Verdacht (4)

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Er begleitete sie freiwillig. Dennoch nagte ein Gedanke an ihm: Würde er jemals wieder die Oberfläche erblicken? Was hier passierte, klang zu einfach. Dass eine der Familien freiwillig Informationen preisgab, war verdächtig. In ihren Gebieten genossen sie Narrenfreiheit. Das Sicherheitskorps durfte sie selbst bei einem Verdacht nur selten und dann auch nur nach einem bürokratischen Hürdenlauf betreten. Deswegen konnte sich am Boden alles befinden. Eine Folterkammer, ein Biolabor, in dem grotesken Kreaturen gezüchtet wurden oder ein Haufen Teks, die an einer Superwaffe tüftelten, die das Ende der gesamten Zivilisation bedeutete. Klang das zu verrückt? Nein, er hatte schon einiges mitbekommen. Und wenn er etwas sah, das eigentlich nicht für deine Augen bestimmt war, würde er verschwinden.

Die verdammten Familien! Sie waren überall. Mit ihren Produkten, mit ihren Medienkanälen. Hatten ihre Marionetten im Rat, selbst im Sicherheitskorps. Gegen sie vorzugehen war auch im Rest der Stadt gefährlich. Seinen letzten Zusammenstoß mit ihnen hatte er nur überstanden, weil er genug unlöschbare Beweise gefunden hatte. Das war auch Kanter gewesen, dieselbe Familie, für die Rufus Hall arbeitete. Nun wurde er von zwei ihrer aufgemotzten Schläger und einem ihrer Bosse tiefer in ihr Gebiet geschleppt. Wenn das mal kein Grund zum Feiern war.

Er musterte die Gorillas aus den Augenwinkeln. In einem Gangsterfilm wären sie von Natur aus hässlich und bedrohlich gewesen. Narben im Gesicht, um sie fieser wirken zu lassen. Eine Nase, der man ansah, dass sie irgendwann mal gebrochen worden war, oder plattgedrückte Ohren. Zeug, das einem unmissverständlich sagte: Ich hab schon Schlimmeres überlebt als dich! Aber nein, die beiden waren makellos. Der eine mit blonden, der andere mit braunen Haaren, die mit so viel Gel zu einem Seitenscheitel geformt waren, dass sie wie Plastik glänzten. Kaum wie richtige Menschen, eher wie Schaufensterpuppen der Voreiszeit. Wenigstens lächelten sie nicht so falsch. Mit grimmigen Mienen starrten sie geradeaus und funkelten ihn an, als sie bemerkten, wie er sie anschielte.

Eine rote 32 blitzte in seinem Implantat auf. Das war die Wahrscheinlichkeit, mit der er die beiden hier im engen Treppenhaus überwältigen könnte, falls es brenzlig wurde. Der Gefechtssimulator hielt offenbar nicht viel von ihm. Also doch eine konfliktfreie Lösung. War vielleicht besser, falls er den Fall lebendig aufklären wollte.

"Licht an! Freigabe Hall, Omega 1", rief Hall in die Dunkelheit, die sie am Ende der Treppe erwartete.

"Willkommen, Oberster Technokrat Hall", antwortete eine weibliche Roboterstimme.

Neben ihnen flammte Licht auf. Ein Wandsegment aus grellweißer Niveum-Legierung. Torochew kniff die Augen zusammen. Nach und nach leuchteten weitere Segmente auf, bis der Raum in gleichmäßigem Licht erstrahlte. Eine schmale Halle mit gewölbtem Dach, an deren Enden beleuchtete Tunnel durch kreisförmige Öffnungen in die Ferne führten. Kuhlen führten durch den Raum, von einer Öffnung zur anderen. Kein Folterkeller, keine Experimente, nur sterile Leere. Ein einzelner schwarzer Schriftzug an der Wand stach hervor: R27.

Richtig, sie befanden sich hier unter dem siebenundzwanzigsten und momentan äußersten Ring der Zitadellenstadt. Die Tunnel der einen Seite führten ins Innere der Stadt und die anderen hinaus, unter den betonierten Bereich, der darauf wartete, mit weiteren Wohnkomplexen, Gewerbegebieten oder Vergnügungsvierteln zugepflastert zu werden.

"Das sieht kaum so aus, als glaubt Ihr wirklich an den Untergang der Zitadelle", murmelte der Sergeant. "Was ist ..."

Der Rest seines Satzes wurde ihm vom Zischen eines weißen Torpedos abgeschnitten, der aus einem der Tunnel in den Raum schoss und durch eine unsichtbare Kraft lautlos abgebremst wurde. Er kam neben ihnen zum Stillstand, sank einige Zentimeter hinab, bis er perfekt in der Kuhle lag. Ehe er Atem holen konnte, um seinen Satz doch noch zu beenden, schälte sich eine ovale Öffnung aus dem Torpedo, glitt beiseite und machte Platz für schwebende Trittplatten, die zu ihr hinauf führten.

Fall Omega [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt