Konfettiregen

Schon mal was von Wiedersehen gehört?

Meine geliebten Jungs,

wow. Wo soll ich anfangen?

Wenn ihr das hier lesen solltet, dann bin ich mit einer hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit mausetot. Also so richtig! 

Mein Herz pumpt nicht mehr, keine warme Körpertemperatur vorhanden und mein strahlendes Äußeres gehört der Vergangenheit an. Eine ziemlich beschissene Situation für mich... Mal ehrlich? Wer will schon in seinen besten Jahren von der Bildfläche verschwinden, obwohl man noch so viel erleben möchte? Ich hatte so viele Wünsche und Pläne. Ich hatte mir vorgenommen irgendwann auf der großen Bühne stehen zu können, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen und der ganzen Welt zeigen zu können, dass Vanessa Goltz eine verdammt geile Entertainerin sein konnte, ganz ohne abgemagerten Körper, der es einfach zum Kotzen fand, ständig diese elenden Medikamente zu sich nehmen zu müssen und mehr über der Kloschüssel hing als am Mikrofon. 

Ich wollte aus meinen alten Fehlern lernen und zu ihnen stehen. Verfluchter Mist! Ich wollte meinen Sohn Julius endlich in meinen Armen halten, ihm sagen können, dass ich ihn über alles liebe und eine Scheißangst hatte, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Nicht um mich, sondern um den kleinen Menschen, der dazu verdammt war mit einer todkranken Mutter zurechtkommen zu müssen. Ich wollte ihm so gerne sagen, dass es bisher nur einen einzigen Moment in meinem Leben gab, der nicht perfekter hätte sein können und an dem ich beinahe zugrunde gegangen wäre. 

Julius, mein geliebter Schatz. Als ich dich das erste Mal in meinen Armen hielt, nach stundenlangem und schmerzvollem Wehen, konnte die Welt nicht wundervoller sein. Du, mit deinen winzigen Fingerchen, die so voller Kraft und Lebenswillen waren. Du, mit deiner grausamen Stimmlage, die mir das Herz schwer werden ließ. Du, mit deinen kurzen Beinen, die in alle Richtungen strampelten. Heilige Scheiße! Du warst das Beste, was mir je passieren konnte! Doch ich war es nicht für dich...

Der Tag deiner Geburt war der schönste Tag in meinem Leben und gleichzeitig der schlimmste! Es zerriss mir das Herz, als die Tür aufging, eine Frau hereinkam, dich ansah, so als würde sie dich mehr lieben, als ich es tat. In ihren Augen sprach pure Freude, unendliches Glück und der hoffnungsvolle Wunsch nach einer Familie. Und ich wusste in diesem Augenblick, dass sie dir all diese Dinge schenken konnte, so sehr ich sie auch hasste... Dinge, die du von mir niemals in so einem Ausmaß erhalten würdest, doch vollkommen verdient hattest. Das winzige Bündel in meinen Armen schlief, als ich es übergab. 

Etwas zerbrach in mir. Etwas zog mich in die Tiefe der Traurigkeit. Etwas starb bereits, als mir der Körper meines geliebten Babys aus den Armen entrissen wurde und seine kräftige Stimme dabei erklang. 

Ich habe geschrien, sie sollen dich mir zurückgeben! Ich habe geweint, so wie du es auch getan hattest! Ich habe um mich geschlagen, als du den Raum verließest! Alles in mir kämpfte darum dich bei mir behalten zu dürfen, während mein Herz in tausend Teile zersprang und doch wusste mein Verstand, dass es das richtige war, dich in ein Leben zu schicken, dass dir würdig war.

Fuck! Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, das alles aufschreiben zu müssen. Du musst wissen, mein großer Junge, dass deine leibliche Mutter sonst nicht so auf die Tränendrüse drückt. Wenn es einen gibt, der ständig am heulen ist, dann ist das dein Onkel Tim, von dem ich sicher bin, dass er genau in diesem Moment dabei ist, sich das... sagen wir mal, dritte Taschentuch aus der Tasche zu holen. Stimmt's oder hab ich recht, Bruderherz? 

Ach, jetzt schau nicht so bedeppert drein! Wenn das unser Großvater sehen würde, könntest du dir eine laaaaange und ätzende Standpauke zum Thema "Männer dürfen keine Schwäche zeigen" anhören. Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir einmal zweieinhalb Stunden in dem kleinem, nach Zigarettenrauch stinkenden, Wohnzimmer sitzen mussten und er uns seine strengen Worte um die Ohren warf? Wenn ich an seine herausquellenden Augen und seine Monobraue denke, wird mir ganz anders zumute. Dieser Mann war einfach nur furchtbar und völlig lernresistent und du hast dich nie darum geschert, was er von dir verlangt hatte. Na ja, das stimmt so nicht ganz. Eigentlich hat es dich völlig fertig gemacht, wenn Großvater mit dir meckerte, was ich daran sehen konnte, wie du auf deinem knarrenden Stuhl immer kleiner wurdest. Aber weißt du was?