bekommen könnte, ohne dass es jemand mitbekäme. Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Entweder er gäbe sich die Blöße und würde seinen Assistenten darum bitten sein Glas zu leeren oder aber die Pflanze, die sich auf dem Fensterbrett hinter ihm befand, würde drunter leiden müssen. Er hätte auch mit dem Getränk auf die Toilette verschwinden können, doch den Blicken der Gäste wollte er sich nicht aussetzen, zumal es der freundlichen Kellnerin bestimmt aufgefallen wäre. Theodor wiegte seine Chancen ab. Er hatte nie wirklich einen Bezug zu Pflanzen und besaß eher einen schwarzen als grünen Daumen, doch als er das Gift in die Erde hinter sich kippte, immer darauf Bedacht, dass ihn dabei keiner beobachtete, empfand er einen kleinen Anflug von Bedauern. Dieses Gewächs hatte seine schönsten Tage bereits hinter sich.

Einige Momente später verdunkelte sich auf einmal der Raum in dem sie saßen und das Licht eines Scheinwerfers flackerte eher trüb als erleuchtend auf die provisorische Bühne, die Theodor eher als abgenutzte Parkettfläche bezeichnet hätte. Ihn wunderte es nicht, dass er Vanessa mitten Im Rampenlicht stehen sah, ein Mikrofon so einstellend, dass sie es genau vor ihren blassrosafarbenen Lippen hatte. Das aufgeregte Lächeln in ihrem Gesicht, das so gar keine Schüchternheit oder Unwohlsein zeigte, bestätigte seine vorherige Vermutung: Vanessa Klamm war eine... wie würde es der Volksmund aussprechen? Ach ja, Rampensau! Sie genoss die aufkommenden Jubelrufe der anderen Gäste, wozu im Übrigen auch ihr Bruder zählte.

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