Kapitel 1: Die Ankunft

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Mit großen Augen starrte sie auf das Gebäude vor mir.
Jetzt, im echten Leben sah das Internat sogar noch gewaltiger und beeindruckender aus als wie in den Broschüren. Einschüchternder.
Nicht gerade wie ein kuscheliges Zuhause.

Naja, aber sie hatte sich noch nie irgendwo richtig „Zuhause" gefühlt.
Bei ihren Eltern hatte sie sich noch nie wohlgefühlt.
Es war ihr eher vorgekommen wie ein Gefängnis, in dem sie nichts anfassen oder tun durfte. Stattdessen wurde sie bei ihren Eltern immer streng erzogen.

Wie sie sich verhalten sollte.
Wie sie sitzen sollte.
Wie sie gehen sollte.
Wie sie essen sollte.
Was sie essen sollte.
Sogar wann sie essen sollte.
Ihre Eltern hatten es geliebt, sie den ganzen Tag im korrektem Verhalten zu erziehen.

Und sie?
Sie hatten sie nie geliebt. Sie hatten es ihr nie gezeigt.
Ihr nie das Gefühl gegeben, geliebt zu werden.
Und dafür hasste sie ihre Eltern. Einmal hatte sie ihre Mutter sogar gefragt, ob sie ein Wunschkind war.
Nur um danach hören zu müssen, dass sie keines war.

Und solche Worte zu hören tat mehr weh, wie jeder Schlag ihres Vaters wenn sie sich einmal nicht korrekt verhalten hatte.
Ihr Bruder war ihr nie eine Hilfe gewesen.

Er war ja schließlich berühmt, und wenn man berühmt war, schämte man sich dafür, eine kleine Schwester mit zehn Jahren Altersunterschied zu haben, die „so ungezogen wie ein kleiner Teufel" war, so wie er sie mal genannt hatte.

Und nun?
Nun stand sie wie angewurzelt da, vor der berühmtesten Wandlerschule der Welt und ging im Kopf sämtliche Benehmungsregeln durch, die ihre Eltern ihr aufgebrummt hatten, bevor sie sie mit ihrem schicken Lamborghini persönlich hergefahren hatten.

In Wahrheit tat sie es allerdings bloß, um sich abzulenken.
„Steh nicht so dumm da, geh jetzt!",
herrschte die scharfe Stimme ihrer Mutter sie an.
Saskia hätte nur zu gerne die Augen verdreht, aber das verstieß gegen die Regeln ihrer Eltern, also begnügte sie sich damit, den samtenen Stoffes ihres eleganten Kleides glattzustreichen.

Das war zum Glück erlaubt.
Dann schritt sie mit eleganten Schritten und geradem Rücken den Pfad zu der Clearwater High entlang, genau wie ihre Eltern es von ihr verlangt hatten, während ihr Vater ihr nachbellte:
,,Und wag es ja nicht, uns in die Situation zu bringen, dass wir dich wieder abholen müssen, weil sie festgestellt haben, dass du keine Woodwalkerin bist."

Und da war sie wieder.
Die kalte Angst, die Saskia verspürte, seitdem sie ins Auto gestiegen war.
Die Angst krallte sich nun noch heftiger in ihr fest, sodass es Saskia die Kehle zuschnürte und es ihr vorkam, als würde sie auf einmal keinen Platz zum atmen hätte.

Sie unterdrückte den Drang, nach Luft zu schnappen und erwiderte stattdessen mit zittriger Stimme, einen Blick zu ihrem Vater zurückwerfend:
,,Ja, Vater. Ich werde euch nicht enttäuschen."
Dann wandte sie sich wieder dem kleinem Pfad zu und zwang sich, weiterzuatmen.

Trotzdem musste sie sich mehrmals daran erinnern, dass ihr Bruder ein leichtes Kribbeln bei ihr gespürt hatte, als ihre Eltern ihn gebeten hatten, zu spüren ob sie auch eine Wandlerin war.
Denn ihre Eltern waren beide normale Menschen, wussten allerdings von Woodwalkern, auch wenn sie selbst sich nicht verwandeln konnten.

Da das Gespür ihres Bruders für Wandler allerdings nie besonders ausgeprägt war, bestand auch die Möglichkeit, dass... Saskia wollte den Gedanken nicht weiterführen und konzentrierte sich stattdessen auf den holprigen Pfad, der zur Schule führte, während sie im Hintergrund hörte, wie ihre Eltern davonfuhren.

Es stellte sich als ziemlich unpraktisch heraus, dass ihre Eltern sie gezwungen hatten, ihre höchsten High Heels anzuziehen, die sie besaß und Saskia hätte sich die Dinger am liebsten von den Füßen gerissen und weit, weit weg geschleudert doch sie wollte es nicht riskieren, dass ihre Eltern sie schon wieder abholten, wenn sie ihnen doch gerade erst entflohen war.

Also stolzierte sie wie eine Lady den Pfad hinunter, bis sie vor der Eingangstür stand.
Und erst dann realisierte sie es. Sie war wirklich hier.
Fort von ihren Eltern.
Fort von allen Behnemungsregeln.
Und auf einmal, ganz still und leise, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen, doch sie verdrängte es sofort.

Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, nicht zu lächeln, es sei denn, sie empfing wichtigen Besuch oder besuchte eine wichtige Person.
Saskia wusste zwar, dass ihre Eltern fort waren, aber nach all den Jahren konnte sie nicht anders als sich an die perfekten Regeln zu halten.

Trotzdem war sie voller Stolz, Freude und Selbstbewusstsein, genauso wie sie sich verhalten musste. Ihre Eltern hatten sie gewarnt, sie solle Selbstwusstsein und Stolz ausstrahlen wenn sie hier angekommen war. Also hielt sie sich wie ein braves Lämmchen an die Anleitung ihrer Eltern und öffnete mit Ehrfurcht die Eingangstür zu dem Ort, der über ihre Zukunft entscheiden würde.

Perfekt- eine Woodwalker FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt