Schulschluss hieß für mich nicht unbedingt das der schlimme Teil des Tages vorbei war. Denn auch „Zuhause" ging es mir meist nicht besser, als in der Schule. Mein Vater war ein Mensch, dem irgendwie jegliche Gefühle und Empathie fehlten und von meiner Mutter wollte ich gar nicht erst anfangen. Sie war einfach ein Mensch, der mit sich selbst nicht klar kam.
Als der Gong die Freigabe zum Verlassen der Schule gab und der Lehrer natürlich den Unterricht nach seiner Zeit beendete, musste ich mich nicht beeilen. Alle hatten es eiliger die Schule zu verlassen als ich. Wir hatten Kunst gehabt, ein Fach wo man seine künstlerische Freiheit ausleben konnte. Wenn man darin begabt wäre. Wo andere einen Affen auf dem Baum sahen, sah ich ein Mammut auf dem Berg tanzen. Also half ich meinem Lehrer dabei die Pinsel zu waschen und darin war ich mittlerweile richtig gut. Die Note besserte es nicht auf, aber so konnte ich Zeit schinden.
„Danke Aria. Jetzt geh, die Pinsel haben gleich sonst keine Borsten mehr."
Er musterte meine Haare und zuckte dann mit den Schultern. Als ich an ihm vorbei lief um zu gehen dachte ich irgendwas wie „Jedem das seine." murmeln zu hören. Dachte er echt ich hätte dieses Zeug gerne in den Haaren? Wie konnte das jedem egal sein? Egal welcher Lehrer alle sahen weg. Ob ich überhaupt für sie existierte? Vielleicht war ich wirklich einfach nicht so viel Wert wie die anderen. Und jeder erkannte das , außer mir. Heute war wenigstens einer der eher ruhigeren Tage. Denn außer meiner unfreiwilligen Haarverziehrung war nichts mehr passiert. Was mich wunderte, denn nach Ophelias Streit mit Mona, hätte ich mit mehr gerechnet. Wenn ich so drüber nachdachte, hätte meine Schulzeit um einiges schöner verlaufen können. Ich brauchte nicht mehr Freunde als ich jetzt hatte. Ophelia reichte mir vollkommen. Denn auch wenn ich nicht gemobbt werden würde, wäre ich nicht die extrovertierteste. Mir hätte es genügt, einfach ohne Hass sowie Angst in der Schule sein zu können. Ich wusste auch, dass es sich nicht lohnte über Möglichkeiten nachzudenken die nun einmal nicht gegeben waren.
Am liebsten würde ich einfach in Luft aufgehen. Mich würde niemand vermissen. Wahrscheinlich würden es alle auch noch gut finden. Sollte mein Leben wirklich nur dazu dienen, das andere einen Fußabtreter hatten ? Lohnte sich das für mich? Tränen drückten sich zwischen meine Wut und Angst von diesem Gedanken. Während ich das Schulgebäude verließ und die Treppen hoch zu den Parkplätzen ging, fing es langsam an zu schneien. Die zarten Flöckchen, die sich durch den Wind verwirbeln ließen, sahen so verträumt und schön aus. Es war toll sie zu beobachten, während sie ihren Weg auf den Boden suchten, das ich etwas wichtiges übersah.
„Aria, Schatz, schön dass ich dich noch erwische."
Ich zuckte zusammen und folgte dem Klang der Stimme, die mich zu dem weißen Skoda führte. Oh nein, nicht Mama.
Wieso war sie hier? Sie holte mich nie von der Schule ab.
„Verdammt wie siehst du aus?" wollte sie erschrocken wissen. In welche Richtung musste ich laufen um diesem Gespräch zu entgehen.
„Hi." Meinte ich ausdruckslos und starrte in ihr erschrockenes Gesicht.
Sie beugte sich zur Beifahrertür rüber, während ihr Blick mich strafte. Mit einem Schwung ging die Türe auf und sie hob fordernd ihre Augenbrauen. Wir lebten im selben Haus, deshalb war weglaufen zwecklos. Seufzend lief ich zum Wagen und stieg wortlos ein. Sofort waren ihre Finger in meinen Haaren und zogen eine Papierkugel heraus.
„ Hoffentlich müssen wir nicht schon wieder zum Friseur deshalb. Was ist passiert? Wer war das? Und schließ die Tür, bevor der Stoff durch den Schnee ganz nass wird."
In ihrer Stimme war keine Freude mehr zuhören, auch zwischen den Zeilen nicht.
„Ist gut."
„Nein nichts ist gut! Sag es mir Ri, sofort !"

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Brieffreund
Ficção AdolescenteAria wird in der Schule gemobbt, niemand steht zu ihr, selbst ihre Eltern sind ihr keine Stütze. Sie sieht nach all den Jahren der Tyrannei schließlich nur noch einen Ausweg, sie will sich das Leben nehmen. Um sich selbst jedoch noch eine letzte Cha...