6. Feuerlüge

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Das Bild zeigt das Mädchen aus dem Wald vom Kopf bis zur Taille. Ihre linke Hand hält sie hoch. Über ihren Kingerkuppen schwebt eine kleine Flamme.
"Mam, ich habe dieses Mädchen im Wald getroffen. Sie redet wirres Zeug. Sie will, dass wir schnellst möglich von hier weggehen. Und ... und ihr Name ... sie hei...heißt Chensit!", erzählt Alex und beginnt immer schneller zu reden nachdem er kurz gestottert hat.
"Und was? Du verschweigst was! Außerdem will ich eine Erklärung für das was sie da in der Hand hält", bohrt seine Mutter eisernd weiter.
Alex blickt das Bild wieder an. Lange starrt er es an und überlegt, dann hebt er den Kopf.
"Nichts, das habe ich bloß erfunden", antwortet er und sieht schnell weg.
"Lüg mich nicht an!", schreit seine Mutter und verpasst ihm eine klatschende Ohrfeige.
Überrascht taumelt Alex leicht zur Seite und hält sich die pochende Wange.
"Es ... ist die Wahrheit", meint er kleinlaut.
Wieder klatscht sie ihm eine.
"Ich wollte dir niemals etwas derartiges antun, aber Brandstiftung ist eine Straftat. Um den Täter zu finden, muss ich wissen wer sich noch auf dieser Insel aufhält!", schreit sie ihn an.
Von ihm enttäuscht gibt sie ihm eine dritte Ohrfeige und geht davon.
"Ich hoffe du wirst mir morgen früh sagen wieso du mich anlügst", meint sie und unterdrückt die Tränen der Enttäuschung.
Wut steigt in ihm auf.
"Ich soll alles tun wie ihr es gerne hättet, aber ihr lasst mich links liegen? Es ging dir nie um mich, genauso wenig wie meinem Dad. Ihr seit doch so auf eure scheiß Arbeit fixiert, dass ihr manchmal vergesst, dass ich euer Sohn bin!", brüllt er ihr hinterher.
Sofort erntet er einen Schlag in den Nacken von seinem Vater.
"Jetzt fang nicht mit sowas an", warnt er ihn.
"Ach, wieso denn nicht? Weil ihr euch sonst bewusst werden müsst was für verdammte Rabeneltern ihr seid?", knurrt Alex.
"Das reicht", zischt sein Vater und schubst ihn leicht.
"Du hast mir gar nichts mehr zu sagen! Habt ihr je gefragt ob ich euren verdammten Archeologen- und Entdeckerscheiß mitmachen will? Nein! Nie! Ich wurde mitgeschleppt!", brüllt Alex außer sich und schubst seinen Vater zurück.
"Du hättest auch was sagen können!", brüllt dieser wütend und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht.
"Das hab ich, aber mir hört keiner zu!", faucht Alex und schlägt seinen Vater ebenfalls ins Gesicht.
Vor Wut kochend beginnen sie sich zu schlagen. Kurz ist Alex unaufmerksam und landet mit einem festem Tritt in die rechte Kniekehle im Sand. Sofort beginnt sein Vater auf ihn einzutreten.
"Alex! ", hallt ein Schrei über den Platz.
Verwirrt hält sein Vater inne und sieht sich um.
Die anderen Forscher stehen in einiger Entfernung und trauen sich nicht einzugreifen. Plötzlich huscht eine Gestalt hinter einigen Kisten hervor und lässt sich in den Sand bei den beiden Prügelnden fallen. Beim Aufstehen lässt die Gestalt eine dichte Sandwolke entstehen, sodass Alexs Vater welchen in die Augen bekommt. Alex stöhnt vor Schmerz, dann beginnt sich die Sandwolke langsam zu lichten. Gereizt reibt sich Alex's Vater den letzten Rest Sand aus den Augen und stapft davon, als er merkt dass sich sein Sohn scheinbar aus dem Staub gemacht hat.

"Ich kann nicht mehr", stöhnt Alex unter Schmerzen.
"Du musst aber, wenigstens bis zu dem umgefallenem Baumstamm da drüben", weist das Mädchen ihn an.
Alex's Arm liegt über ihre Schulter um ihn zu stützen. So versucht sie den Verletzten so schnell wie möglich weit weg von seinen Eltern in den Wald zu bringen.
Gequält murmelt Alex, lässt sich aber von ihr bis zum Baumstamm ziehen. Vorsichtig setzt er sich darauf. Sie stellt etwas neben ihm ab.
"Erklär mir, was soll ich machen", murmelt sie und zeigt auf den Koffer.
Ein Lächeln huscht über Alex schmerzendes Gesicht, als er den Erste Hilfe Kasten erkennt.
"Nimm dir einen Wattebausch und wich das Blut um die Wunden herrum weg. Dannach musst du Desinfektionmittel draufsprühen und Pflaster draufkleben", erklärt er.
Sie sieht ihn einen Moment lang überfordert an.
"Wattebäusche sind die weißen weichen Dinger in der Tüte. Sie sind normalerweise rund und Desinfektionsmittel ist diese große runde Flasche da. Die Pflaster kann ich selber...", sagt er lächelnd.
"Nein, ich mach das", unterbricht sie ihn.
Lächelnd nickt er und reicht ihr die Tüte mit den Wattebäuchen. Interessiert sieht sie sie kurz an, dann beugt sie sich seinem Gesicht entgegen und beginnt darin herrum zu tupfen. Die blutige Watte tauscht sie schnell gegen neue ein und tupft weiter. Sie sieht sich auch seine Hände und Knie an. Zufrieden greift sie nach dem Desinfektiinsmittel.
"Das durchsichtige abnehmen und dann da oben drauf drücken", weist Alex sie an, als er ihren skeptischen Blick bemerkt.
Vorsichtig zieht sie am Deckel, welcher sofort abgeht und drückt auf die entsprechende Stelle. Sofort verzieht sie angewiedert das Gesicht. Alex muss lachen.
"Anders herrum. Besser du sprüst auf einen Wattebausch und tupfst die Wunde ab. Diesesmal nicht herrum, sondern die Wunde selbst. Okay?", erklärt er ihr.
Nickend nimmt sie sich Watte und tut wie ihr gesagt. Danach wühlt sie im Kasten.
"Was sind Pflaster?", fragt sie kleinlaut.
Kichernd reicht Alex ihr ein Tütchen mit vielen unterschiedlich großen Pflastern.
"Du musst kucken welche Größe passt. Nur das weiße darf die Wunde berühren. Kleine Kratzer brauch man nicht zuzukleben", erklärt Alex ihr.
Verstehend nickt sie und klebt ihm ein paar Pflaster ins Gesicht, auf die Hände und auf die Kniee. Sie tritt einen Schritt von ihm weg und mustert ihn kurz. Ein erleichtertes Lächeln huscht über ihr Gesicht, eher sie zufrieden nickt.
"Fertig?", fragt Alex, obwohl er die Antwort längst weiß.
"Ich denke schon", meint sie und sieht ihm in die Augen.
Alex beginnt breit zu lächeln.
"Was hast du? Hast du einen Kopftritt bekommen?", fragt sie ernst.
Sofort beginnt Alex herzhaft zu lachen. Verwirrt sieht sie ihn an, bis er sich wieder beruhigt hat.
"Ich hab mehrere Kopftritte bekommen. Aber ich hab gelacht, weil das das erste mal war, dass du mir in die Augen gesehen hast", meint er lächelnd.
Augenverdrehend dreht sie ihren Kopf etwas zur Seite.
"Ist schon okay. Du musst dich nicht schämen", meint er.
"Als ... du da mit der Frau geredet hast ... meintest du ...", nuschelt sie plötzlich verlegen.
"Chensit? Den Teil meinst du? Ist das okay für dich?", fragt Alex vorsichtig.
Sie nickt schüttelt, dann aber schnell den Kopf. Verwirrt sieht Alex sie an.
"Wieso hast du es ihr nicht verraten?", fragt sie leise, sodass man es kaum hören kann.
"Weil ich dachte es würde dir nicht gefallen", gibt er grinsend zu.
Zustimmend murmelt sie und nickt. Bedrückende Stille breitet sich zwischen ihnen aus.
"Also, wie geht es dir?", fragt Alex nach eingem Schweigen und deutet auf ihren Verband.
Sofort verfinstert sich ihr Blick.
"Frag nicht", sagt sie kalt.
Beschämt ihr damit wohl zu nahe getreten zu sein, fällt er wieder in Schweigen. Beide starren den Boden an, weil sie nicht wissen worüber sie reden sollten. Irgendwann dreht Chensit sich um und macht Anstalt im Wald zu verschwinden. Schnell packt Alex sie am Handgelenk. Sie bleibt stehen, dreht sich ihm aber nicht zu.
"Was machst du auf dieser Insel?", fragt er sie gerade herraus.
"Was hält die Welt am Leben?", fragt sie zurück.
"Wie meinst du?", hackt Alex verwirrt nach.
"Was hält die Welt am Leben? Wenn du mir darauf eine Antwort geben kannst, darfst du mich wieder fragen", erklärt sie und entzieht sich sanft aber bestimmt aus seinem Griff.
Ohne weitere Worte lässt sie einen mehr als äußerst verwirrten Alex mitten im mitternächtlichem Urwald zurück.

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