Kapitel 5: Die Verwandlung

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Als Saskia am nächsten Morgen
aufwachte, tat ihr alles weh. Sie war es definitiv nicht gewohnt, in so einem hartem Bett zu schlafen.
Mühsam richtete sie sich auf- und blickte direkt in die Augen ihrer Mitbewohnerin, die sie anstarrte.

"Was ist?",
fragte sie ein wenig genervt, während sie sich streckte und reckte.
"Nichts. Ich wollte mich nur entschuldigen wegen gestern Abend. Die anderen haben sich echt blöd benommen. Und ich auch.",
Sina senkte beschämt ihren Blick, während Saskias Miene sich verfinsterte und sie sich dunkel an die Geschehnisse des vergangenen Abends erinnerte. Es war gestern sogar so schlimm gewesen, dass sie überlegt hatte ihre Eltern anzurufen und heimzufahren. Aber dann hatte sie beschlossen, der Sache noch eine Chance zu geben.

"Ist schon in Ordnung. Vergessen wir das Ganze einfach", wandte sie sich Sina zu, deren Gesicht bei ihren Worten wieder aufleuchtete.
"Gut. Du solltest dich heute auch auf etwas vollkommen anderes fixieren.", meinte Sina mit einem Grinsen. Saskia runzelte die Stirn. Was meinte Sina den bloß?

"Bereit, herauszufinden, was deine zweite Gestalt ist?", fügte sie hinzu und Saskia hätte sich wegen ihrer Dummheit am liebsten den Kopf gegen irgendwas hartes gestoßen.
Wie hatte sie bloß die kommende Verwandlungs Stunde vergessen können?
Sie spürte wie ihr Gesicht aschfahl wurde. Noch immer plagte sie die Angst, sie wäre keine Gestaltwandlerin. Doch heute würde sie es wohl oder übel herausfinden.

"Hey, guck nicht so entsetzt", versuchte Sina sie zu beruhigen, "Das ganze ist wirklich nicht so schlimm, wie einige glauben." Saskia beruhigen diese Worte jedoch überhaupt nicht. Sie bekam langsam das Gefühl, sie wäre kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber sie musste sich ablenken.
Da fiel ihr ein...

"Was ist eigentlich deine zweite Gestalt?", fragte sie Sina. "Erdhörnchen", antwortete diese wie aus der Pistole geschossen. Saskia wurde noch grüner im Gesicht. Denn was war, falls sie selbst ein Raubtier wäre? Schließlich war ihr Bruder ein Kojote.
Nicht das Saskia sich zu hundert Prozent sicher war, aber falls doch...

Würde sie dann in ein anderes Zimmer umziehen müssen? Schließlich wären sie dann Raubtier und Beutetier, würde das funktionieren? Saskia wurde beim bloßen Gedanken daran, sich mit jemand anderem als wie Sina ein Zimmer zu teilen, übel. Sie hatte das Gefühl, sie wäre die einzige, die sie verstand.
Noch ein dringenderer Grund, herauszufinden, ob sie eine Woodwalkerin war.
Saskia's Magen schien komplett durchzudrehen, doch trotzdem klang ihre Stimme fest, als sie Sina mitteilte, sie würde sich in dem Waschraum der Mädchen fertig machen.
Dann verließ sie ihr Zimmer.

Saskia war noch nie so nervös gewesen wie jetzt gerade. Sie saß in der Mitte ihres Sitzkreises im Innenhof der Clearwater High und wartete darauf, dass ihr Lehrer Mr Ellwood wieder zurückkam. Er war eben aufgestanden und meinte, er müsse sein Tierlexikon holen.

Sina hatte ihr erklärt, dass der Prozess eigentlich ziemlich einfach verlief uns sie einfach nur "Stopp" sagen musste, wenn sie ein Kribbeln spürte während Mr Ellwood durch ein Lexikon blättern würde, was eigentlich nicht so schwer klang.
Trotzdem war Saskia schon den ganzen Tag so nervös gewesen, dass sie nicht einmal einen Bissen beim Frühstück runtergebracht hatte.

Und nun saß sie da und wartete.
Es half auch nicht unbedingt, dass alle sie anstarrten, auch wenn Sina ihr ein beruhigendes Lächeln schenkte.
Aufgeregt fummelte sie an der Naht ihrer Jeans herum.

Sie hatte aufgrund Sina's Einspruch entschieden, ihre schlichteste Jeans und ein ganz gewöhnliches T-Shirt anzuziehen, da während ihrer Verwandlung die Kleidung platzen könnte, falls sie ein größeres Tier war.

Und Saskia musste zugeben: Die Kleidung die sie gerade trug, war viel gemütlicher wie alles, was sie im Laufe ihres Lebens getragen hatte. Allerdings hätte ihre Mutter warscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie sie in dieser Auffassung sehen würde. Vorallem da Sina darauf bestanden hatte, sie solle ihre Haare einfach nur offen lassen und nicht irgendwie "verkomplizieren", wie Sina es nannte.

Sie trug heute auch keinen Schmuck, was so ungewöhnlich war, dass Saskia sich selbst ein wenig nackt vorkam.
Sie wurde von ihren Gedankengängen unterbrochen, als Mr. Ellwood mit einem dicken Wälzer unterm Arm auf sie zukam.
Mit einem Mal wurde Saskias Kehle staubtrocken.

"Du brauchst nicht nervös zu sein", beruhigte ihr Lehrer sie.
"Wir fangen jetzt einfach an, ok?" Saskia war nicht in der Lage, einen einzigen Laut von sich zu geben also nickte sie bloß.
"Du schließt lieber die Augen, dann funktioniert es besser", fügte er hinzu.

Saskia tat was er sagte und hörte, wie er den Buchdeckel aufschlug. Auf einmal war es im Hof auch totenstill geworden, und Saskia konnte die Blicke ihrer Mitschüler im Nacken spüren.
Doch Saskia ignorierte sie gekonnt, horchte ganz tief in sich hinein und konzentrierte sich vollkommen auf ihren Tastsinn und ihr Gefühl.

Sie spürte alles. Wie eine sanfte Brise ihren nackten Arm streichelte und ihr das Haar ins Gesicht blies. Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Brust pochte. Sie spürte wie sich ihre Brust hob und senkte bei ihren Atemzügen. Sie spürte alles.
Aber kein Kribbeln. Verzweiflung machte sich schon in ihr breit, doch sie wollte nicht aufgeben. Sie horchen noch tiefer in sich hinein, lauschte konzentriert und...

Mit einem Schlag war es da. Ein starkes heftiges Kribbeln machte sich in ihr bemerkbar und durchlief ihren kompletten Körper.
"Stopp"
Das Wort war nicht lauter als ein Atemhauch, und hatte dennoch eine unfassbar große Bedeutung.
Saskia öffnete die Augen -und starrte mit großen Augen auf das Bild einer Gophernatter. 

Sofort spürte sie die Veränderung.
Ihr Körper schien zu schrumpfen, während es sich gleichzeitig so anfühlte, als wäre sie ein Gummiband, das langgezogen wird und sich in alle möglichen Richtungen verbiegt, während das Kribbeln immer stärker wurde, als würden Millionen von Ameisen auf ihr herumkrabbeln.
Es war kein schlimmes Gefühl, allerdings auch kein gutes.
Sie würde sich hoffentlich daran gewöhnen.

Als ihr Körper sich endlich wieder normal anfühlte und sie die Verwandlung hinter sich hatte, sah sie nichts.
Saskia brauchte ein paar  Momente, um zu erkennen, dass sie sich mitten in ihrem Klammotenhaufen befand.
Sie trat - nein, schlängelte sich hinaus.
Sich in diesem neuen, ungewohnten Körper zu befinden, war...überwältigend.
Ihre neuen Sinne funktionierten komplett anders wie die ihrer Menschengestalt.
Sie sah in etwa gleich gut wie zuvor, allerdings hörte sie ziemlich schlecht.
Doch ihr Gespür glich alles aus:
Sie spürte die Erschütterung von einer einzigen, winzigen Maus, die durch das Gebüsch trippelte.
Sie spürte das Getrampel von den Jungendlichen im nahen Wald, die vermutlich gerade Kampf und Überleben hatten.
Sie spürte einfach alles.

Es war ein wunderbares
Gefühl, in dieser Gestalt zu sein und Saskia liebte es sofort.
Allgemein wusste Saskia nicht viel über Gophernattern.
Außer dass sie Würgeschlangen waren und genauso wie andere Schlangen infrarot sahen.
Eine Sichtweise, an die Saskia sich defenitiv noch gewöhnen musste.
Aber trotz allem:
Es war unglaublich.
Sie hatte sich noch nie zuvor so gut gefühlt.

"Nun, da du herausgefunden hast, was deine zweite Gestalt ist, kannst du dich in der Umkleide zurückverwandeln.", zerstörte Mr. Ellwood ihren Freudenmoment und Saskia schlängelte sich widerwillig mit ihrem Schlangenkörper zu der Umkleide, wo bereits jemand neue Klamotten für sie hergerichtet hatte.
Jeans und Shirt.

Saskia wollte Seufzen, was sich allerdings wie ein leises Zischeln anhörte.
Aber sie würde diese Kleidung schon überleben.
Und dann als sie wieder in ihrer Menschengestalt in der Umkleide stand und sich im Spiegel betrachtete, dämmerte ihr endlich, was das Ganze bedeutete:
Sie war eine Woodwalkerin.
Sie war glücklich.
Sie hatte keine Angst mehr davor, von ihren Eltern abgeholt werden zu müssen.
Sie war frei.

Perfekt- eine Woodwalker FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt