3. vorsichtig

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-𝒂𝒎 𝒏𝒂̈𝒄𝒉𝒔𝒕𝒆𝒏 𝑴𝒐𝒓𝒈𝒆𝒏:

Blinzelnd öffnete ich die Augen und setzte mich auf.
Wieder eine beschwerliche, fast schlaflose Nacht...

Ich rieb mir über die Augen und strich durch meine langen Haare, als mir im Augenwinkel etwas auffiel.
Der Fremde war weg...

Erschrocken stand ich auf und sah mich im Raum um. Er war spurlos verschwunden. Alles, was er zurückgelassen hatte, war der Verband, den Kayra ihm umgebunden hatte. Aber er war komplett zerfetzt... Blutig, rot und wie von Wolfskrallen zerrissen.
Allamiert hob ich ein Stück des Verbandes hoch und musterte es.
Könnte es sein, dass ein wildes Tier hier drinnen war, als ich schlief?
Nein... sonst wäre mir sicher etwas passiert. Außerdem hätte ich es bemerkt. Mein Schlaf war leicht.

Wie konnte das passieren? In meiner Anwesenheit?
Das konnte ich mir nicht leisten...

"MINJA!"
Sofort schoss mein Kopf herum und ich war hellwach.
Der Schrei kam von knapp außerhalb des Hauses.
Ich rannte durch den Raum und riss die Schiebetür auf, die mich von Draußen trennte und musterte das Schaubild, das sich mir gab.

Der Fremde saß keuchend vor einer alten Hüttenwand und hatte ein verängstigtes Kind im Schoß.
Er hielt es deutlich gegen seinen Willen fest und sah sich unsicher um.
Vor ihm standen drei Frauen, darunter die Mutter des Kindes und versuchten, sich ihm zu nähern.
Aber da fiel mir seine offene Wunde erneut ein.
Er hielt das Kind bewusst von seiner Seite fern, aber er schien nicht zu merken, wie viel er blutete. Die Kleider des Mädchens waren bereits dunkelrot verfärbt.
"Mein Herr! Bitte helfen Sie meiner Tochter!" rief mir die Mutter des Kindes flehend zu und ich trat aus dem Haus, zu den Frauen.

Ich nickte ihr zu und drängte sie alle zurück, bevor ich mich schützend vor sie stellte.
"Was willst du?" fragte ich den Verletzten, der seine Finger um den Hals des schluchzenden Kindes verschränkt hatte.
"Warum bin ich hier?" knurrte er, kurz und knapp und presste seine freie Hand fest auf seine Pfeilwunde.
Seine Stimme klang überraschend unbenutzt und fremd. Sein Akkzent war unerkennbar und seine Aussprache war schlampig... Er schien, diese Sprache gerade erst gelernt zu haben.
"Wir haben dich verletzt im Wald gefunden. Einer unserer Jäger hat dich mit einem Tier verwechselt und versehentlich angeschossen. Du warst bewusstlos, also haben wir dich hier her gebracht." erklärte ich ihm, in kurzen Worten und schritt kaum merklich etwas näher.
Er war sich zu unsicher und ängstlich.
Ich musste das Kind aus seinen Händen bekommen. Er könnte eine Gefahr sein.

"Was war... das Weiße? Auf meinem Körper?" fragte er weiter und ich sah ihn verwirrt an.
Meinte er den Verband?
"Das... war ein Verband. Ein Stück Stoff, das für die Stoppung von Blutungen verwendet wird." meinte ich und merkte, wie sein Griff um des Kindes Hals etwas lockerer wurde.
"Du wirst nicht mehr lange durchhalten. Lass das Kind frei und wir helfen dir, gesund zu werden."
Darauf sah er mich misstrauisch an, bis die Schmerzen in seiner Seite ihn wahrscheinlich auf den richtigen Weg trieben und er das Kind von sich wegschupste.
Es rannte zu mir und ich hob das weinende Mädchen hoch, bevor ich es seiner Mutter übergab und sie wegschickte.
Als ich mich dem Verletzten wieder zuwand, stützte er sich auf die Seite und verstärkte den Druck auf seine Wunde, worauf immer mehr Blut über seinen Körper, auf den Boden tropfte.

"Gib deine Hände weg, ich mach das." meinte ich schnell und kniete mich vor ihn, bevor ich zufällig eine Tonscherbe auf dem Boden entdeckte.
Ich schnappte sie mir und schnitt einen Teil meines weißen Gewandes ab.
Ich packte sein Becken, um seinen Körper zu fixieren und presste den Stoff auf seine Wunde.
Der Verletzte kniff sofort die Augen zusammen und biss sich auf die Lippe, bevor er mein Handgelenk packte.

Ich sah ihm für eine Sekunde in die Augen, die er kurz öffnete und wollte meinen eigenen nicht glauen.
Seine Augen waren golden...
Seine Pupille ähnelte denen eines Tigers und erst die Farbe erinnerte an einen...

"Warum starrst du mich an?!" fauchte er auf einmal und ich schreckte in die Realität zurück.
So abwesend und unkonzentriert war ich schon lange nicht mehr.
Fluchend verstärkte ich den Druck auf seine Wunde und er legte keuchend seinen Kopf auf den harten Boden, bevor er mein Handgelenk losließ.
"Du weißt besser, was du tust." murrte er mir, vor Schmerz halb bei Bewusstein zu, und vergrub seine langen Fingernägel in der harten, eigentlich noch gefrorenen Erde.
Sie hatten schon eine Ähnlichkeit mit Krallen, wie mir auffiel.

"Kayra!"
Ich brauchte ihren Namen nur einmal zu rufen, da kam die alte Dame schon hinter das Haus, zu uns gerannt.
"Ihr habt gerufen, mein Herr?" "Kümmere dich um ihn. Und sorg dafür, dass er mein Haus nicht verlässt." befahl ich ihr und sie löste mich sofort ab.
Ich ging ein Stück zur Seite und behielt den Fremden derweil genau im Auge.

"Wie ist dein Name?" fragte ich ihn, um ihn etwas abzulenken und er sah mich durch zusammengekniffene Augen an.
"Was ist das?" knurrte er zurück und ich sah ihn verständnislos an.
"Dein Name. Du solltest wissen, was das ist." meinte ich und versuchte, meine Gedanken darüber zu ordnen.
Vielleicht war er wegen der Schmerzen verwirrt?
Oder hatte er ein Trauma und ihn einfach vergessen?
Nein... er sollte wenigstens wissen, was ein Name überhaupt war.

"Agh!"
"Kayra, sei vorsichtig!" rutschte mir mein erster Gedanke heraus und ich hielt mir darauf sofort den Mund zu.
"Natürlich, mein Herr! Es tut mir leid!"

Warum hatte ich das gesagt? Ohne auch nur zu überlegen...?
Das wich zu sehr von meinem Wesen ab. So etwas sagte ich nicht. Besonders, wenn ich den Betroffenen nicht kannte.

Besonders, wenn ich mit ihm nichts zu tun hatte.

𝒏𝒂𝒎𝒆𝒍𝒆𝒔𝒔 𝑩𝒆𝒂𝒔𝒕 [𝐁𝐋]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt