"Ach komm schon, schau nicht so entsetzt!", meinte ihre Mutter mit einem gekünsteltem Lachen. Saskia bekam wie immer Gänsehaut, wenn ihre Mutter so falsch lachte.
Es war für sie ein Zeichen, besser keine Diskussion mit ihrer Mutter anzufangen oder mit ihr zu streiten."Ich wollte nur sehen, ob sich mein Schätzchen schon hier eingewöhnt hat",
fügte sie hinzu während bittere Galle in Saskia hochschoss.
Am liebsten hätte sie sich im Boden eingebuddelt und wäre ganz, ganz weit weg von hier gekrochen.
Aber irgendwann hätte sie sich so oder so ihrer Mutter stellen müssen.
Sie hatte nur gehofft, dieser Moment würde erst viel, viel später eintreffen.
Pech gehabt.Also zwang sie sich ein Lächeln aufs Gesicht und meinte:
"Möchtest du dich setzen?"
Saskia stand auf, schob ihrer Mutter einen Stuhl an ihren einsamen Tisch und wirkte sie herbei.
Allein dass ihre Mutter überhaupt aufgetaucht war, war schon peinlich genug.
Sie war doch kein kleines Kind mehr!
Doch es kam noch schlimmer:Als ihre Mutter sich einen Weg zu ihrem Tisch freimachte, wäre sie fast auf die Eidechse von vorhin draufgetreten und rempelte ein Dutzend Schüler an.
Und auf einmal, genau in dem Moment, in dem ihre Mutter endlich am Tisch ankam, schoss ein sehr vertrautes Mädchen mit verwuscheltem Haar hervor und setzte sich auf den freien Stuhl."Hey, sorry dass ich zu spät komme", nuschelte Sina, die schon etwas von dem Salat, den sie sich warscheinlich gerade geholt hatte, im Mund hatte und genüsslich kaute.
Mit offenem Mund.
Saskia hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen.Wenn das so weiterging, war sie in ein paar Minuten auf dem Nachhauseweg, und das, nachdem sie sich gerade eben erst eingewöhnt hatte.
Saskia schoss Sina einen scharfen Blick zu und Sina schien lautlos zu verstehen.„Okaaay. Ich schätze, wir sehen uns später..."
Genauso schnell, wie Sina gekommen war, war sie schon wieder verschwunden. Saskia widmete sich wieder ihrer Mutter, die ein wenig verwirrt dastand.
Warscheinlich fragte sie sich, was für ein komisches Mädchen das eben gewesen war."Möchtest du dich setzen, Mutter?",
fragte Saskia als Ablenkung mit einem perfektem Lächeln und deutete ihr, sich auf dem Stuhl niederzulassen.
"Was ist das für eine erbärmliche Kleidung, die du da trägst?", tadelte ihre Mutter sie, kaum hatte sie sich auf dem Sitz niedergelassen. Mist.
Saskia hatte komplett vergessen, ihre Kleidung zu wechseln.„Und was ist das für ein grüner Dreck hier auf diesem Ding?", fragte ihre Mutter und deutete auf ihr nicht mehr ganz so weißes T-Shirt. Saskia atmete ein paar Mal ganz tief durch, bevor sie antwortete:
"Ich hatte eben in der vorherigen Stunde meine erste Verwandlung. Deshalb habe ich etwas andere Kleidung an als gewöhnlich"
Saskia richtete ihren Blick stur auf ihre Mutter.
Sie ahnte schon, was für eine Frage als nächstes kommen würde."Und was ist deine zweite Gestalt?",
fragte ihre Mutter, ohne mit der Wimper zu zucken oder einen Hauch Neugier in der Stimme.
Aber so war es schon immer gewesen.
Ihre Mutter war nicht in der Lage, Empathie zu zeigen, solange Saskia in ihrer Nähe war.Saskia unterdrückte mit Mühe ein Seufzen, ehe sie ihrer Mutter antwortete.
"Gophernatter", brachte sie mühsam hervor und sagte kein einziges Wort mehr.
Sie wollte dieses Gespräch einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Gespannt wartete sie die Reaktion ihrer Mutter ab.
Nichts.Sie zuckte mit keiner Wimper, zeigte keine Gefühle sondern durchbohrte sie bloß mit ihrem Blick.
Ihre Mutter musste nichts mehr sagen, Saskia war sofort bewusst, dass ihre Mutter sehr enttäuscht war.Und sie spürte, wie etwas ganz tief in ihrem inneren zerbrach.
Es fühlte sich an, als würde ihr Herz in Tausend Teile zersplittern, wie ein Spiegel, der zerbrochen war und durch den sich ewige Risse durch das Glas zogen.
Saskia wollte nicht in aller Öffentlichkeit zusammenbrechen, und dennoch spürte sie wie ihre Fassade zu bröckeln begann.All die Jahre war sie stark gewesen.
Hatte all die unvergossenen Tränen verborgen, war weiterhin allen Regeln ihrer Eltern gefolgt, hatte alles für sie getan.
Jedes Mal, wenn sie am Abend sich ins Bett gelegt hatte, gehofft ihre Eltern würden zu ihr kommen, ihr eine Geschichte zum Einschlafen vorlesen und ihr am Schluss noch einen Gutenachtkuss geben.
Gehofft, geliebt zu werden. Genauso wie alle anderen Kinder in ihrem Alter damals.Doch am Schluss hatte sie nur immer ewig an die Decke ihres Zimmers gestarrt und sich langsam in den Schlaf sinken ließen.
Sobald sie am nächsten Morgen aufgewacht war, ging das Ganze Spiel wieder los.
Wie ein Karussell, das sich ewig im Kreis drehte.
Saskia wusste nicht, wieso die Enttäuschung ihrer Mutter sie so sehr aus der Fassung brachte.
Aber warscheinlich war ihr dass alles in letzter Zeit zu viel geworden.
Sie war zu lange stark gewesen.Nun saß sie vor ihrer Mutter und hatte das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, einen dichten Schleier gelüftet zu haben und endlich klar zu sehen.
Ihre Eltern würden sie nie lieben, egal was sie tat.
Saskia war es leid, nach der Pfeife ihrer Eltern zu Tanzen.
Es brachte ja eh nichts.
Wofür tat sie das alles eigentlich?
Warum tat sie das alles für ihre Eltern?Saskia wusste es tief in ihrem Herzen.
Sie wollte geliebt werden.
Doch zu solchen Gefühlen waren ihre Eltern ihr gegenüber scheinbar nicht zustande.
Sie hatten ihr all die Jahre etwas vorgemacht.Die Welt, in der sie selbst all die Jahre lang gelebt hatte, war perfekt.
Perfektes Aussehen, perfekte Kleiderordnung, perfektes Verhalten und viel mehr. Doch die echte, reale Welt, in der Saskia sich befand, war nicht perfekt.
Bis jetzt war ihr das nie richtig klar gewesen.Es war, als würde sie aus einem langen Traum erwachen.
Saskia verdrängte ihre Gedanken und kehrte in die Gegenwart zurück.
Sie hob den Blick, presste die Lippen zusammen und versuchte, ihre prickelnden Augen zu ignorieren und weiterhin stark zu bleiben.
Doch sie konnte es nicht.Eine einzelne, hinterlistige Träne bahnte sich den Weg zwischen all die Schutzmauern, zwischen alle Fassaden und entfloh ihr, bevor sie sie wegblinzeln konnte. Saskia spürte, wie die Träne ihre Wange hinunterrollte und einen Pfad hinterließ.
Das alles war zu viel.
Sie hielt es nicht mehr aus.
Sie musste raus.Die Blicke ihrer Mitschüler und Lehrer, die ebenfalls in der Cafeteria saßen, verfolgten sie, als sie aufstand, ihr Tablett von sich schob und in den Gang taumelte.
Saskia durchquerte den Eingang, verließ das Gebäude und rannte in den Wald der Clearwater High.
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Perfekt- eine Woodwalker FF
Fanfiction~im Moment pausiert~ Die 15-Jährige Saskia muss unter hohen Erwartungen ihrer Eltern an die Clearwater High, die berühmteste Schule für Gestaltwandler gehen und entflieht so ihren grausamen Eltern, die ihr gelehrt haben in einer Welt von Perfektioni...