Kapitel 1

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Louis P.o.V.

Brot und Wasser liegen vor mir, mein Magen schreit nach Nahrung. Aber ich kann nicht essen. Mein ganzer Bauch ist zugepflastert mit frischen Narben, einige gehen sogar über ältere Narben und ich muss ehrlich sagen: der Moment, als die Messer über Teile meiner alten Narben fuhren, war der wohl schlimmste Moment, den ich je durchlebt habe. Das hat dem Ganzen den Rest gegeben und ich bin beim nächsten Test zusammengebrochen.

Zudem tun meine Zähne und mein Kiefer immer noch weh vom Eingriff letzter Woche und so werde ich mich auch heute wieder auf Schläge einstellen müssen. Schläge von ihnen. Sie sind die Meister puncto Leiden-lassen. Denn wer nicht isst, kassiert Schläge. Damit wir nicht verhunger und noch länger für ihre Versuche hinhalten können. Am liebesten schlagen sie auf den Rücken, oft haben sie aber auch schon auf den Kopf oder -wenn sie es besonders auf einen abgesehen haben- mitten zwischen die Beine gepeitscht. Sie schlagen, bis man zu Boden fällt. Dann schleifen sie einen bis zu der kleinen Zelle, die einem zugeordnet wurde und sperren einen ein. Normalerweise sind ihre Methoden erfolgreich, denn keiner ist so doof und rebelliert zwei Mal bei solchen Strafen. Aber ich kann nicht anders, mein Mund ist wie gelähmt vor Schmerzen. Ich trinke etwas aus der Wasserflasche und versuche mit dem Rest mein Brot ein wenig weiche zu machen, aber vergebens. Es ist steinhart und nur mit guten Zähnen essbar.

Die Eisentür am Ende des Korridors wird aufgerissen, jedes Geräusch verstummt. Schritt sind zu hören, doch sehen können ihn nur die, vor deren Zellen er geht. Ich bin sehr weit hinten und warte einfach ab. Das Blut gefriert in meinen Adern. Er geht schweren Schrittes, ich kann förmlich spüren, wie er langsam nach links und rechts blickt und jeden von uns unter die Lupe nimmt. Die meisten sind zu dieser Tageszeit gerade dabei nach dem Essen eine Schlafposition zu finden, in der man die Schmerzen etwas lindern kann, aber auf irgendeiner Narbe liegt man immer.

Plötzlich kommt das Klacken der kleinen Metallketten immer näher und ich schiebe das Brot ein wenig hinter mich. Er darf das nicht sehen. Ich bete zu Gott, dass er es nicht sieht.

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Einer von ihnen zerrt an meinem Ohr und schubst mich in die Zelle zurück. Ich krümme mich vor Schmerzen. Sobald die Eisentür wieder geschlossen ist, fangen die Geräusche wieder an. Ein Reden, meistens kommt es von den Neuen, von den Kleinen, die sich noch zu helfen wissen, wenn ihnen langweilig ist. Oder von den gehorsamen Lieblingen, mit denen etwas sanfter umgegangen wird. Weil er sie zu seinen Favoriten gemacht hat. Ist klar, dass ich nicht dazugehöre, oder?

Heute hat es mich schlimmer erwischt, als sonst. Sie haben alle drei genannten Stellen ausgepeitscht und ich lasse mich auf die Seite fallen. Fasse mir an den Kopf und rolle mich zusammen. Mein Schritt schmerzt extrem doll und ich spüre nur noch, wie einige Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Wieso überlebe ich das eigentlich. Wieso kann ich nicht einfach sterben. Ach ja, och erinnere mich, das kommt  von diesem genverändernen Mittel, welches sie uns jeden Tag verabreichen. Dadurch ist unser Körper leider dazu in der Lage durchzuhalten. Ein normaler Mensch hätte schon längst sein Leben irgendwo zwischen Operationen und Schlägen gelassen. Vor meinen Augen wird alles verschwommen und dunkler. Die Geräusche und Stimmen werden ganz dumpf und ich schlafe ein. Und ich träume.

Seine warme, weiche Hand streicht über meinen Rücken. Er hält mich fest in seinen Armen und zieht den Duft meiner Haare geräuschvoll ein. "Du riechst so gut", raunt er und verteilt kurz darauf einige Küsse in meiner Halsbeuge. Ich fange unweigerlich an zu schnurren und winde meinen Katzenschwanz um sein Bein. Möchte ihn nie wieder loslassen. Dann fahre ich mit der Hand durch seine braunen Locken und sehe ihm, als er sich gelöst hat, in seine wunderschönen, grünen Augen. "Du genießt das, hab ich recht?", fragt er lächelnd, hält dabei meinem Blick stand. Ich nicke verlegen und schaue zu Boden. Doch er hebt mein Kinn vorsichtig an und erreicht so, dass ich ihm wieder in die Augen blicke. "Ich liebe dich, Louis.", sagt er und kommt meinem Mund mit seinen Lippen immer näher. Und näher. "Ich liebe dich auch", sage ich und verringere nun den Platz zwischen unseren Mündern. Dann endlich spüre ich seine Lippen auf meinen. Samtig und zart schmiegen sie sich an meine und lösen sich dann auch schon wieder. Der Kuss war nur einen angehaltenen Atemzug lang, dennoch war er wunderschön. Doch plötzlich verschwimmt das Bild dieses wunderschönen Jungen und seinen Lippen vor mir und ich werde zurückgerissen. "Nein!", schreie ich und falle auf etwas hartes.

Ich schrecke hoch und sehe mich um. Kein Junge. Kein Kuss. Keine Berührungen. Es war wieder nur ein Traum und ich bin erneut mit meinen Schmerzen alleine. Kein Laut dringt durch den Korridor, keine Schritte und keine Stimme ist zu vernehmen. Es ist wohl Nacht, doch ich kann kein Auge zutun. In mir brennt kurz erneut die Hoffnung auf Liebe auf, aber dieser Traum ist so schön und so perfekt, dass er nie real sein könnte. Ich lehne  mich an die Steinwand und verberge das Gesicht in den Händen. Mein Hinterkopf tut weh. Meine Mitte ebenfalls. Mein Bauch hat nie aufgehört mich zu quälen und mein Rücken zuckt unter dem Kontakt mit der Wand zusammen. Wer ist bloß dieser Junge aus meinen Träumen. Denn wenn das die Welt ist, die ich im Schlaf erreichen kann, will ich niemals wieder aufwachen. Niemals.

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