Kapitel 3 - Das Haus in dem sich die Seele befindet

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Es stehen also Gestalten (A und B) vor dem Haus und führen einen Diskurs darüber ob sich die Räume genauer angesehen werden dürfen. Sie scheinen Erwachsen zu sein, denn sie verwenden Worte mit denen Kinder nicht viel anfangen können. Erwachsen, weil sie sich das Leben erschweren. Erwachsen, weil sie etwas sagen, das nicht zu verstehen ist. Was wollen sie? Erwachsen, weil sie alles so kompliziert machen. 

Während sich die Gestalten unterhalten, warten in den Gebüschen Augenpaare. Teils beobachten sie das Geschehen, teils prüfen sie, wann sich die Gestalten endlich vom Haus entfernen, damit das verbotene Haus endlich betreten werden könnte. Es sind Augenpaare von Kindern, die neugierig sind; die wissen wollen; die erleben wollen. 

Ein Ast liegt am Boden, daneben ein Blatt in der Form einer Schüssel. Etwas Harz und etwas Regenwasser haben sich im schüsselförmigen Blatt vermischt. Ist die ein zauberhaftes Gemisch? Warum liegt gerade ein ein Ast daneben? Ein Kind nimmt den Ast, rührt im Blatt, vorsichtig und sanft, denn wer weiß, vielleicht wird es einmal zu einem Zuhause eines Lebewesens? Etwas von diesem Gemisch bleibt am Ast haften. Die fast noch unberührten Augen sehen die Verwandlung des Astes in einen Zauberstab. An einer Stelle ist er rauh. An einer anderen findet sich ein Dorn, der ganz sanft und doch bestimmt den Finger des Kindes zum Bluten bringt. Das Blut vermischt sich mit dem Ast und trotz Schmerz fühlt sich das Kind mit ihm verbunden. Es hebt seinen Blick, die Welt der Menschen scheint still zu stehen, während die Vögel weiter zwitschern, die Bienen weiter summen und die Blätter weiter rascheln. Wie ein Kätzchen wagt sich das Kind aus dem Gebüsch, den Ast noch in der Hand, nähert es sich auf Zehenspitzen diesem Haus zu. Die Gestalten A und B wirken 2-dimensional in dieser 3-dimensionalen Welt. Wie zwei Pappkartons, die vor dem Haus aufgestellt worden sind. Das Kind ist erstaunt, hält sich aber nicht länger mit ihnen auf, denn es hat sie noch nie verstanden. "Beeile dich", "beeile dich bevor du zu spät kommst.", hört es die Stimme seiner Mutter, die diese Worte früh morgens so oft ausspricht. Zu spät? Wieso? Was sollte dieses zu spät bedeuten? Auch das hat es noch nie verstanden. 

Kurz sieht es sich um, die Worte waren lediglich ein Nachhall, also kann es sich beruhigt Zeit lassen. Wie sieht dieses Haus aus? Es ist ein freistehendes Haus. Erinnert an ein Gemälde, als wäre es bis ins Detail gezeichnet. Es scheint als hätten unterschiedliche Künstler an ihm gearbeitet. Der Regen, der es weinen, schwitzen, atmen läßt. Die Sonne, die einige Stellen betont und andere wiederum ausbleicht, sodass ein wenig Phantasie notwendig ist bzw. eine genauere Betrachtung, um zu erkennen, das zu erkennen, was ausgebleicht ist. Der Wind, der die Gewächse der Umwelt zum Haus geblasen hatte, sodass sie sich mit dem Haus zu einem Teil verbinden konnten, ihr Holz zu seinen Säulen wurde. Das Feuer, das die Ziegelsteine brannte. Der Ton, der seine Stärke betont; der Ton, der sich aus Erde, Stein, Wasser und Sonne formierte. 

Das Kind fährt mit den Fingern über manche Stellen des Hauses, in andere kann es sie eindrücken. Ob es dem Haus wohl weh tut oder es kitzelt, wenn es das tut? Es entschließt sich ganz sanft mit Flachen Händen über die Fassade zu streichen. Mal ist die Fassade rau, dann ganz glatt und da wo sich das Moos gebildet hat auch weich, teils feucht, teils trocken. Das Kind könnte stundenlang um das Haus gehen; es berühren, bestaunen, beschnuppern. Als es seine erste Runde um das Haus gemacht hat, steht es vor den Pappgestalten, deren Existenz es für kurze Zeit vergessen hatte. "Papperlapapp" murmelt es vor sich hin, als es sie begutachtet. Sonderlicherweise ist es hier ganz und gar nicht neugierig, wie es das beim Haus ist. Als wären diese Gestalten grau in grau, etwas Unheimliches haben sie auch, fast schon Beängstigendes, obwohl die eine doch nett zu sein schien. Trotzdem, langsam bewegt das Kind seinen Fuß zu ihnen hin und schiebt die Gestalten mit der Fußsohle ganz behutsam weg. Es blickt an seinem Fuß hinab, ein Käfer ließ sich die ganze Zeit auf seinem Schuh mittragen. Der hat bestimmt Spaß, so wie ich einmal mit dem Papa, der mich auf seinen Schultern trug. 

"Nun lieber Käfer, jetzt ist aber Schluss, husch, husch nachhause." 

Es blickt wieder auf, die Eingangstüre befindet sich vor ihm. Es ist so aufgeregt und könnte schreien, vor lauter Freude. 

"Hallo Haus", sagt es, nachdem es sich beruhigt hat. "Darf ich zu dir hinein?" 

Es befürchtet, dass ihm das Haus antworten könnte, es sei noch zu klein oder wie es in einem Liedtext heißt: wenn du älter wirst, wirst du es mit den Jahren verstehen. Das Kind hat eine gewisse Vorahnung, dass es in die Zukunft sehen wird, wenn es in das Haus tritt, so wie ein Spiegel einen Blick in die Zukunft gewähren kann, allerdings nur 2-dimensional. Kurz muss es an die Papperlapapp-Gestalten denken, aber die sind doch gar keine Spiegel, beruhigt es sich, denn sie machen nicht was ich mache; lassen sich nicht beeindrucken; bleiben starr in ihrem Sein. Die Tür des Hauses ist nicht verschlossen. 

"Nanu du kleiner Käfer, bist du immer noch da? Bist du mutiger als ich? Möchtest du voran gehen?"

Der Käfer sitzt ruhig auf dem Schuh. 

"Nun gut, dann gehen wir gemeinsam." 

Gemeinsam, statt einsam, denkt sich das Kind. Ein Satz, den es einmal gehört hatte, aber wieso einsam, das versteht es nicht. 

"Gehen wir!"


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