Neues Büro, altes Ich

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Es war beinahe unheimlich, wie schnell sich die Dinge entwickelten. Kaum drei Tage nach Nikolais Tod wurde mir sein Büro angeboten. "Ein Mann wie Sie braucht sicherlich ein größeres Büro", waren die Worte, mit denen mir die Schlüssel zu meinem neuen, deutlich geräumigeren Arbeitsplatz übergeben wurden. Ich zwang mich, nicht darüber nachzudenken, was hier geschehen war. Es wäre nicht das Richtige. Nicht das, was Nikolai gewollt hätte.
Während die Möbelpacker aus dem Norden meine Sachen in meine neuen Räumlichkeiten brachten, führte mich Lisa, meine Sekretärin, durch den 18. Stock. Es war eine andere Welt hier oben, während wir zuvor immer gemeinsam in der 11. Etage gearbeitet hatten. Während sie voller Begeisterung von den Möglichkeiten der neuen Kaffeemaschinen erzählte, betrachtete ich sie genauer. Lisa, eine junge Frau mit einer Stimme so sanft wie die eines Engels. Ihre langen, blonden Haare fielen in weichen Wellen über ihre Schultern und verliehen ihr einen jugendlichen Charme. Mit ihrer Größe überragte sie mich um einiges, was sie gelegentlich etwas schüchtern wirken ließ.
Nachdem wir die Runde durch die neuen Räume abgeschlossen hatten und ich höflich genickt und ab und zu eine Frage gestellt hatte, stand zumindest mein Mobiliar bereits in meinem Büro. Lisas Schreibtisch befand sich direkt vor meiner Tür, die immer noch weit geöffnet war. Die Kisten mit meinen Habseligkeiten standen noch überall im Raum verteilt. Das Auspacken musste jedoch warten. Zunächst waren wichtigere Angelegenheiten zu klären.
Ich drehte mich kurz zu Lisa um. "Lisa, ruf bitte Arnold an und bitte ihn, herzukommen und herauszufinden, wer gestern alles auf meiner Pressekonferenz anwesend war. Danach organisiert du bitte von den Kommis, dass alle Skripte für Zeitungs- und Nachrichtenartikel über meinen gestrigen Auftritt zugeschickt werden. Druck sie dann bitte aus, hast du verstanden?"

Ohne auf ihre Antwort zu warten, schloss ich die Tür zu meinem Büro und begann zumindest das Wichtigste in den Raum zu räumen. Mein Sakko und meine Weste hängte ich über den Stuhl. Während des Auspackens verlor ich ein wenig das Gefühl für die Zeit. Die Sonnenblume sollte hier hin, und dort meine Auszeichnungen. Zwischendurch brachte Lisa mir einen Kaffee und meine Unterlagen. Die Kommunikationsbeauftragten waren wie immer zuverlässig. Während ich meinen Kaffee trank, wurde mir bewusst, dass ich bereits die ersten Artikel durchlas. Ich musste grob im Bilde sein, wie schlimm die Situation aussah.
"Manipulation und Täuschung: Wie Augustus Crowe versucht, die Wahrheit zu verbergen", "Augustus Crowe in der Defensive: Pressekonferenz wirft Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit auf" und „Das dunkle Erbe: Augustus Crowe und die unbeantworteten Fragen zum Tod von Nikolai Reichenbach". Diese drei Artikel brachten mein Blut zum kochen. Ich griff in die Taschen meines Sakkos und holte mir eine Zigarette und mein Feuerzeug. Erst nachdem ich das erste mal Asche aus dem Fenster abgeklopft habe, fiel mir auf, dass es hier passiert sein sollte. Mich riss aus diesen Gedanken, dass Lisa reinkam und meinte Arnold hat gerade unten das Gebäude betreten. Nachdem ich die Zigarette aus dem Fenster geschmissen hab, schloss ich das Fenster und gos in zwei Gläser Whiskey an. Ein kurzes Klopfen deutete an, dass Arnold draußen wartet.
Nach kurzem zurechtrücken meiner Kleidung und des Schreibtisches ließ ich Arnold in mein Büro rufen, um über die gestrige stattgefundene Pressekonferenz zu sprechen, bei der einige Passagen nicht zufriedenstellend wiedergegeben wurden. Arnold betrat das Büro und nahm auf einem Stuhl Platz.
Arnold war ein Mann von mittlerem Alter, der eine gewisse Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit ausstrahlte. Seine kurzgeschnittenen, grauen Haare verliehen ihm ein seriöses Erscheinungsbild, das zu seinem beruflichen Hintergrund als Kommunikationsexperte passte. Seine scharfen, intelligenten Augen blickten hinter einer randlosen Brille hervor. Er wirkte seit ich ihn das letzte mal gesehen hab, um mehrere Jahre gealtert zu sein.
„Arnold, diese Berichterstattung ist inakzeptabel", begann ich mit einem Hauch von Ärger in meiner Stimmen. "Wir müssen sofort handeln, um das Bild von mir richtigzustellen und unsere Sache nicht zu gefährden. Denk daran, wenn ich untergehe, dann bist du genauso dran." Wir schmunzelte beiden darüber. Seit fast fünfzehn Jahren drohen wir uns das gegenseitig. Über die Zeit der Zusammenarbeit sind wir auch privat gute Freunde geworden. Soweit man das sagen kann. Vertrauen ist in unserer Welt schwer. Das zweite Glas mit Whiskey schob ich zu ihm rüber. Dieser nickte und ein leichtes Lächeln deutete sich an. Dann sah Arnold mich ernst an und legte die Stirn in Falten. "Augustus, ich habe da einige radikale Lösungsvorschläge, die wir in Betracht ziehen könnten, um das Bild von dir wieder zu verbessern. Es sind riskante Schritte, aber sie könnten effektiv sein."
Ich lehnte mich zurück und lauschte gespannt seinen Worten. Arnold war bekannt dafür, unkonventionelle Ansätze zu verfolgen, und manchmal führten diese zu überraschenden Erfolgen. Nach einem Schluck zeigte ich ihm mit einer Handbewegung, dass er fortfahren sollte.
"Erstens", begann Arnold, "wir könnten eine umfassende Enthüllungskampagne starten. Wir lassen interne Informationen an ausgewählte Journalisten durchsickern, die zeigen, wie sehr du dich für das Wohl der Menschen einsetzt. Dadurch könnten wir das Bild von dir als visionärer und ehrlicher Politiker stärken."
Ich nickte nachdenklich. Eine Enthüllungskampagne konnte riskant sein, aber sie hatte das Potenzial, den Blick der Öffentlichkeit auf mich zu verändern.
Arnold betrachtete mich mit einem durchdringenden Blick und fuhr fort: "Dabei können wir nicht nur deine Position in der Partei und in der Regierung stärken. Im Moment bist du nur jemand, der aus dem Süden kommt und von vielen Menschen geliebt wird. Aber wir können deine Konkurrenten stören und ihre Schwachstellen bloßlegen. Unsere Kampagne kann andere belasten und dich dadurch besser dastehen lassen. Du hast mir mal erzählt, dass du einige Leute kennst, die Informationen haben, die besser nicht ans Tageslicht kommen. Genau solche Informationen brauchen wir jetzt."
Ich spürte, wie sich eine gewisse Anspannung in mir breitmachte. Arnold hatte einen Punkt. Die politische Landschaft war ein Schlachtfeld, und wenn wir die richtigen Informationen gezielt einsetzten, konnten wir unseren Konkurrenten einen Schritt voraus sein.
"Arnold, du sprichst von einem riskanten Spiel", erwiderte ich und ließ die Worte langsam über meine Lippen gleiten. "Aber wenn wir es geschickt anstellen, könnten wir unsere Feinde in die Enge treiben und mich in einer starken Position halten. Wir müssen jedoch vorsichtig sein und sicherstellen, dass diese Informationen nicht zurückverfolgt werden können."
Arnold nickte zustimmend. "Genau, Augustus. Wir müssen die richtige Balance finden zwischen dem, was wir preisgeben und was wir zurückhalten. Es geht darum, den richtigen Zeitpunkt zu wählen und die Wirkung auf unsere Gegner abzuschätzen."
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und dachte einen Moment lang nach. Diese Strategie barg Risiken, aber sie könnte uns auch den entscheidenden Vorteil verschaffen, um meine Position zu stärken und meine Feinde ins Wanken zu bringen.
"Arnold, ich vertraue dir und deinem Urteilsvermögen", sagte ich schließlich und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. "Finde diejenigen, die bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten und Informationen bereitzustellen. Aber achte darauf, dass wir immer die Kontrolle behalten. Wir wollen unsere Gegner bloßstellen, nicht uns selbst. Nur Leute denen wir vertrauen, wir brauchen nicht jemand der für mehr Geld zum nächsten rennt. Aber das ist deine Sache. Ich vertraue dir dabei voll."

Arnold nickte entschlossen. "Was die Zeitungen und Nachrichten angeht, ich werde dafür sorgen, dass diese Artikel niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Das Geld bekomme ich wie gewohnt, und ich werde dafür sorgen, dass unsere Quellen entsprechend entlohnt werden. Aber bedenke", sagte er, während er auf die Unterlagen zeigte, "diese Zeitungen haben eine große Reichweite und wir müssen einiges auffahren, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen."
Er nahm seine Brille ab und putzte sie gründlich mit seinem Hemd. Ein kurzer Moment der Stille folgte, während ich die Bedeutung seiner Worte verarbeitete. Es war ein riskantes Spiel, das wir spielten, aber wir hatten keine andere Wahl, wenn wir unsere Positionen festigen und unsere Gegner besiegen wollten. Egal wie oft wir etwas ähnlich dubioses bereits durchgezogen, es wird niemals einfacher und weniger aufregend. Das Risiko steigt nur mit den Jahren. Doch wir beide waren mittlerweile abgebrüht
"Lass das meine Sorge sein, Arnold", antwortete ich bestimmt und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. "Du konzentrierst dich darauf, mein Image in der Öffentlichkeit zu polieren und die Berichterstattung zu kontrollieren. Ich werde sicherstellen, dass du das nötige Geld erhältst, um unsere Pläne umzusetzen."
Arnold nickte zustimmend und legte seine Brille wieder auf. "Gut, Augustus. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Ich werde mich umgehend darum kümmern, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Wenn du weitere Anweisungen oder Informationen benötigst, weißt du, wo du mich findest." Er Griff nach seinem Glas und kippte den Rest seines Getränks in einem Zug.
Ich erhob mich aus meinem Stuhl und streckte meine Hand aus, um ihm zum Abschied die Hand zu schütteln. "Danke, Arnold. Deine Unterstützung ist von unschätzbarem Wert. Gemeinsam werden wir unsere Ziele erreichen. Arnold ergriff meine Hand fest und schüttelte sie kräftig. "Gemeinsam sind wir unschlagbar, Augustus. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass du an die Spitze kommst. Aber denk dann von da oben noch an mich. Ich erwarte eine Belohnung. Nichts ist kostenlos in dieser Welt."
Mit diesen Worten verließ Arnold mein Büro, und ich blieb allein zurück, um über die kommenden Schritte nachzudenken. Das Geld würde ich wahrscheinlich als externe Kosten abrechnen. Ich dachte erneut daran, wie locker wir gerade darüber geredet haben. Wie kalt wir geworden sind. Aus den beiden jungen Männern die etwas bewegen wollten.
Während ich auf meinen Schreibtisch blickte, wusste ich, dass der Preis, den wir für Macht und Einfluss zahlten, nicht nur in Geld oder Gefälligkeiten gemessen werden konnte. Denn in diesem Spiel der Machenschaften und Manipulationen verloren wir Stück für Stück unsere Menschlichkeit und schritten unaufhaltsam auf diesen düsteren Pfaden voran.

Wenn die Fassade bröckelt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt