Kapitel 19

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Bis wir wieder von der Tribüne runter kamen dauerte es eine Weile. Jeder versuchte möglichst schnell weg zu kommen, denn jetzt da sich alle drängten und drängelten war es ziemlich eng. Ich versuchte auch weiter vor zu kommen, oder wenigstens an eine Stelle an der sich nicht so viel geschubst wurde. Und als ich dann endlich nicht von jeder Seite eingekesselt war, merkte ich, dass Axar nicht mehr bei mir war. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte über die Köpfe meiner Mitschüler zu blicken, in der Hoffnung seine lockigen schwarzen Haare irgendwo zu entdecken. Doch zwischen den vielen Schülern, die meist größer waren als ich, war das eine unmögliche Aufgabe. Ich wartete einfach während ich hoffte ihn vielleicht beim Verlassen des Spielfeldes zu finden, aber auch so fand ich ihn nicht. Ich war jetzt fast ganz alleine auf dem Feld und für mich fachte es keinen Sinn mehr zu warten. Also machte ich mich alleine auf in das Schloss und lief ein Stück hinter der Menge her. Ich war schon den halben Weg gelaufen, als mir mein Gefühl sagte ich solle zum See. Ich wusste nicht warum ich es dann tatsächlich machte, aber dann stand ich da und starrte auf das glitzern der sanften wellen. Die Sonne ging langsam unter und ich hätte mich eigentlich auf den Weg in das schloss machen sollen. Es wurde kälter und ich zog meinen Mantel enger um meine Schultern während ich in Richtung Wald lief. Niemand durfte mich erwischen. Ich lief zwischen den Bäumen und hielt mich in den Schatten. Da war etwas, ich wusste ganz sicher dass etwas da war. Ich hatte keine Ahnung was, noch woher ich es wusste. Aber ich musste es finden ich hatte keine andere Wahl. Klick klick. Klick klack. Ein keiner Waldgeist tauchte vor mir auf. Klick klick. Klick klack. Noch einer, und noch ein paar mehr. Sie machten sich unsichtbar und ihre winzigen Fußspuren gingen in die entgegengesetzte Richtung aus der sie gekommen waren. Krach! Irgendetwas zerbrach einen Ast. Ich schaute mich um. Die Schatten schienen sich zu bewegen obwohl sonst alles still war. Ich hörte keine Vögel, ich hörte keinen Wind, keine raschelnde Blätter. Irgendwas stimmte nicht. Ich sah mich genauer um, versuchte kein Geräusch von mir zu geben. Krach! Da war es wieder, nur lauter. Es bewegte sich auf mich zu! Da rannte ich los, voller Panik raste ich durch den Wald. Das krachen verfolgte mich und dann- dann war es plötzlich fort. Ich wollte nicht darüber nachdenken was es gewesen war. Ich wollte nur weg. In mein Bett und mich unter meiner Decke verstecken.

Leise öffnete ich die Tür zu dem Zimmer in dem Jenna und ich schliefen. Mittlerweile war es stockduster. Der Mond schien unheimlich kalt über das Schloss und erhellte nur wenig von dem sowieso schon finsteren Aufgang zu den Turmzimmern. „WO WARST DU?", ich war so überrascht davon das Jenna noch wach war, dass ich nicht in der Lage war irgendwas zu sagen. Ich schloss einfach nur die Tür. „Ich hab mir unglaubliche Sorgen gemacht, Axar auch! Warum bist du einfach verschwunden! Du warst nicht beim Abendessen! Du warst einfach weg! Wir haben das gesamte Schloss durchsucht! Es ist drei Uhr morgens!", Jenna schien außer sich, aber in ihren Augen sah ich auch eine Spur der Erleichterung. Ich war mir überhaupt nicht bewusst gewesen, dass ich so lange weg gewesen war. Ich wusste aber, dass ich wirklich noch nie so müde gewesen war. Ich wollte unbedingt ins Bett. „Hallo?", Jenna fuchtelte vor meinem Gesicht. „Sorry. Ich... ich war am See, aber ich...weiß nicht genau warum. Danach bin ich in den Wald gegangen, irgendwas... irgendwas ist da, etwas das dort nicht hingehört. Ich hab es nicht gesehen, aber es hat mich verfolgt. Es hatte dann, kurz bevor ich aus den Wald kam angehalten, oder konnte nicht weiter. Ich.. es ist alles irgendwie schwammig." Ich hatte keine Ahnung was danach passierte, ich wachte erst am nächsten Tag gegen Mittag wieder auf. Jenna war nicht da. Aber sie hatte mir einen heißen Tee und ein paar Brötchen auf den Nachttisch gestellt. Ich war wirklich dankbar dafür sie als Freundin zu haben. Den ganzen Tag über war ich immer nur kurz wach. Ich bekam nichts von den Dingen um mich herum mit. Ab und zu sah ich Jenna, wie sie irgendetwas an ihrem Schreibtisch machte. Erst am Mittwoch war ich wieder richtig wach. Die Erinnerungen an das was im Wald gewesen war, hatten mich während meines Schlafs immer wieder heimgesucht, mal als ein gigantisches Monster aus toten Bäumen und Dornenzähnen, ohne Augen. Mal waren es Schatten die nach mir griffen und mich in den Boden zogen. Plötzlich hatte ich auf einer ruhigen Blumenwiese gelegen, ähnlich der auf dem Schulgelände. Ich hatte Kopfschmerzen und fühlte mich unwohl. Eine böse Vorahnung auf etwas das kommen würde. Die Tür öffnete sich und ich zuckte zusammen. Es war Jenna, sie sah mich kritisch an. „hab ich etwas im Gesicht?", fragte ich sie. „Nein", sagte sie, mit einem Blick als hätte ich doch. „Geht es dir besser?", fragte sie nach. „Ja", aber das war nicht die ganze Wahrheit. Ich hatte das Verlangen ihr erzählen was genau passiert war, aber ich musste erst einmal selbst verstehen was genau geschehen war.

Die nächsten zwei Tage sagte ich fast nichts. Auf die Fragen meiner Freunde antwortete ich nur kurz, und die Lehrer nahmen mich nicht wirklich dran, dadurch konnte ich auch im Unterricht nachdenken. Ich bekam von diesen Tagen nicht wirklich etwas mit. Wie in Trance lief ich durch die Gänge, immer wieder überrascht davon, dass ich gegen niemanden gelaufen war. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um den Tag des Magieballspiels. Ich hatte keine Ahnung mehr, warum ich am See gewesen war. Erst recht hatte ich nicht gemerkt, wie lange ich dort verweilt hatte. Es war unheimlich, denn wenn ich mich Tagsüber versuchte genau zu erinnern, bekam ich Kopfschmerzen. Aber spät am Abend, wenn die Schatten das Licht verschlungen, war alles so klar. Jetzt saß ich hier, in einem dunklen und abgeschotteten Bereich des Gemeinschaftsraumes und erzählte meinen Freunden, so gut es eben ging, was ich erlebt hatte. Ich kam nur schleppend auf, dass was passiert war. Ich erzählte: „Ich wollte eigentlich nach Axar suchen", Ich sah ihm nicht in die Augen, „ irgendwie hatte ich das dann vergessen. Dann kam dieses Gefühl in meinem Bauch, ein wenig wie ein Ziehen und als ich dann zum Wald schaute, war es mehr wie Hunger. Aber kein Hunger auf essen sondern..." Ich brach ab. Das Gefühl das ich gehabt hatte war schwer zu beschreiben, vielleicht eine mich hinziehende Angst, oder ein magnetisches Kraftfeld? Aber dann wäre ich ja ein Magnet. Ich ließ es einfach so stehen, ein Gefühl ähnlich wie Hunger. Ich redete weiter, ich erzählte wie es für mich war am See zu stehen: „...als wäre die Zeit nicht mehr wichtig. Sie stand nicht, sie verging auch nicht wahnsinnig schnell, sondern als würde etwas fehlen. Als hätte man mir meine Zeit gestohlen. Es war einfach viel später." „Als würde man schnipsen?", fragte Jenna. Sie versuchte meinen Blick aufzufangen, doch ich wich ihr aus. Ich wusste nicht warum, aber es erschien mir klüger sie nicht anzusehen. Vermutlich wäre ich zusammengebrochen, wenn ich die Sorge in ihren Augen noch einmal hätte sehen müssen. Meine Stimme brach während ich versuchte ‚das Ding' zu beschreiben das mich im Wald verfolgt hatte. Vorher war ich in Panik gewesen, zu verängstigt um klar zu denken. Zu hektisch um zu realisieren was ich gesehen hatte. „Es war groß", meine Hände zitterten, „Es zerbrach die Äste mit Händen, nein, eher etwas dass aussah wie Hände. Ein Geäst eines Baums. Aber schwarz. Es... es war schwarz. Und nebelig. Nicht greifbar, wie Geister..." „Geister kann man nicht anfassen. Und sie sind auch nicht schwarz, eher wie Glas." Ich schaute Jenna jetzt doch an. Mein Mund stand ein wenig offen, weil ich vorher noch geredet hatte. Ich wusste aber was sie meinte. Ich verstand warum sie ihre Augenbrauen zusammenzog. Es war kein Geist gewesen. Es war materiell, aber irgendwie auch nicht. Aber an ihren Augen konnte ich erkennen, dass sie sich sorgte. Axar seufzte. Ihm war bestimmt klar geworden, nirgends würden wir etwas herausfinden können. Aber das war möglicherweise gar nicht so schlimm. Möglich, dass dieses Wesen im Wald nie wieder auftauchte. Aber selbst Jahre später sollte mein Wunschdenken mir Probleme bereiten. 

Die Magischen ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt