Kapitel 10: Das sich immer drehende Rad der Dauerhaftigkeit

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Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, spürte ich einen starken Druck auf mir lasten. Er presste mich in die dünne Isomatte. Meine Augen hafteten sich an den kleinen Spalt schräg über mir, aus der frische Luft von draußen nach innen drang.

Ich rührte mich nicht und blieb ganz ruhig, in der Hoffnung, dass meine fiesen Gedanken heute schweigen würden. Doch sie liefen schon jetzt auf Hochtouren. Nichts würde sich ändern – rein gar nichts. Bei diesem Gedanken zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Ich presste die Lippen aufeinander und bohrte meine Fingernägel in die Handflächen, doch ich spürte, dass es wieder einer dieser Tage war, an denen ich nur funktionierte.

Es war, als würde ein Schleier zwischen mir und der Außenwelt stehen. Doch ich agierte nicht mit der Welt um mich herum. Denn ich war gefangen, in meinen eigenen Gedanken, die mir immer wieder sagten, dass ich nicht dazu gehörte.

Noch während ich den Reißverschluss des Schlafsacks öffnete und leise aus dem dicken Material herausschlüpfte, konnte ich das starke Gewicht auf meinen Gliedern spüren, als würde mein Körper mich davon abhalten wollen, aufzustehen und mich der Realität zu stellen.

Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass es erst sieben Uhr morgens war. Schnell stellte ich sechs Wecker für acht Uhr und legte das Telefon direkt neben den Kopf meiner Schwester, die in einem komatösen Tiefschlaf gefangen war.

So leise wie möglich öffnete ich das Moskitonetz und trat mit nackten Füßen in das Vorzelt. Als das feuchte Gras sich zwischen meinen Zehen schlängelte, atmete ich noch einmal kräftig durch und hoffte inständig, dass ich noch eine Stunde für mich allein sein würde. Wenn ich schon jetzt auf Hudson treffen würde, wüsste ich nicht, was ich machen sollte.

Doch zu meinem Glück lag unser Lagerplatz in friedlicher Ruhe da. Auf Zehenspitzen schlich ich mich zu Donald und öffnete den Kofferraum, um alle Utensilien für das Frühstück herauszuholen. Auch die Campingstühle hatten wir gestern Abend vorsorglich reingeräumt. Dabei hatte ich immer darauf geachtet, Hudson nicht zu nahe zu kommen und ihm für den Rest des Abends nicht in die Augen zu sehen. Auch wenn ich gespürt hatte, dass sein Blick immer wieder meinen gesucht hatte, hatte ich der Versuchung nicht nachgegeben. Zu groß war meine Angst gewesen, dass er etwas in ihnen entdeckte, was nicht für ihn bestimmt war.

Die Sonne streckte ihre Strahlen bereits über das Blätterdach des Waldes aus und erwärmte mein Gesicht. Und doch tobte in mir eine eisige Kälte.

Um mich von dem dumpfen Pochen in meiner Brust abzulenken, trug ich die Stühle aus dem Camper zu unserem Tisch.

Auch wenn sich alles in mir zusammenzog, wenn ich daran dachte, dass ich nun nicht für zwei, sondern für fünf Leute decken musste, bemühte ich mich, mich nicht zu sehr in die unveränderbare Situation hineinzusteigern. Je schneller ich mich damit arrangierte, umso besser würde ich damit zurechtkommen.

Das glaubst du doch selbst nicht, wisperten meine fiesen Gedanken, die mich besser kannten als ich selbst. Sie kontrollierten mich, auch heute.

Während ich den Tisch deckte, verfluchte ich mich für meine Dummheit, geglaubt zu haben, ein Sommer könnte etwas an meinem Zustand verändern. Wahrscheinlich würde ich mich in dieser neuen Konstellation noch mehr zurückziehen. Bald würden die anderen drei verstehen, dass ich nur die seltsame Schwester war, die es nicht einmal schaffte, normal mit jemandem zu reden, Kontakte zu knüpfen oder geschweige denn sie aufrechtzuerhalten.

Als ich fertig mit allem war, setzte ich mich auf einen Stuhl und ließ meinen Kopf zurückfallen. Ich ging in mich, atmete kräftig ein und wieder aus, doch der Druck um meine Brust und der Nebel in meinem Kopf blieben. Statt warmen Sonnenstrahlen spürte ich die Kälte in mir hinaufkriechen.

Herzlich willkommen, meine fiesen GedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt