Seit ich ein kleines Kind war, hatte ich ein Faible für Namen.
Es hatte mich schon immer fasziniert, wie viele unterschiedliche Namen es auf der Welt gab und ich fand es interessant, zu wissen, was die Bedeutung dahinter war. Oft fragte ich mich, wie Eltern auf die Idee kamen, ihrem Kind genau diesen Namen zu geben.
Als ich irgendwann herausfand, dass die meisten nicht einmal wissen, was ihr Name bedeutet, realisierte ich, dass kaum einer mehr darauf achtete, sondern die Entscheidung danach getroffen wurde, wie schön er klang, ob er modern war, oder auch ob ein Familienmitglied so hieß.
Ich finde es schade. Unser ganzes Leben lang werden wir nach diesem Namen gerufen. Wäre es nicht viel schöner, wenn er eine Bedeutung hätte; eine besondere und einzigartige Bedeutung, die für jeden anders ist?
Der Name »Raffaele« bedeutet so viel wie »Gott heilt« oder »der von Gott geheilte«. Diese Bedeutung erinnert mich einerseits immer daran, dass meine Mutter ,,geheilt" wurde, als ihre Schwangerschaft mit mir von Komplikationen geprägt war und wir beide auf wundersame Weise gesund blieben. Doch mein Name hält mir auch immer vor Augen, dass jeder Mensch Heilung erfahren kann und dass seelische Wunden nicht für immer schmerzen müssen. Vielleicht interpretiere ich da zu viel hinein – doch ich finde es auf eine gewisse Art beruhigend und stärkend.
Früher, als ich darüber nachdachte, eine Familie zu gründen, habe ich mir fest vorgenommen, meinem Kind nicht irgendeinen Namen zu geben, sondern einen mit einer besonderen und schönen Bedeutung, den ich ihm erklären würde.
Für manche mag das unwichtig sein, für mich ist es das nicht.
»Raffaele, kannst du mal kommen?« Paolos kratzige Stimme dringt von weit her an mein Ohr.
Hastig leere ich den Biomüll in die Tonne aus und nehme mir einen frischen Eimer aus dem Schrank. »Ich komme gleich«, rufe ich dem Restaurantbesitzer zu. Während ich darauf warte, dass der Kübel mit Wasser gefüllt wird, lehne ich mich an die Wand und erlaube mir eine kurze Pause. Der Fakt, dass ich seit fünf Uhr morgens auf den Beinen bin, zehrt an meinen Knochen und ich sehne mich danach, endlich Feierabend zu machen.
Als ich in meiner Jugendzeit in Paolos Restaurant mitgeholfen habe, fand ich es noch nicht so anstrengend. Zu dieser Zeit musste ich jedoch auch nicht so früh aufstehen, nur um dann kurz vor Mitternacht schlafen zu gehen. Und das mehrere Tage hintereinander.
Wie sehr sich seit damals alles geändert hat.
Bevor das Wasser überlaufen kann, stelle ich den Hahn ab und trete durch die Hintertür wieder hinein.
»Raffaele?«
An Paolos Stimme höre ich, wie ungeduldig er ist. Ich beeile mich, das Wasser in die Küche zu bringen und trockne meine nassen Hände an der Schürze ab, die ich um meine Hüften gebunden habe, bevor ich in das Restaurant selbst hineintrete und nach Paolo Ausschau halte. Ich erblicke ihn am Tresen, wie er mit zwei Personen redet. Erst als ich näherkomme, bemerke ich erstaunt, dass es meine Schwiegereltern sind. Oder meine ehemaligen Schwiegereltern - ich weiß nicht genau, wie ich es nennen soll.
Noch bin ich gesetzlich mit ihrer Tochter verheiratet, wobei mittlerweile klar ist, dass unsere Ehe nur noch auf dem Papier besteht.
»Da bist du ja endlich«, murmelt Paolo. In seiner Stimme klingt Ärger mit und ich fühle mich, als wäre ich der Teenager von früher. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich Paolos Ärger immer nur an anderen mitbekommen habe. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass ich jetzt älter bin, oder daran, dass er mich einfach weniger gern hat.
Vielleicht auch keines davon. Durch Paolo kann niemand hindurchsehen.
»Ciao Raffaele!« Überrascht begrüßen Giovanna und Carlo mich, indem sie mir über die Theke hinweg die Hand reichen. »Wie geht es dir?«
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Cittadina Tramonto
General FictionCittadina Tramonto: Eine italienische Kleinstadt, in der Klatsch und Tratsch an der Tagesordnung steht. Sienna konnte es kaum erwarten, ihren Heimatort zu verlassen. Als ihr Großvater stirbt, sieht sie sich gezwungen, zur Beerdigung wieder zurückzu...