Kapitel 12

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"Da täuschst du dich gewaltig!", schreie ich auch und stehe auf. "Du bist diejenige, die mir weh tut! Wenn ich es zugelassen hätte, hätte es mich zerstört!"


"Warum sollte ich dir denn wehtun wollen?"
"Aus demselben Grund, aus dem ich alle meine Ex-Freundinnen verloren habe. Sie haben einen besseren gefunden!", brülle ich. "Und das hättest du auch. Irgendwann!"
Sie starrt mich mit offenem Mund an.
"Das ist also der Grund?", fragt sie verwirrt. Wortlos lasse ich mich wieder die Wand hinabfallen und sehe zu Boden.
"Ja, ich gebe es zu. Ich hatte Angst", sage ich leise. "Ich wäre doch sowieso nur ein Zeitvertreib gewesen, bis du einen Besseren gefunden hättest. Den Schmerz wollte ich mir ersparen. Ich habe das schon viel zu oft durchgemacht."
"Was lässt dich denken, dass ich genauso bin wie die anderen?"
"Weil alle Frauen so sind! Alle haben mich verarscht. Keine hat es wirklich ernst gemeint. Und du bist genauso!"


--- Ihre Sicht ---

Fassungslos starre ich ihn an. Denkt er das wirklich von mir? Das kann doch nicht sein Ernst sein!
"Wie kannst du so etwas behaupten?"
"Weil es so ist!"
"Da täuschst du dich! Aber gewaltig! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie lange ich nachts wach lag, weil ich heulend im Bett lag? Ich dachte, ich bedeute dir etwas! Irgendetwas! Und dann küsst du mich fast und dann ... Dann sagst du, dass du mich nie wieder sehen willst!"
"Es gibt tausende Typen auf dieser Welt, die du mir vorziehen würdest, wenn du sie triffst. Und das ist mir klar. Und genau deswegen kann ich dich nicht mehr sehen."
"Du dachtest, dass ich dich fallen lassen würde, wenn ich irgendeinen anderen Typen treffe?", schreie ich ihn an.
"Du hast keine Ahnung, wie es ist, sein Leben lang von Frauen gezeigt zu bekommen, wie wertlos man ist. Und irgendwann fängt man an, es selbst zu glauben."
"Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe!"
"Du hast doch keine Ahnung!", brüllt er zurück und schaut wieder zu Boden.
"Charlie, ich meine doch nur-", sage ich ruhig.
"Lass es einfach. Hör auf, mir das zu erzählen, was ich deiner Meinung nach hören will. Hör auf, mir was einzureden, was nicht so ist und nie so sein wird. Und hör verdammt noch einmal auf, meinen Namen so zu sagen, wie du es immer machst!", sagt er laut und steht auf. Wie kann er nur denken, dass er mir irgendwann total egal ist. Wie kann er nur glauben, dass ich ihn nicht wirklich liebe?
"Charlie, ich will nicht, dass du von mir denkst, ich wäre so wie die Frauen, die du mal hattest. Ich bin so nicht! Ich würde keinen anderen wollen. Denn die sind nicht du! Keiner würde mich so anlächeln wie du. Keiner würde es schaffen, mit einem perfekten Hundeblick jedes Geheimnis aus mir herauszuholen. Keiner würde mir so einen schönen Tag bescheren können, wie du es so oft getan hast. Ich kenne keinen Mann außer dir, der es riskieren würde, seine Nachtschicht zu verpassen, nur um mich um zwei Hausecken nach Hause zu bringen, dass mir auch ja nichts passiert. Und erst recht keiner würde es schaffen, dass ich mich so in ihn verknalle, wie du. Also hör auf, dir einzureden, dass du wertlos bist. Für mich bist du nämlich das Gegenteil. Und du kannst jetzt weiter in Selbstmitleid versinken, oder du springst über deinen Schatten und zeigst der Welt, dass du mindestens genauso viel wert bist und genauso gut bist, wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten. Ich könnte mir niemanden anderen vorstellen, den ich dir vorziehen würde. Niemanden! Du hast jetzt also zwei Möglichkeiten: Variante eins ... Du verkriechst dich wieder in dein kleines Loch und versteckst dich da für den Rest deines Lebens. Dann kannst du aber mein Herz gleich mitnehmen und drauf rumtrampeln, bis es nur noch Matsch ist. Variante zwei ... Du überwindest deine Selbstzweifel und hast wieder etwas Vertrauen in andere Menschen und vor allem dich selbst. In diesem Fall kriegst du mein Herz aber auch. Überleg dir, was du damit machen willst", rufe ich. Je länger ich geredet habe, desto lauter bin ich geworden, aber jetzt ist die Wahrheit raus.
Er schaut mich wortlos an. Er steht einfach nur da und sieht mich an. Doch plötzlich schaut er vom Boden auf und macht zwei Schritte auf mich zu, sodass wir nun direkt voreinander stehen. Ich muss ein gutes Stück zu ihm hochschauen und bemühe mich, meine Tränen herunterzuschlucken und blicke ihm fest in die Augen. Eine ganze Weile geschieht nichts. Wir stehen uns einfach nur gegenüber und sehen uns in die Augen.
"Ich will mich nicht länger verstecken", sagt er leise. Dann nimmt er eine meiner Haarsträhnen in die Hand und kommt mir langsam näher. Mein Herzschlag steigt ins unermessliche, so groß ist meine Freude über seine Nähe. Seine Hand wandert langsam zu meiner Wange, was mir eine Gänsehaut über den Körper jagt. Und dann berühren sich unsere Nasen. Es ist wie damals auf der Bank bei den Glühwürmchen. Und genauso wie damals zögert er. Und wieder überkommt mich diese Angst.
"Wehe, du überlegst es dir wieder anders!", flüstere ich.
"Ganz sicher nicht!" Dann legt er seine Lippen ganz vorsichtig und sanft auf meine. Die Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen so wild durcheinander, wie ich es noch nie erlebt habe. Eine Gänsehaut überzieht meinen ganzen Körper. Ich habe das Gefühl von absoluter Schwerelosigkeit. Ich erwidere den Kuss und lege meine Hände in seinen Nacken. Er zieht mich etwas näher zu sich, was mein Denkvermögen nur noch mehr einschränkt.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dagestanden haben, aber es war sicher die schönste Zeit meines Lebens. Noch nie war ich so glücklich.
Ich löse mich vorsichtig von ihm, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie sind einfach die schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Die unendliche Weite in ihnen scheint einfach kein Ende zu nehmen und ich versinke immer mehr in ihnen, je länger ich sie ansehe.
"Az, es tut mir wirklich unendlich leid. Ich hätte nicht einfach abhauen dürfen. Ich habe in den letzten zwei Wochen immer versucht, dich zu vergessen, aber geschafft habe ich es nicht."
"Ging mir auch so, mit der Ausnahme, dass ich mich immer gefragt habe, warum du so zu mir warst. Und du hast keine Ahnung, wie es ist, so unwissend zu sein. Das hat mich am meisten fertig gemacht."
"Weißt du ... Ich habe deine Nummer nie gelöscht. Ich konnte es einfach nicht."
"Ich habe deine auch noch", sage ich. Dann sammele ich etwas Mut für meine nächsten Worte. "Ich muss dich mal was fragen." Er schaut mich fragend an und nimmt meine Hände in seine. "Vertraust du mir?", spreche ich es aus. Er schaut kurz zu Boden.
"Ja, schon, aber ... "
"Vertraust du mir? Ja oder Nein? Bitte, ich muss es wissen." Er sieht mich eine Weile nur an.
"Ja.", sagt er dann lächelnd. Und jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Meine Freude steigt ins Unermessliche und ich falle ihm einfach so um den Hals. Zuerst ist er etwas erschrocken. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Doch dann lacht er und legt die Arme um mich. Glücklich ziehe ich seinen Geruch ein, während ich meinen Kopf an seiner Schulter vergrabe.
"Ich habe dich so vermisst!", sage ich mit feuchten Augen.
"Ich dich auch, Az!", sagt er und lässt mich wieder los. Kaum habe ich wieder sicheren Boden unter den Füßen, als er mich schon küsst. Da das so unerwartet kam, fallen die Schmetterlinge noch um einiges größer und agiler aus als vorhin. Er beendet den Kuss aber, bevor ich dazu komme, ihn zu erwidern. Ich will schon protestieren, als er meine Hand nimmt, sich aufs Bett setzt und mich auf seinen Schoß zieht. Trotzdem muss ich noch immer nach oben schauen, wenn ich ihn ansehen will. Vorsichtig streicht er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lässt dann seine Hand an meiner Wange ruhen. Ich kann ihm währenddessen nur in die Augen sehen. Sie wirken wie ein Magnet auf mich. Losreißen ist beinahe unmöglich.

Komplizierte Liebe (Charlie Weasley FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt