Schon mal was von Geschwisterliebe gehört?

11 2 12
                                    

Das monotone Piepen der Geräte war das einzige Geräusch das er hörte und ihn dazu brachte nicht in die grausame Welt seiner eigenen Gedanken versinken zu müssen. Er wollte sich dem Chaos und der Masse an Fragen in seinem Kopf nicht stellen. Dazu war er einfach noch nicht in der Lage. Dieser sterile, weiße Raum passte so gar nicht zu dem sonst so bunten Menschen, der mit geschlossenen Augen und an einer Vielzahl von Schläuchen angeschlossen war. Wäre die Person wach, würde sie sich jeden einzelnen von ihnen aus der Haut reißen und ihn wütend anbrüllen, wie er es zulassen konnte, dass man so etwas mit ihr machen konnte. Bei diesen inneren Bildern, hätte er am liebsten gelächelt, doch der Anblick des schlaffen Körpers auf dem Krankenbett ließ jede Emotion zu Eis erstarren. 

In seiner Kindheit gab es oft den Moment, in welchem Markus Klamm sich wünschte ein Einzelkind sein zu können. Mit jedem Tag, an dem Vanessa ihn zum fremdschämen brachte, jeder Augenblick, wo sie sich nicht so verhielt, wie es von ihnen verlangt wurde, jede verdammte Minute, die er für ihre Hirngespinste beim Direktor seiner Schule sitzen musste, obwohl er so gut wie keine ihrer Ideen guthieß und seine Schwester im Endeffekt nur dazu bringen wollte es sein zu lassen. All diese Erlebnisse verstärkten seinen kindlichen Wunsch alleine in diese Familie geboren worden zu sein. Als er es irgendwann nicht mehr aushielt, stellte er sie zur Rede, flehte sie beinahe schon an, sich einfach mal zusammenzureißen und normal zu sein, sodass er sich nicht mehr für sie schämen müsste. Und was tat Vanessa daraufhin? 

Gar nichts! Weder war sie empört, noch traurig, noch änderte sie irgendetwas an ihrem Verhalten. So kam es Markus jedenfalls vor. In seiner kindlichen Wut konnte er damals nicht sehen, wie verletzt seine große Schwester in Wirklichkeit von seinen Worten war. Mal ehrlich: Wer wäre nicht vollkommen am Boden zerstört gewesen, wenn er von seiner Familie hören würde, dass man so wie man ist nicht gut genug sei?

Je älter die beiden wurden, desto mehr sah Markus, was Vanessa für ein Mensch war. Mit jedem Jahr der Reifung und des weiter wachsenden Selbstbewusstseins ihrerseits wurde ihm klar, dass er tun und lassen konnte, was er wollte: Vanessa würde sich niemals ändern! Weder für ihn, noch für sonst jemanden, was ihn dazu brachte, sie mehr und mehr so zu akzeptieren, wie sie war: wild, stur, eigensinnig, temperamentvoll und völlig verrückt! So wie auch an dem Tag des Festes.

Unter den Besuchern, die sich allesamt einen sicheren Platz im Trockenen gesucht hatte, gab es niemanden, der noch daran dachte weiter zu feiern. Für alle Anwesenden war klar gewesen, dass mit dem plötzlichen Regen das jährliche Event zum Ende gekommen war - doch keiner von ihnen hatte mit Vanessa Klamm gerechnet, die vom Regen völlig durchnässt und trotzdem von einer Lebensfreude erfüllt war, sodass die Besucher gar nicht anders konnten, als ihre Blicke zu ihr schweifen zu lassen. Manche von ihnen schauten missbilligend, andere wiederum verwirrt und wieder andere fasziniert, zu denen offensichtlich auch Markus' Chef gehörte. Er sah Theodor Ausbach von er Seite an und schmunzelte als er seinen Blick, den er gebannt auf seine Schwester heftete, bemerkte. Als dann auch noch Vanessas Stimme im Einklang mit dem Donnern des Gewitters zu hören war, weiteten sich seine Augen vollends. 

Markus wusste was für eine Wirkung ihre melodische Singstimme auf die Menschen hatte und konnte nie verstehen, wieso sie diese nur in den Wänden des Ken's präsentierte und nie weiter in die Welt getragen hatte. Jegliche Diskussionen mit ihr darüber waren vollkommen zwecklos gewesen und mit der Zeit ließ Markus seine motivierenden Einwände fallen. Ihn wunderte Vanessas Verhalten nicht mehr, war sie doch schon immer der Inbegriff von Sturheit gewesen. Sie nun in diesem Moment, der nicht unpassender hätte sein können, in der Öffentlichkeit singen zu hören und zu sehen, verwirrte den Assistenten enorm und ließ ihn ebenso wie alle anderen seine Schwester mit gerunzelter Stirn beobachten. 

Vanessa sang mit einer Leidenschaft, für welche Markus sie schon immer beneidete aber wusste, dass er es ihr niemals gleichtun könnte, auch wenn er eine ebenso schöne Stimme besitzen würde. Dafür fehlte es ihm einfach an Selbstbewusstsein, von dem seine Schwester mehr als genug von ihrer beider Vater geerbt hatte. 

KonfettiregenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt