Kapitel 7: Hudson Bale

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Angst. Eine Emotion, so mächtig und dominant, dass sie das ganze Leben bestimmen konnte. Doch warum hatten Menschen Angst? War es dir Furcht vor dem Ungewissen? Oder war es gerade anders herum? War es, weil wir Menschen wussten, was kommen könnte, weil wir es bereits erlebt hatten? Versuchten wir uns deshalb zu schützen?

Vielleicht schon, aber es war weitaus komplizierter. Denn Angst funktionierte auf eine seltsame Art und Weise. Obwohl es ein Schutzmechanismus war, lähmte uns dieser. Wir wussten, wovor wir uns fürchteten, aber wir waren nicht dazu fähig, uns davon zu lösen.

Deshalb wurden wir immer wieder mit unseren Ängsten konfrontiert. Sie waren der Nährboden für all die fiesen Gedanken, die sich niemals satt fressen konnten, wenn man einmal die Ausfahrt verpasst hatte, sich ihnen entgegenzustellen.

Wer sich von seinen Ängsten leiten ließ, hatte automatisch verloren.

Einige sagen, die Erkenntnis darüber wäre schon der erste Schritt in die richtige Richtung. Das war sie nicht. Für mich machte die Gewissheit es nur schlimmer.

Ich kannte meine Ängste und war gezwungen, mich ihnen täglich entgegenzustellen, nur um jedes Mal festzustellen, dass ich sie nicht bezwingen konnte. Denn es waren nicht nur sie, die mich davon abhielten, zu einer Gruppe von Menschen zu gehen, die mir alle fremd waren und ein Gespräch zu beginnen. Es waren die fiesen Gedanken, die mir zuflüsterten, dass ich nicht dazugehörte und die anderen mich nicht bei sich haben wollten.

Wenn ich Grace dabei beobachtete, wie leicht es ihr fiel, neue Leute kennenzulernen, bildete sich jedes Mal ein Knoten in meinem Bauch und ich fragte mich, warum ich nicht dazu in der Lage war. Was war falsch an mir, dass ich nicht dazu fähig war, mit anderen in Kontakt zu treten? Warum hatte ich immer das Gefühl, dass mich andere Menschen ablehnten, sobald ich mit ihnen zu tun hatte, obwohl sie mich nicht einmal kannten? Wieso reichte ein Blick aus, um zu wissen, dass ich anders war?

Während Grace die Menschen nur um sich scharte, schien es mir so, als müsste ich mich an den wenigen Personen, die sich in meinem Umfeld aufhielten, festklammern.

Immer und immer wieder hatte ich es versucht, aber wenn der Moment gekommen war, wo ich endlich den Mut gefasst hatte, auf jemanden zuzugehen, hatten die fiesen Gedanken mich doch noch zurückgehalten und mir nur bestätigt, was ich sowieso schon wusste.

Egal, wohin ich ging und egal, in welchem Alter ich mich auch befand, ich hatte nie wirklich Anschluss gefunden. Weil immer wieder das Gleiche eingetreten war. Niemand blieb. Die fiesen Gedanken hatten jedes Mal recht.

Also hielt ich mich zurück. Ich verharrte in meiner Position und schaute niemanden mehr an. Ich bemühte mich nicht mehr, neue Menschen kennenzulernen. Denn ich hatte gleichzeitig Angst vor dem, was kommen konnte und dem, was sowieso eintreten würde. Zwei Variablen, die ich nicht mehr bereit war, in Kauf zu nehmen.

In all der Zeit, beginnend von der Middle School, an der ich es erst so richtig verstanden hatte, bis zur High-School und nun bis kurz vor dem Ende meines Studiums gab es nur eine Person, die mich gesehen hatte. Doch er war gleichzeitig der Mensch, vor dem ich mich am meisten fürchtete.

Als ich durch das Fenster schaute und das Ortschild von Gilroy, einem mir unbekannten Nest, an mir vorbeischwinden sah, erkannte ich in der Spiegelung der Scheibe ein Augenpaar, das stumm auf mir lag. Ich schluckte, wich aber seinem Blick nicht aus.

Zwischen uns lag so viel Ungesagtes, dass sich mein Bauch zusammenzog.

Währenddessen bekam ich nur schemenhaft mit, wie wir langsam die grünen Wiesen der Landschaft hinter uns ließen und durch dichte Nadelwälder fuhren. Mein Körper stand unter Strom, während ich im Hintergrund die leisen Töne von Johnny Cashs Ghost Riders in the Sky erklangen. Grace und ich hatten für diesen Roadtrip extra mehrere Playlisten zusammengestellt, die wir ganz altmodisch auf Kassetten überspielt hatten. Für den Anfang hatte sie sich wohl für meine entschieden, die aus alten Klassikern bestand. 

Herzlich willkommen, meine fiesen GedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt