Überraschungen. Das war es, was ich am meisten auf der Welt hasste. Ich mochte es nicht, wenn ich mich nicht auf etwas vorbereiten konnte, wenn ich plötzlich einer Situation ausgeliefert war, aus der ich mich nicht einfach befreien konnte.
In dem Moment, als ich die drei Besucher vor mir erblickte, hörte meine Welt auf sich zu drehen. Nur langsam registrierte ich die Rucksäcke und Reisetaschen, die die jungen Männer locker um ihre Schultern trugen.
Und dann, als ich in die sturmgrauen Augen von Hudson Bale schaute, verlor ich gänzlich die Verbindung zu meinem Gehirn. Es waren nur zwei Worte, die durch meinen Kopf schwebten und meinen Puls beschleunigten.
Nicht er.
Meine Finger krampften sich um den Türgriff, sodass meine Knöchel weiß hervortraten. Ich schnappte nach Luft, doch kein Sauerstoff drang in meine Lungen.
Die Zeiger der Uhr hörten auf zu schlagen, während ich mich in Hudson Bales Augen verlor. Alles um mich herum verschwamm zu einer eintönigen Masse. Ich sah nur ihn. Seine dunklen Haare, von denen ich noch immer nicht wusste, ob sie braun oder schwarz waren, waren an den Seiten kürzer als das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte. Sie waren leicht zerzaust, als ob er sich nicht allzu viel Gedanken über sein Aussehen machte, aber dennoch strahlte er einen gewissen Charme aus, der mich automatisch schlucken ließ. Der neue Schnitt und der Dreitagebart ließen ihn älter, erwachsener aussehen. Sie betonten seine markanten Gesichtszüge und verstärkte den Eindruck seiner undurchdringlichen Aura. Alles an ihm wirkte definierter und kantiger, als ich es in Erinnerung hatte. Und doch war er noch immer derselbe. So undurchsichtig wie schwarzes Papier.
Mein Herz explodierte in meiner Brust, als ich langsam die Situation erfasste. Vergessen waren Hudson Bales sturmgraue Augen, die mich einmal in seinen Bann gezogen, auf ewig verfolgen würden. Stattdessen wanderte mein Blick hektisch über den großen, dunkelgrünen Reiserucksack hin zu seinem trainierten Oberkörper. Uns trennten nur wenige Meter. Aus der Nähe wirkte er größer und athletischer. Er überragte mich mindestens um einen ganzen Kopf. Seine breiten Schultern und die hervorstechenden Venen an seinen Unterarmen zeigten, dass er noch immer viel Sport trieb. So wie früher. Fast automatisch blieben meine Augen an seinem schwarzen T-Shirt hängen, auf dessen Mitte ein großes, weißes Nike-Zeichen prangte.
Wieder schnellte mein Blick zu Hudsons, doch in seinem Gesicht spiegelte sich keinerlei Emotion. Er war weder überrascht, noch erfreut. Da war absolut nichts. Nur seine unergründlichen Augen, die bis zu den Tiefen meiner Seele sehen konnten.
Plötzlich riss mich eine männliche Stimme, die mir allzu bekannt war, aus Hudsons Anziehung. Perplex starrte ich den hochgewachsenen, jungen Mann mit den wild verwuschelten schwarzen Haaren an, der sich über die letzten vier Jahre kein Stück verändert hatte. Noch immer trug er den jugendlichen Schelm in seinen schokobraunen, kugelrunden Knopfaugen. Seine Grübchen stachen mir förmlich entgegen, als er mich breit angrinste.
Miles Wilson.
Der Junge, der immer ein Lächeln auf den Lippen trug. Der Mann, den meine Schwester nie ganz vergessen konnte. Ausgerechnet dieser Miles Wilson, der Grace seit der Middle School den Kopf verdreht hatte, ohne es zu wissen, stand nun vor unserer Haustür und stellte mir eine Frage, die meine bevorstehenden Pläne mit einem Schlag zu Staub zerfielen ließen.
»Seid ihr bereit? Können wir den Van beladen?«
Am Rande spürte ich, wie mein Mund sich einen Spalt breit öffnete. Was meinte er damit, den Van beladen? Warum sollte er...? Und dann machte es bei mir Klick. Schnell huschte mein Blick zu Hudson, als könnte nur er mir die Antwort auf meine Fragen geben. Doch er erwiderte meinen flehenden Blick nur stumm.
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Herzlich willkommen, meine fiesen Gedanken
RomanceEin Sommer. Das ist alles, wovon Lou träumt. Eine Auszeit von ihrem gewohnten Leben, eine Chance, sich von den düsteren Gedanken zu befreien, die sie ständig belasten und in die Tiefe ziehen. Ein Sommer, der ihr Leben für immer verändern soll. Doch...