Kapitel 56 - Wahrheiten

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Evelyn

Ich sah ihm ein letztes Mal in die Augen, bevor ich ihm den Rücken zudrehte und den langen Gang zurück in Richtung Ausgang lief. Währenddessen wurde ich natürlich wieder von den lästigen Gedanken meiner Wölfin gequält und den Vorwürfen, welche ich mir selber machte. Auch wenn ich es mit allem, was ich hatte verhindern wollte, ich konnte es nicht.

Ich musste wieder an die Vergangenheit denken. Egal, wie sehr ich mich dagegen wehrte. Nicht nur, dass ich die Beziehung zu Axton beenden musste, obwohl ich immer noch Gefühle für ihn hatte. Auch die Worte seiner Mutter hatten mir einen Schlag in die Magengrube versetzt und mir vor Augen geführt, dass ich immer noch das bemitleidenswerte Omega Mädchen war, was nie mehr als eine Heilerin sein würde. Dazu verdammt allein zu sterben.

„Sie ist ein einfältiges Kind und des Titels einer Luna nicht würdig. Schau sie dir doch mal an, sieht so die Gefährtin eines Alpha aus, geschweige denn eine Luna? Ich bitte dich, das kannst du nicht ernst meinen. Sie ist eine nutzlose Omega, eine Heilerin noch dazu. Ich habe ja nichts dagegen, wenn du sie des Rudels wegen behältst aber zu mehr ist sie nicht zu gebrauchen."

Sätze die sich wie Messerscharfe Klingen in meine Haut gebrannt haben und tiefe Narben hinterlassen werden, wenn sie das nicht schon längst getan haben. Meine Augen fingen an zu tränen. Ich verschnellerte also mein Tempo, um so schnell wie möglich diesen Ort verlassen zu können.

Ich konnte es nicht gebrauchen, dass er mich so sah, wie ich mich fühlte. Schwach und zerbrechlich. Völlig zerstört von den vergangenen Wochen und mit den Kräften am Ende. Ich meine, ich wäre beinahe gestorben. Wer würde das so einfach wegstecken? Und außerdem, warum war ich eigentlich dazu in der Lage andere zu heilen aber mich selber nicht?

Es wäre alles so viel einfacher, wenn ich meine eigenen Wunden genauso schnell heilen lassen könnte, wie die anderer. Dann müsste ich mir nur wieder Sorgen um den Schmerz machen, welcher mich von innen heraus zu zerstören drohte.

Außerdem wollte ich nach diesem ereignisreichen Tag nur noch meine Ruhe und mich in meinem Zimmer verkriechen. Vorausgesetzt es war immer noch mein Zimmer. Dessen war ich mir nämlich nicht mehr sicher. Immerhin war ich jetzt ein vollwertiges Mitglied dieses Rudels und kein Gast mehr, wie er es anfangs bezeichnet hatte.

Deswegen benötige ich auch nicht mehr den Schutz des Alpha und habe keinen Anspruch mehr darauf, auf seiner Etage zu wohnen. Darüber hinaus wusste ich immer noch nicht, wie das zwischen uns weiter gehen sollte. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich mit ihm umgehen sollte.

Vielleicht war das auch der Grund, warum ich versuchte so schnell wie möglich von ihm wegzukommen. Ich war überfordert. Mit allem und jedem. Doch dann hörte ich plötzlich jemanden meinen Namen schreien. Das konnte ich jetzt nun gar nicht gebrauchen.

Axton

„Evelyn! EVELYN. WARTE BITTE! "Ich rief so laut ich konnte und joggte ihr nach, in der Hoffnung diese Missverständnisse erklären zu können. Als sie dann endlich stehen blieb, atmete ich erleichtert aus und lief nun langsamer auf sie zu. „Was ist? Ich dachte wir hätten alles besprochen." Sie nahm eine abwehrende Haltung ein, so wie sie es immer tat, wenn sie versuchte sich nicht von ihren Gefühlen einnehmen zu lassen.

„Du hast gesagt, dass du gehört hast, was meine Mutter gesagt hat." Sie nickte mir mit verschränkten Armen zu, ohne mich dabei auch nur anzusehen. „Aber hast du auch gehört, was ich daraufhin zu ihr gesagt habe?" Sie schloss ihre Augen und kämpfte bereits gegen die Tränen, welche ihre Wasserlinien zu übertreten drohten.

Dennoch wollte sie sich nichts anmerken lassen, weswegen sie sie versuchte herunterzuschlucken. „Nein, aber das brauche ich auch nicht." Doch ich unterbrach sie, denn sie wusste nicht, was ich darüber dachte. Sie hatte keine Ahnung, was danach passiert ist.

Die Bürde einer Werwölfin zu tragenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt