Kapitel 6. Zwischenrufe des Ichs

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"Hast du Angst?", fragt das Kind den Käfer. "Die habe ich auch, aber ich beschütze dich." 

Mit dem Käfer am Handgelenk geht es zurück in den Flur und entdeckt vor seiner Nase ein großes schönes Fenster. Es ist mit Stuck verziert. Es blickt hinaus, alles unverändert und auch keine Spuren von rEgen, aber es kann die Tropfen noch ganz klar trommeln hören. Ohne nachzudenken, folgt es dem Geräusch, fast wie hypnotisiert, bis es sich vor einer Tür findet, die einen Spalt offen ist. Neben der Tür findet es einen weiteren Spiegel, kurz schreit es auf, weil es sich im Spiegel zunächst nicht erkannt hatte, dann zeiht es eine Grimasse, streckt die Zunge raus. 

"Blöder Spiegel.", sagt es dann und denkt sogleich, aber ich bin doch nicht blöde. Nun muss es lächeln, beinahe hat es das Trommeln vergessen. 

"Ich weiß nicht, ob wir da rein sollen, aber ich glaube ich kann nicht anders.", sagte es zu seinem Wegbegleiter. 

Auf dem Spiegel erschienen die Worte: "Für diesen Raum brauchst Du viel Mut, aber wenn Du genug Mut gesammelt hast, dann findest du viele Antworten." 

Zwischenrufe des ICHs der Autorin: "Willst du da wirklich hinein?" Das ICH fürchtet sich, dass in diesem Raum mehr drin ist, als nur ein riesiger zotteliger, beängstigender, wenn auch lebloser und zugleich lebendig wirkender Grizzlybär. Dieser Grizzly ist ein Bär aus der Kindheit gewesen. Eigentlich war er ein Geschenk von Freunden, aber er war so gruselig, dass meine Mutter ihn für ihre Zwecke nutzte. Sie drohte mir immer damit, dass sie ihn holen würde, wenn ich nun nicht brav sei. Seltsam. Kakerlaken im Kopf statt Leichen im Keller, könnte man diese Gedanken nennen. Ebenso wie jene an den Werwolf. Wer ist der Wolf? Ein wildes Tier. Sind Schäferhunde scharfe Hunde? Zähne fletschend sind sie alle. Knurrend und zu allem fähig. Unlösbare Rätsel in den Sumpf der Tränen führen. Aus diesem Sumpf gibt es kein Entkommen. Nein, es ist im Original, in der Unendlichen Geschichte, der Sumpf der Traurigkeit. Der Sumpf, der ruft, verführt, zu sich zwingt. Der Bär, das Nichts, der Wolf in der Unendlichen Geschichte, der Werwolf - hängen all diese Worte zusammen? Kakerlaken im Kopf. Kacke, Laken. Die Kacke im Laken führt zu Albträumen. die Kacke schien bereits in meinem Laken gelegen zu haben, als ich ein Neugeborenes war. Vielleicht hat das Kind in der Geschichte den Ruf eben dieses Raumes nur hören können, weil dieser Raum bereits sehr früh etabliert worden ist. Vielleicht ist es nun auch an der Zeit, dass sich ein Vormund einschaltet. Das ICH das zuvor durch die Räume gewandert ist, sollte zunächst den Raum der Abgründe inspizieren, Gefahren abschätzen, vorkosten bevor die schwere Kost dem Kind zugemutet werden kann, denn ein Vermeiden der Konfrontation ist schier unmöglich. Es soll nur keine Schäden mittragen. 

"Ganz schön gruselig", hört das Kind eine Stimme sagen, die es noch niemandem zuordnen kann. Ist es das Haus, das spricht? Das Kind wundert sich, dass es die Stimme mag. Sei hat etwas Vertrautes und doch - es findet keine Worte für die Stimme. Es ist einfach nur froh, dass sie da ist.

"Ich will da nicht hinein, heute nicht. Ich habe mich so über den anderen Raum gefreut, aber ich weiß auch nicht, ob ich jetzt dorthin zurück will. Ich weiß gerade nicht, wohin isch soll. Kannst du mir helfen?"

"Mh, was hältst du davon? Ich werde mir diesen Raum hin und wieder ansehen und ihn für dich vorbereiten? Ach ja, da fällt mir der Raum gegenüber ein, ich nenne ihn den "Kuschelraum". Vielleicht ist der gerade etwas für dich?", antwortet die Stimme. Sie klingt ruhig und warm, als würde sie das Kind bereits zärtlich umarmen. Das Kind sieht sich am Gang um, der Regen scheint sich aufgelöst zu haben, Licht strahlt durch das Fenster. 

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