Kapitel 32

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Unsicher liegt meine Hand auf dem Schlüssel, der immer noch im Zündschloss meines Wagens steckt. Draußen regnet es in Strömen.

Louis sieht sich fasziniert seine Umgebung an, manchmal schnurrt er sogar, wenn er besonders interessante Dinge entdeckt.

"Es i-ist schön h-hier!", maunzt er und klopft aufgeregt auf meine Hand, die noch immer auf dem Schlüssel ruht. Die Gegend, in der wir stehen ist leider auch die Gegend, in der ich wohne. Vor uns streckt sich das graue Mehrfamilienhaus aus der asphaltierten Umgebung.

"Danke, Lou. Meinst du, wir sollten mal in meine Wohnung gehen?"

Er sieht mich an, dann in den Himmel, aus dem es fröhlich weiterhin tropft.

"D-da ist e-es aber nass."


Ein paar Minuten haben wir noch gewartet, dann wurde der Regen weniger, ich bin aus dem Auto gesprungen, um es herum und auf der anderen Seite zu ihm. Ich hab ihm beim Aussteigen mit seiner Prothese geholfen und ihn dann mit unter meinen Mantel genommen. So sind wir ins Haus gelaufen, wo er sich trotzdem - wahrscheinlich aus reiner Gewohnheit - schüttelte, als sei er klitschnass.

Wir sitzen in meiner Wohnung und ich bin froh, dass es ihm nur wenige Stunden nach der Gerichtsverhandlung schon wieder besser geht. Es wurde entschieden, dass er bei mir wohnen wir, bis klar ist, wie es mit seiner Mutter weitergehen wird.

Behutsam stellt er seine geliehenen Schuhe unter meine Garderobe, als kannte er sich schon ewig mit den Sitten aller Normal-lebenden aus. Es tut weh, zwischen seiner und meiner "Art" einen Unterschied sehen zu müssen. Es tut weh, dass es einen gibt.

Es ist unheimlich lange her, seit ich hier das letzte Mal gewesen bin. Mein Kündigungsschreiben aus der Zeitungsredaktion liegt, wie ich es erwartet hatte, vor der Tür, alles ist etwas staubig und in seiner Benutzung eingerostet.

Trotzdem sieht Louis sich auch hier um, als wäre es das Paradies auf Erden.

"E-es ist s-so..." Er scheint nach Worten zu suchen und legt seinen Zeigefinger an sein Kinn. "Gemütlich!", lacht er dann zufrieden und lässt sich nicht zweimal mit einer Handbewegung auf mein Sofa einladen. "H-herrlich!"

Das erste, was ich für uns beide zubereite, ist ein Tee. Dann kommt eine warme, beruhigende Suppe und das Abendbrot ist angerichtet.

Wir essen und legen uns dann zusammen auf das Sofa.

Etwas geschwächt von der vielen Aufregung kuschelt sich der schmale Hybrid eng an mich und schlingt seine Arme um mich herum.

"I-ich liebe dich, Hazz", flüstert er und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

"Und ich liebe dich", gebe ich zurück und schalte den Fernseher ein.


Louis


In Harrys Wohnung ist es wunderschön. Ich kann mir so gut vorstellten, wie er hier jeden Morgen seinen Kaffee schlürft, während er dem Radio lauschend am Küchentisch sitzt. Wie er jeden Tag nach seiner Arbeit nach Hause kommt und seine Post kontrolliert, um sich dann müde auf das Sofa zu schmeißen und ein wenig dieser komischen Kiste mit den Farben zuzusehen.

So ähnliche hatten die im Krankenhaus, aber da waren die Bildschirme immer nur blau oder grün und hatten diesen Strich in der Mitte, der immer nach oben oder unten gegangen ist. Die haben immer solche Geräusche gemacht, wieder und wieder. Irgendwie ließ es mich sicher und ruhig fühlen.


Als der Himmel draußen immer dunkler wird, nimmt Harry mich bei der Hand und geht mit mir in sein Schlafzimmer. Noch nie hab ich ein so gemütliches Bett gehabt! Nachdem wir uns die Zähne geputzt haben, ziehen wir uns um und legen uns hin.

Harry hat mir im Geheimen erzählt, dass er nachts immer nackt geschlafen hat, wenn er hier alleine war. Er hatte vor mir noch nie einen Liebhaber, was ich nicht verstehen kann, aber wenigstens konnte er so immer schlafen wie er wollte. Ich habe ihm gesagt, dass er auch jetzt noch nackt schlafen kann, aber hat nur gelächelt und mich geküsst. Machen wird er es wohl nicht. Dabei kenn ich ihn doch eh schon nackt.


Als wir endlich im Bett liegen, sieht er mich die ganze Zeit an. Ich versuche auf meine Nase zu schielen, nur für den Fall, ich hätte da was.

Er lacht und nimmt meine Hände in seine.

"Wie findest du es hier?", fragt er und wirkt neugierig.

Ich lächle und denke nicht lange nach, ehe ich antworte. "E-es ist w-wundervoll!" Zufrieden schließt er die Augen eine Weile, dann blitzt mir das Grün in ihnen wieder entgegen.

"W-was ist dein größter W-wunsch?", stelle ich ihm meine eigene, ganz wichtige Frage.

Das regt ihn zum Nachdenken an, immer wieder streicht sein Daumen zärtlich über meine Finger.

"Ich denke, mein größter Wunsch ist..." Seine Stimme wird leiser, so als wollte er sichergehen, dass niemand außer mir sie hört.

"Mit dir eine Familie zu haben. Du und ich und ganz viele kleine Füßchen, die aufgeregt durch unsere Wohnung springen. Denn ich weiß, dass du Kinder sehr gerne hast. Ich liebe sie auch! Sehr sogar."

Meine Augen werden von Sekunde zu Sekunde größer.

"Wirklich?", frage ich sicherheitshalber nach. Was, wenn er mir nur einen Scherz erzählt hat? Ich glaube nicht, dass er das machen würde, aber ich habe mein Vertrauen in die Worte anderer Menschen irgendwie verloren... ich weiß nicht einmal wann.

Er nickt und sein Blick bohrt sich intensiv in meinen. Wenn er ich so anblickt, habe ich immer das Gefühl, das Grün würde ein wenig dunkler werden.

Seine Locken sehen unwiderstehlich aus. Unperfekt perfekt.

"Und deiner?", fragt er schließlich und ich überlege auch hier nicht sehr lange. Es kostet mich nur etwas Energie, es auszusprechen.

"M-mein Wunsch ist es, f-für immer und e-ewig mit dir zu s-sein. A-am liebsten m-mit Kindern. I-in einem k-kleinen Landhäuschen, o-oder einfach d-deiner Wohnung. H-hauptsache mit dir. D-denn... ich l-liebe dich wirklich mehr, a-als du es d-dir vorstellen kannst. G-ganz ehrlich!"

Sein Lächeln wird mit jedem meiner Worte breiter und ich bin froh, dass er sie so freudig in sich aufnimmt.

"Wollen wir Morgen auf's Land fahren?" Seine Stimme klingt rau und trotzdem geschmeidig.

"Ja", hauche ich und er küsst mich intensiv. Intensiver als im Krankenhaus, denn hier kann uns niemand stören. Niemand kann uns sehen.

Seine Hände streichen zärtlich und doch Grenzen abtastend über meinen Körper und ich lasse es geschehen.


Grelles Licht scheint auf meinen entblößten Körper. Viel zu viele Hände fassen mich an, lassen keine noch so kleine Stelle aus. Der Geruch von sterilen Geräten und lauter Chemikalien, die keiner verträgt bringt mich beinahe um. Meine Hand- und Fußgelenke sind festgebunden, es gibt kein Entkommen.


Alte Gedanken kommen mir in den Kopf. Das hier ist das Gegenteil von damals. Das Licht ist gedimmt und warm, nur die zwei schönsten Hände der Welt fassen mich an. Sein Geruch strömt in meine Nase, lässt mich das pure Glück genießen. Ich bin frei. Frei mit ihm. 

Hybrid InfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt