Seine Instinkte rieten ihm, seine Waffe zu ziehen – eine Norintek Hybrid 32 – und sein Optikimplantat wechselte in den Gefechtsmodus.
Die Gefahrenanalyse stellte die NH32 auf Betäubungsmodus. Leichte Energieladungen, mit denen er wildgewordene Roboter oder flüchtende Verbrecher außer Gefecht setzen konnte. Die Alternative, synthetisch hergestellte Plättchenmunition, wäre in diesem Fall Overkill gewesen. Immerhin befand er sich in keinem Bandenkrieg oder im Angesicht einer Außenweltbestie. Und selbst wenn der Körperpanzer, der sich unter seiner Kleidung an ihn schmiegte, hauchdünn war, würde die hier unten ausreichen. Falls hier ein Mörder auf der Lauer lag, das verfügbare Waffenarsenal der Unterwelt war beschränkt.
Die potentielle Leiche unter dem Tisch war gar keine, was sie dadurch bewies, dass sie sich mit einem kräftigen Stoß darunter hervorschob.
Ein junger Kerl in Lederklamotten, in die unzählige werkzeuggefüllte Taschen eingearbeitet waren. Ein kurioser Anblick, mit dem er sich von all den anderen Menschen abhob, die hier unten billiges Synthetikzeug trugen. Ein Scan seines Optikimplantats zeigte ihm, dass es sich um eine Spezialanfertigung handelte, nahezu komplett aus Riesenrattenleder. Die Viecher waren eine hartnäckige Plage, die das Kanalsystem der Unterwelt heimsuchte.
Der enttäuschte Blick des jungen Mannes richtete sich erst auf eines der Medienpanels, bevor er erstaunt zum Sergeant sprang. Trotz seines jugendlichen Gesichts blitzten bereits graue Strähnen aus seiner Mähne heraus, die wild durcheinander stand und über Augen und Ohren fiel.
"Kann ich Ihnen helfen?"
Das wäre zu schön, um wahr zu sein.
"Sergeant Torochew", wiederholte er seine Vorstellung. "Ich ermittle im Todesfall Tamachi."
"Sicherheitskorps?" Seine Augenbrauen hoben sich und verschwanden gänzlich unter den Haaren. "Ganz ohne Uniform? Und Tamachi ... er ist tot? Der war doch gerade noch hier."
Torochew trug keine Uniform und Rangabzeichen mehr, seitdem er einen Posten bei der Außenweltabteilung bekommen hatte. Sorgte nur dafür, dass die Verbrecher auf dumme Ideen kamen, wenn er auftauchte.
"Tamachi ist an einem Stromschlag gestorben. Ich hatte gehofft, hier herauszufinden, wie das geschehen konnte – ohne dass die Segmentüberwachung eingegriffen hat."
Der Name des Jungen – Pierre Borque – tauchte auf einem Farbklecks neben seinem Kopf auf und der Sergeant unterdrückte den weiteren Informationsfluss des Zitadellennetzwerks. Stattdessen aktivierte er den Verhörmodus. Gestik, Mimik und Puls wurden auf Anzeichen untersucht, die den Wahrheitsgehalt seiner Antworten untermauern oder sie als Lüge entlarven konnten.
"Das mag jetzt nicht das sein, was Sie hören wollen." Er zog einen seiner Mundwinkel zu einem verlegenen Grinsen zur Seite. "Er war hier und hat erzählt, dass er Arbeiten an einem Verteilerpanel durchführen muss. Mitten in der Nacht. Keine Minute später war hier alles tot."
Genau wie Tamachi. Es klang unglaubwürdig, dass dies zufällig zur gleichen Zeit geschehen war, doch der Verhörmodus schlug keinen Alarm.
"Wer führt hier unten die Reparaturen aus, wenn kein Tek auftaucht?"
"Leute ... unter anderem ich selbst."
Torochew musterte das Werkzeug in seinen Ledertaschen. Kaum eines war mit einer ID registriert. Fast alles Eigenbauten.
"Haben Sie auch Reparaturen am Verteilerpanel durchgeführt?"
Sein Gesicht wurde bleich und die Haut, die weiß durch die Haarsträhnen hervorschien, erinnerte an das Fell eines Zebras. War Torochew der Löwe, der es nun erlegte?
DU LIEST GERADE
Fall Omega [Pausiert]
Science FictionSergeant Elisa Torochew sorgt in der Zitadellenstadt für Recht und Ordnung. Zufluchtsort der letzten Menschen und isoliert von der Außenwelt, hat die Stadt vor kurzem ihre Tore geöffnet und die einst strenge Kontrolle über die Menschen gerät ins Wan...